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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Eintritt der Krisis auf's Höchste überrascht war und daß die "Bad. Corr."
sofort den Rücktritt Jolly's auf's lebhafteste bedauerte. Nach alle dem ist
es schwer verständlich, wie ein sonst mit Recht hochangesehenes Blatt, die
"Köln. Zeit." sich, sogar "von gut unterrichteter Seite", aus Süddeutschland
schreiben lassen konnte, der Grund des Ministerwechsels liege in der streng
constitutionellen Gesinnung des Großherzogs, welcher durch Herbetführung
einer Neubildung des Ministeriums das harmonische Einverständniß zwischen
Regierung und Landtag habe erhöhen wollen. Wie wäre z. B. auch mit
solcher Absicht das in Einklang zu setzen, daß auf den wichtigen und ein¬
flußreichen Posten des Präsidenten des Ministeriums des Innern ein Mann
berufen wurde, der auf dem letzten Landtag, hauptsächlich wegen Meinungs¬
verschiedenheiten in der Frage der Schulgesetznovelle, als treuer Anhänger der
Negierung offen aus der national-liberalen Fraction ausschied! Item, eine
constitutionelle Nothwendigkeit oder Veranlassung zum Ministerwechsel lag
nirgends vor.

Welches aber sind die Gründe? Die officiöse Presse hat sie bis jetzt
nicht proclamirt. Ihre Proclamirung ist -- die Sache rein vom Standpunkt
des politischen Beobachters aus betrachtet -- unseres Erachtens auch durch¬
aus nicht nöthig, da sie dem, der die politische Strömung unseres Staats¬
und Hoflebens wenn auch nur seit einigen Jahren beachtet hat, klar liegen.
Solchem Beachten konnte nicht entgehen, daß an höchster Stelle des Landes
die vordem so frische und opferfreudige Beg-'isterung für den nationalen Ge¬
danken allmählig einer Stimmung des Unbehagens gewichen war. Getragen
von jener Begeisterung hatte Großherzog Friedrich, weit vorleuchtend seinen
fürstlichen Vettern, hohe Opfer auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt:
Baden kennt keine Reservatrechte, und unser Heer ist, da ein einheitlich
deutsches Heer noch nicht geschaffen ward, zufolge der Mililärconvention vom
25. November 1870 Bestandtheil des preußischen Heeres. Der Name des
Großherzogs Friedrich wird um solchen hochherzigen Handelns willen in der
deutschen Geschichte für alle Zeiten mit größter Achtung genannt werden.
Aber eine und die andere bittere Frucht der kühnen Saat konnte dem, der
die Saat ausstreute, nicht erspart bleiben. Möglich, daß bei Abschluß der
Mtlitärconvention die Rücksichten auf die bis dahin gedienten badischen Mili¬
tärs etwas kräftiger hätten zur Geltung kommen können, wenn man ernstlicher
als es geschehen sein soll den Versuch gemacht hätte, sie zur Geltung zu
bringen. Möglich, daß man unbeschadet der Verwirklichung der nationalen
Idee in ein und dem anderen Stück etwas weniger rasch hätte vorgehen
dürfen. Wir kritisiren es nicht. Aber die es kritisirten haben den Thron
des Fürsten umschwärmt. Und was die Koryphäen der Bureaukratie, was
der particularistisch gesinnte Adel, was die römisch-katholischen Würdenträger


Eintritt der Krisis auf's Höchste überrascht war und daß die „Bad. Corr."
sofort den Rücktritt Jolly's auf's lebhafteste bedauerte. Nach alle dem ist
es schwer verständlich, wie ein sonst mit Recht hochangesehenes Blatt, die
„Köln. Zeit." sich, sogar „von gut unterrichteter Seite", aus Süddeutschland
schreiben lassen konnte, der Grund des Ministerwechsels liege in der streng
constitutionellen Gesinnung des Großherzogs, welcher durch Herbetführung
einer Neubildung des Ministeriums das harmonische Einverständniß zwischen
Regierung und Landtag habe erhöhen wollen. Wie wäre z. B. auch mit
solcher Absicht das in Einklang zu setzen, daß auf den wichtigen und ein¬
flußreichen Posten des Präsidenten des Ministeriums des Innern ein Mann
berufen wurde, der auf dem letzten Landtag, hauptsächlich wegen Meinungs¬
verschiedenheiten in der Frage der Schulgesetznovelle, als treuer Anhänger der
Negierung offen aus der national-liberalen Fraction ausschied! Item, eine
constitutionelle Nothwendigkeit oder Veranlassung zum Ministerwechsel lag
nirgends vor.

Welches aber sind die Gründe? Die officiöse Presse hat sie bis jetzt
nicht proclamirt. Ihre Proclamirung ist — die Sache rein vom Standpunkt
des politischen Beobachters aus betrachtet — unseres Erachtens auch durch¬
aus nicht nöthig, da sie dem, der die politische Strömung unseres Staats¬
und Hoflebens wenn auch nur seit einigen Jahren beachtet hat, klar liegen.
Solchem Beachten konnte nicht entgehen, daß an höchster Stelle des Landes
die vordem so frische und opferfreudige Beg-'isterung für den nationalen Ge¬
danken allmählig einer Stimmung des Unbehagens gewichen war. Getragen
von jener Begeisterung hatte Großherzog Friedrich, weit vorleuchtend seinen
fürstlichen Vettern, hohe Opfer auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt:
Baden kennt keine Reservatrechte, und unser Heer ist, da ein einheitlich
deutsches Heer noch nicht geschaffen ward, zufolge der Mililärconvention vom
25. November 1870 Bestandtheil des preußischen Heeres. Der Name des
Großherzogs Friedrich wird um solchen hochherzigen Handelns willen in der
deutschen Geschichte für alle Zeiten mit größter Achtung genannt werden.
Aber eine und die andere bittere Frucht der kühnen Saat konnte dem, der
die Saat ausstreute, nicht erspart bleiben. Möglich, daß bei Abschluß der
Mtlitärconvention die Rücksichten auf die bis dahin gedienten badischen Mili¬
tärs etwas kräftiger hätten zur Geltung kommen können, wenn man ernstlicher
als es geschehen sein soll den Versuch gemacht hätte, sie zur Geltung zu
bringen. Möglich, daß man unbeschadet der Verwirklichung der nationalen
Idee in ein und dem anderen Stück etwas weniger rasch hätte vorgehen
dürfen. Wir kritisiren es nicht. Aber die es kritisirten haben den Thron
des Fürsten umschwärmt. Und was die Koryphäen der Bureaukratie, was
der particularistisch gesinnte Adel, was die römisch-katholischen Würdenträger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/152>, abgerufen am 19.10.2024.