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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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amten das Belieben jenes Feudaladels. Die Christen sind hier Hörige ihrer
einheimischen Aristokratie und überdieß Knechte aller Türken geworden.

Nach altem türkischem Rechte lag bis vor Kurzem die ganze Last der Ab¬
gaben auf der Rasa. Der Muslim entrichtete dem Staate nur die Blut-
steue'r, er allein war der freie Mann, der Waffen trug und für den Padischa
in den Krieg zog. Die Raja kämpfte nicht, mußte aber zahlen und die
Kämpfer erhalten. Zwei Steuern lasteten auf den böhmischen Christen: der
"Haradsch" oder die Kopfsteuer, die von jedem Nichtmuslim bezahlt wird,
einerlei, ob er Eingeborner oder Fremder, Christ oder Jude ist, und der
,,Porez" oder die Naturalsteuer, der Zehnte von allen Erzeugnissen von Feld,
Wiese und Garten. Hierzu kamen noch andere Abgaben, für den Spahi
die Hälfte von allem Heu und Obst und die Arbeitssteuer, der Frohndienst
für den Aga, und erinnern wir uns dabei, daß bei der Eintreibung dieser
Leistungen jede Art von Druck und Erpressung ungestraft in Anwendung
kommen kann, so wird die Behauptung, daß die böhmischen Christen, nament¬
lich aber diejenigen, welche auf dem Lande wohnen, unter allen slavischen
Stammgenossen das traurigste Loos haben, nicht übertrieben klingen, und so
wird man den gegenwärtig im Westen Bosniens, der sogenannten Herzogowina,
tobenden Aufstand schon hieraus für vollkommen gerechtfertigt ansehen und
sich nur wundern, daß er nicht schon größere Verhältnisse angenommen hat.

Daß dieß nicht der Fall ist, erklärt sich durch einen Blick auf die Ur¬
sachen und den Verlauf des letzten Aufstandes, der in den Jahren 1849 bis
1832 das Land mit Blut und Greueln überschwemmte. Die muhamedanischen
Bosnier sind, obwohl der Zahl nach die kleinere, doch die mächtigere Hälfte
der Bevölkerung. Sie besitzen den größten Theil des Grundeigenthums, sie
wohnen in festen Schlössern, sie tragen die Waffen. Machen sie als Muslime
gemeinsame Sache mit den Türken gegen die Raja, wie dieß noch in dem
Kriege geschah, den die Pforte 1806 und 1807 mit den Serben führte, so
ist der Sieg der Regierung sicher. Wären diese muhamedanischen Bosnier aber
einmal dahin gelangt, sich den Türken gegenüber nicht als Muslime, sondern
als Landeskinder, als Serben zu fühlen und sich mit der Raja zu verbinden,
so würde die Lage der Regierungspartei eine verzweifelte geworden sein. Denn
ein großer Theil der Begs, die meisten Aga, ja selbst manche Paschas sind aus
den alten Adelsfamilien des Landes hervorgegangen, und die muhamedanische
Bevölkerung hat auch nicht wenige von den Soldaten geliefert, die hier
garnisoniren. Entweder würden diese, wenn das Gefühl nationaler Zusammen¬
gehörigkeit einmal das der religiösen überwöge, geneigt sein, sich auf die
Seite der Volkspartei zu schlagen oder, wenn sie aus Eigennutz der Regierung
treu blieben, wenigstens ihren Stammgenossen gegenüber ohne viel Energie
verfahren.


amten das Belieben jenes Feudaladels. Die Christen sind hier Hörige ihrer
einheimischen Aristokratie und überdieß Knechte aller Türken geworden.

Nach altem türkischem Rechte lag bis vor Kurzem die ganze Last der Ab¬
gaben auf der Rasa. Der Muslim entrichtete dem Staate nur die Blut-
steue'r, er allein war der freie Mann, der Waffen trug und für den Padischa
in den Krieg zog. Die Raja kämpfte nicht, mußte aber zahlen und die
Kämpfer erhalten. Zwei Steuern lasteten auf den böhmischen Christen: der
„Haradsch" oder die Kopfsteuer, die von jedem Nichtmuslim bezahlt wird,
einerlei, ob er Eingeborner oder Fremder, Christ oder Jude ist, und der
,,Porez" oder die Naturalsteuer, der Zehnte von allen Erzeugnissen von Feld,
Wiese und Garten. Hierzu kamen noch andere Abgaben, für den Spahi
die Hälfte von allem Heu und Obst und die Arbeitssteuer, der Frohndienst
für den Aga, und erinnern wir uns dabei, daß bei der Eintreibung dieser
Leistungen jede Art von Druck und Erpressung ungestraft in Anwendung
kommen kann, so wird die Behauptung, daß die böhmischen Christen, nament¬
lich aber diejenigen, welche auf dem Lande wohnen, unter allen slavischen
Stammgenossen das traurigste Loos haben, nicht übertrieben klingen, und so
wird man den gegenwärtig im Westen Bosniens, der sogenannten Herzogowina,
tobenden Aufstand schon hieraus für vollkommen gerechtfertigt ansehen und
sich nur wundern, daß er nicht schon größere Verhältnisse angenommen hat.

Daß dieß nicht der Fall ist, erklärt sich durch einen Blick auf die Ur¬
sachen und den Verlauf des letzten Aufstandes, der in den Jahren 1849 bis
1832 das Land mit Blut und Greueln überschwemmte. Die muhamedanischen
Bosnier sind, obwohl der Zahl nach die kleinere, doch die mächtigere Hälfte
der Bevölkerung. Sie besitzen den größten Theil des Grundeigenthums, sie
wohnen in festen Schlössern, sie tragen die Waffen. Machen sie als Muslime
gemeinsame Sache mit den Türken gegen die Raja, wie dieß noch in dem
Kriege geschah, den die Pforte 1806 und 1807 mit den Serben führte, so
ist der Sieg der Regierung sicher. Wären diese muhamedanischen Bosnier aber
einmal dahin gelangt, sich den Türken gegenüber nicht als Muslime, sondern
als Landeskinder, als Serben zu fühlen und sich mit der Raja zu verbinden,
so würde die Lage der Regierungspartei eine verzweifelte geworden sein. Denn
ein großer Theil der Begs, die meisten Aga, ja selbst manche Paschas sind aus
den alten Adelsfamilien des Landes hervorgegangen, und die muhamedanische
Bevölkerung hat auch nicht wenige von den Soldaten geliefert, die hier
garnisoniren. Entweder würden diese, wenn das Gefühl nationaler Zusammen¬
gehörigkeit einmal das der religiösen überwöge, geneigt sein, sich auf die
Seite der Volkspartei zu schlagen oder, wenn sie aus Eigennutz der Regierung
treu blieben, wenigstens ihren Stammgenossen gegenüber ohne viel Energie
verfahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/74>, abgerufen am 20.10.2024.