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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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angerufen haben. In Hessen nimmt man zu Säetüchern Leinwand, zu welcher ein
Mädchen unter sieben Jahren das Garn gesponnen hat. In Schlesien und der
benachbarten Oberlausitz sowie in Mecklenburg herrscht hier und da noch die Sitte,
sich beim Säen der Gerste drei Körner unter die Zunge zu legen und dieselben
nach vollendeter Ausstreuung der übrigen in drei Ecken des Feldes in die
Erde zu stecken, wozu man eine Zauberformel mit dem Namen der Dreifaltig¬
keit murmelt. Während des Säens selbst aber darf kein Wort gesprochen
werden. Das ganze Verfahren soll die Saat vor Vögelfraß schützen. Aehnlich
macht man es in Lauenburg mit dem Weizen und in Hessen und der Mark
mit den Erbsen. Der Weizen wird im Harz vor Schaden bewahrt, indem
man den Samen vor dem Ausstreuen stillschweigend auf den Kopf hebt und
dann spricht: "Weizen, ich setze dich auf den Band, Gott behüte dich vor
Trespe und Brand." Vor Hagelschaden sichert der Bauer der Wetterau seine
Felder durch Kohlen vom Osterfeuer oder durch blühende Zweige von Erlen,
Pappeln oder Weiden, die am Palmsonntage in der Kirche geweiht worden
sind, und die man darauf in den Acker steckt. Vor Bezauberung durch "böse
Leute" stellt man das Getreide in ganz Mitteldeutschland, namentlich in
Schlesien, Sachsen und Thüringen, dadurch sicher, daß man eine Eule an das
Scheunenthor nagelt. Wieder dem Aberglauben in der Wetterau gehört die
Meinung an, nach welcher man sich eine reiche Ernte verschafft, wenn man
drei Kornähren an den Spiegel steckt und dazu die drei heiligsten Namen
ausspricht. Stirbt in Franken und Hessen eine Hausfrau, so müssen sämmt¬
liche Sämereien im Gehöft durcheinander gerührt werden, weil sie sonst nach
der Aussaat nicht aufgehen.

Glückverheißende Saatzeiten für den Lein, der nächst dem Getreide Im Leben
des Ackerbauers die wichtigste Rolle spielt, sind dem altgläubigen Ostpreußen
der zweite Juni, dem Märker der Tag Maria Bekleidung, dem Mecklenburger
"der hundertste Tag" (von Neujahr oder von Lichtmeß an?), anderen Nord¬
deutschen der Gründonnerstag oder der Sanct Ezechielstag (l.0. April). Im
Mai gesäet giebt er, wie die Bauern um Königsberg meinen, schlechte Lein¬
wand. Hanf muß man am Marcustage (24. April) säen, dann geht er gut
auf. doch darf man an diesem Tage kein Fleisch essen, auch muß Neumond
sein, wenn das zutreffen soll. Im Lauenburgischen gewinnt sich die Braut
reichen Flachssegen, wenn sie sich, bevor sie zur Trauung an den Altar geht,
eine Rist Flachs um das linke Bein bindet; denn "der Flachs wird dadurch
vom Pfarrer ungesegnet." Um den Flachs recht lang werden zu lassen,
springt die Hauswirthin des Schlesien und des Märkers, der auf alte Satzung
hält, in der Fastnacht beim Tanz im Kruge, so hoch sie kann. Zu gleichem
Zwecke muß im Harz am Fastnachtstage, in Ostpreußen am Gründonnerstage
die älteste Jungfer des Hauses rückwärts vom Tische springen. Der Mentler-


angerufen haben. In Hessen nimmt man zu Säetüchern Leinwand, zu welcher ein
Mädchen unter sieben Jahren das Garn gesponnen hat. In Schlesien und der
benachbarten Oberlausitz sowie in Mecklenburg herrscht hier und da noch die Sitte,
sich beim Säen der Gerste drei Körner unter die Zunge zu legen und dieselben
nach vollendeter Ausstreuung der übrigen in drei Ecken des Feldes in die
Erde zu stecken, wozu man eine Zauberformel mit dem Namen der Dreifaltig¬
keit murmelt. Während des Säens selbst aber darf kein Wort gesprochen
werden. Das ganze Verfahren soll die Saat vor Vögelfraß schützen. Aehnlich
macht man es in Lauenburg mit dem Weizen und in Hessen und der Mark
mit den Erbsen. Der Weizen wird im Harz vor Schaden bewahrt, indem
man den Samen vor dem Ausstreuen stillschweigend auf den Kopf hebt und
dann spricht: „Weizen, ich setze dich auf den Band, Gott behüte dich vor
Trespe und Brand." Vor Hagelschaden sichert der Bauer der Wetterau seine
Felder durch Kohlen vom Osterfeuer oder durch blühende Zweige von Erlen,
Pappeln oder Weiden, die am Palmsonntage in der Kirche geweiht worden
sind, und die man darauf in den Acker steckt. Vor Bezauberung durch „böse
Leute" stellt man das Getreide in ganz Mitteldeutschland, namentlich in
Schlesien, Sachsen und Thüringen, dadurch sicher, daß man eine Eule an das
Scheunenthor nagelt. Wieder dem Aberglauben in der Wetterau gehört die
Meinung an, nach welcher man sich eine reiche Ernte verschafft, wenn man
drei Kornähren an den Spiegel steckt und dazu die drei heiligsten Namen
ausspricht. Stirbt in Franken und Hessen eine Hausfrau, so müssen sämmt¬
liche Sämereien im Gehöft durcheinander gerührt werden, weil sie sonst nach
der Aussaat nicht aufgehen.

Glückverheißende Saatzeiten für den Lein, der nächst dem Getreide Im Leben
des Ackerbauers die wichtigste Rolle spielt, sind dem altgläubigen Ostpreußen
der zweite Juni, dem Märker der Tag Maria Bekleidung, dem Mecklenburger
„der hundertste Tag" (von Neujahr oder von Lichtmeß an?), anderen Nord¬
deutschen der Gründonnerstag oder der Sanct Ezechielstag (l.0. April). Im
Mai gesäet giebt er, wie die Bauern um Königsberg meinen, schlechte Lein¬
wand. Hanf muß man am Marcustage (24. April) säen, dann geht er gut
auf. doch darf man an diesem Tage kein Fleisch essen, auch muß Neumond
sein, wenn das zutreffen soll. Im Lauenburgischen gewinnt sich die Braut
reichen Flachssegen, wenn sie sich, bevor sie zur Trauung an den Altar geht,
eine Rist Flachs um das linke Bein bindet; denn „der Flachs wird dadurch
vom Pfarrer ungesegnet." Um den Flachs recht lang werden zu lassen,
springt die Hauswirthin des Schlesien und des Märkers, der auf alte Satzung
hält, in der Fastnacht beim Tanz im Kruge, so hoch sie kann. Zu gleichem
Zwecke muß im Harz am Fastnachtstage, in Ostpreußen am Gründonnerstage
die älteste Jungfer des Hauses rückwärts vom Tische springen. Der Mentler-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/63>, abgerufen am 27.09.2024.