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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Gründe, die in etwas mitgewirkt haben mögen, können nicht in maßgebender
Weise Ausschlag gegeben haben. Vielleicht, daß Jolly das, was man Fühlung
mit der Kammer nennt, zu wenig cultivirte. daß er nach der Weise Bismarck's
in dessen früherer Epoche etwas zu autokratisch vorging, die Landtags¬
majorität als einen Factor betrachtete, der einzig in legislatorischer Hin¬
sicht zu berücksichtigen sei, dem irgend welcher weitergehende Einfluß aber
nicht zugestanden werden dürfe. Sei dem, wie ihm sei. Die Mißstimmung
bestand. Sie zeigte sich insbesondere auch auf dem letzten Landtag 187S/76
und hat während desselben mehrmals eine recht unangenehme Gewitterschwüle
über die Atmosphäre unseres Staatslebens verbreitet. Die schon vor dem Zu¬
sammentritt des Landtags zwischen der "Bad. Corr.", dem Organ der national¬
liberalen Landtagspartei, und der officiösen "Karlsr. Zeit." zum Theil recht
gereizt geführten Plänklergefechte gestalteten sich während der Landtagssession
zu ernsten Scharmützeln. Und auch soweit diese nicht statthatten, lebte man
stets auf dem gegenseitigen Hui vive! Es waren insbesondere die Gesetzes¬
vorlage über die obligatorische Einführung der const sionell gemischten Volks¬
schule, sodann das sog. Pfarrdotationsgesetz, die Discussion des Gesetzes über
Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer, endlich zum Schluß
des Landtags noch Erörterungen über eine Umformung der ersten Kammer,
welche die' gegenseitige Mißstimmung und Gereiztheit, mitunter in sehr scharfer
Weise, zum Ausdruck brachten. Thatsache ist, daß bei ein und dem andern
der streitigen Punkte der Staatsminister sich mehr, als ihm erwünscht war,
durch den Willen des Großherzogs gehemmt sah. Indessen konnte dies an
der Sache selbst nichts ändern, und auch der Umstand besserte nichts, daß die
erste Kammer -- ein und das andremal sogar weitgehender, als es dem Minister
willkommen sein konnte -- bezüglich der Differenzpunkte durchweg der zweiten
Kammer frondirend entgegentrat. Aber bet alledem hat man beiderseits ver¬
standen, sich zu vertragen; man hat gegenseitige Rücksichtnahme walten lassen,
und es wurde namentlich bezüglich sämmtlicher Gesetzesvorlagen schließlich
Uebereinstimmung erzielt, so daß sie ohne Ausnahme zu Gesetzen erhoben
wurden, wenn auch nicht durchweg so, daß man auf beiden Seiten völlig
zufrieden gestellt war. Die letzte Landtagssession hatte das Ansehen des
Staatsministers nicht im mindesten erschüttert; im Gegentheil, sie hatte es,
allgemeiner Meinung nach, neu gekräftigt. Auch in den wenigen Wochen,
welche seit Schluß des Landtags verflossen sind, war kein Vorgang zu
verzeichnen, welcher eine constitutionelle Veranlassung zum Rücktritt des
Ministeriums enthalten hätte. Die auf dem Landtag vottrten Gesetze er¬
hielten eines um das andere die Sanction des Fürsten, und wie wenig man
auf Seiten der national-liberalen Landtagspartei an eine Mtnisterkrisis dachte
oder gar sie wünschte, beweist u. A. die Thatsache, daß man dort von dem


Gründe, die in etwas mitgewirkt haben mögen, können nicht in maßgebender
Weise Ausschlag gegeben haben. Vielleicht, daß Jolly das, was man Fühlung
mit der Kammer nennt, zu wenig cultivirte. daß er nach der Weise Bismarck's
in dessen früherer Epoche etwas zu autokratisch vorging, die Landtags¬
majorität als einen Factor betrachtete, der einzig in legislatorischer Hin¬
sicht zu berücksichtigen sei, dem irgend welcher weitergehende Einfluß aber
nicht zugestanden werden dürfe. Sei dem, wie ihm sei. Die Mißstimmung
bestand. Sie zeigte sich insbesondere auch auf dem letzten Landtag 187S/76
und hat während desselben mehrmals eine recht unangenehme Gewitterschwüle
über die Atmosphäre unseres Staatslebens verbreitet. Die schon vor dem Zu¬
sammentritt des Landtags zwischen der „Bad. Corr.", dem Organ der national¬
liberalen Landtagspartei, und der officiösen „Karlsr. Zeit." zum Theil recht
gereizt geführten Plänklergefechte gestalteten sich während der Landtagssession
zu ernsten Scharmützeln. Und auch soweit diese nicht statthatten, lebte man
stets auf dem gegenseitigen Hui vive! Es waren insbesondere die Gesetzes¬
vorlage über die obligatorische Einführung der const sionell gemischten Volks¬
schule, sodann das sog. Pfarrdotationsgesetz, die Discussion des Gesetzes über
Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer, endlich zum Schluß
des Landtags noch Erörterungen über eine Umformung der ersten Kammer,
welche die' gegenseitige Mißstimmung und Gereiztheit, mitunter in sehr scharfer
Weise, zum Ausdruck brachten. Thatsache ist, daß bei ein und dem andern
der streitigen Punkte der Staatsminister sich mehr, als ihm erwünscht war,
durch den Willen des Großherzogs gehemmt sah. Indessen konnte dies an
der Sache selbst nichts ändern, und auch der Umstand besserte nichts, daß die
erste Kammer — ein und das andremal sogar weitgehender, als es dem Minister
willkommen sein konnte — bezüglich der Differenzpunkte durchweg der zweiten
Kammer frondirend entgegentrat. Aber bet alledem hat man beiderseits ver¬
standen, sich zu vertragen; man hat gegenseitige Rücksichtnahme walten lassen,
und es wurde namentlich bezüglich sämmtlicher Gesetzesvorlagen schließlich
Uebereinstimmung erzielt, so daß sie ohne Ausnahme zu Gesetzen erhoben
wurden, wenn auch nicht durchweg so, daß man auf beiden Seiten völlig
zufrieden gestellt war. Die letzte Landtagssession hatte das Ansehen des
Staatsministers nicht im mindesten erschüttert; im Gegentheil, sie hatte es,
allgemeiner Meinung nach, neu gekräftigt. Auch in den wenigen Wochen,
welche seit Schluß des Landtags verflossen sind, war kein Vorgang zu
verzeichnen, welcher eine constitutionelle Veranlassung zum Rücktritt des
Ministeriums enthalten hätte. Die auf dem Landtag vottrten Gesetze er¬
hielten eines um das andere die Sanction des Fürsten, und wie wenig man
auf Seiten der national-liberalen Landtagspartei an eine Mtnisterkrisis dachte
oder gar sie wünschte, beweist u. A. die Thatsache, daß man dort von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/151>, abgerufen am 27.09.2024.