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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Die Aga sind Besitzer großer Landgüter und mit einigen Ausnahmen
Nachkommen des alten böhmischen Grundadels, der nach der Schlacht auf dem
Felde von Kossowo zum Islam übertrat. Sie üben von ihren Burgen, die
wie kleine Festungen eingerichtet sind und bisweilen auch von einer alten
Kanone vertheidigt werden, über die Bauern ihres Gebiets eine Art Gerichts¬
barkeit aus, deren Umfang nicht genau bestimmt ist. Die Raja ihrer Ge¬
meinden sind ihnen zu Frohndiensten verpflichtet, die zwar durch das Her¬
kommen beschränkt sind, aber unter einem habgierigen und unbarmherzigen
Herrn weit über diese Schranken ausgedehnt werden können und dann oft
erdrückend schwer werden. Die Raja muß dem Gutsherrn das Heu für
seine Pferde mähen, seine Schafe hüten, ihm seine Felder bestellen und seine
Ernte an Getreide und Obst einbringen. Dieser altbosnische Adel hält eifer¬
süchtig auf seine Privilegien und Diplome aus der christlichen Zeit und ist
zu jeder Zeit bereit, Reformen, welche seine Vorrechte bedrohen, mit den
Waffen zu bekämpfen.

Die Spahia sind erst durch die Osmanli ins Land gekommen und hatten
anfänglich kein Grundeigenthum, was bei einem Theil derselben noch jetzt
der Fall ist. Sie waren die freien Reiter des türkischen Heeres, die sich im
Kriege mit eignen Pferden und Waffen bei demselben einzufinden hatten,
und von denen jeder einzelne hinsichtlich feines Lebensunterhalts im Frieden
auf Naturlieferungen der Raja eines bestimmten Ortes angewiesen war. Ur¬
sprünglich Türken oder Arnauten, sind sie jetzt durchgehends nationalisirr und
sprechen serbisch. Ihre Stellen sind erblich, und ihre Leistungen für die
Pforte bestehen im Gendarmendienst. Häufig haben sie den Chan, die Dorf¬
schenke, in ihrem Besitz. Dieser bildet den Mittelpunkt für die geselligen Zu¬
sammenkünfte der Muslime des Ortes, und wenn letzterer keine Moschee hat,
so wird auch der Gottesdienst in ihrem Hause abgehalten.

In den größeren Städten haben sich Reste der alten freien Gemeinde¬
verfassung erhalten, am meisten in Serajewo, wo eine Anzahl von böhmischen
Patrizierfamilien, die natürlich dem Islam angehören, den Paschas gegenüber
das Regiment der Stadt behauptet hat, was indeß, wie wir gesehen haben,
Willküracte derselben gegen die Christen keineswegs ausschließt. In den
kleinen Orten dagegen und auf dem platten Lande hat die Raja von der
ursprünglichen Selbstregierung, welche die Serben durch den Rath ihrer Kneten
(Aeltesten), Krähen (Dorfschulzen) und Baschknäsen (Kreishauptleute) zu be¬
wahren wußten, nichts gerettet. Die Serben haben ihre alte Aristokratie
untergehen sehen, die Bosnier haben sie behalten, aber nicht als Schirm¬
herren, sondern, wie gezeigt worden, als bevorrechtigte Feinde, Unter¬
drücker und Aufhänger. In Serbien herrscht unter der Regierung ein
demokratisches Selbstregiment, in Bosnien neben dem Willen der Pfortenbe-


Gienzboten III. I87V. 9

Die Aga sind Besitzer großer Landgüter und mit einigen Ausnahmen
Nachkommen des alten böhmischen Grundadels, der nach der Schlacht auf dem
Felde von Kossowo zum Islam übertrat. Sie üben von ihren Burgen, die
wie kleine Festungen eingerichtet sind und bisweilen auch von einer alten
Kanone vertheidigt werden, über die Bauern ihres Gebiets eine Art Gerichts¬
barkeit aus, deren Umfang nicht genau bestimmt ist. Die Raja ihrer Ge¬
meinden sind ihnen zu Frohndiensten verpflichtet, die zwar durch das Her¬
kommen beschränkt sind, aber unter einem habgierigen und unbarmherzigen
Herrn weit über diese Schranken ausgedehnt werden können und dann oft
erdrückend schwer werden. Die Raja muß dem Gutsherrn das Heu für
seine Pferde mähen, seine Schafe hüten, ihm seine Felder bestellen und seine
Ernte an Getreide und Obst einbringen. Dieser altbosnische Adel hält eifer¬
süchtig auf seine Privilegien und Diplome aus der christlichen Zeit und ist
zu jeder Zeit bereit, Reformen, welche seine Vorrechte bedrohen, mit den
Waffen zu bekämpfen.

Die Spahia sind erst durch die Osmanli ins Land gekommen und hatten
anfänglich kein Grundeigenthum, was bei einem Theil derselben noch jetzt
der Fall ist. Sie waren die freien Reiter des türkischen Heeres, die sich im
Kriege mit eignen Pferden und Waffen bei demselben einzufinden hatten,
und von denen jeder einzelne hinsichtlich feines Lebensunterhalts im Frieden
auf Naturlieferungen der Raja eines bestimmten Ortes angewiesen war. Ur¬
sprünglich Türken oder Arnauten, sind sie jetzt durchgehends nationalisirr und
sprechen serbisch. Ihre Stellen sind erblich, und ihre Leistungen für die
Pforte bestehen im Gendarmendienst. Häufig haben sie den Chan, die Dorf¬
schenke, in ihrem Besitz. Dieser bildet den Mittelpunkt für die geselligen Zu¬
sammenkünfte der Muslime des Ortes, und wenn letzterer keine Moschee hat,
so wird auch der Gottesdienst in ihrem Hause abgehalten.

In den größeren Städten haben sich Reste der alten freien Gemeinde¬
verfassung erhalten, am meisten in Serajewo, wo eine Anzahl von böhmischen
Patrizierfamilien, die natürlich dem Islam angehören, den Paschas gegenüber
das Regiment der Stadt behauptet hat, was indeß, wie wir gesehen haben,
Willküracte derselben gegen die Christen keineswegs ausschließt. In den
kleinen Orten dagegen und auf dem platten Lande hat die Raja von der
ursprünglichen Selbstregierung, welche die Serben durch den Rath ihrer Kneten
(Aeltesten), Krähen (Dorfschulzen) und Baschknäsen (Kreishauptleute) zu be¬
wahren wußten, nichts gerettet. Die Serben haben ihre alte Aristokratie
untergehen sehen, die Bosnier haben sie behalten, aber nicht als Schirm¬
herren, sondern, wie gezeigt worden, als bevorrechtigte Feinde, Unter¬
drücker und Aufhänger. In Serbien herrscht unter der Regierung ein
demokratisches Selbstregiment, in Bosnien neben dem Willen der Pfortenbe-


Gienzboten III. I87V. 9
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[0073] Die Aga sind Besitzer großer Landgüter und mit einigen Ausnahmen Nachkommen des alten böhmischen Grundadels, der nach der Schlacht auf dem Felde von Kossowo zum Islam übertrat. Sie üben von ihren Burgen, die wie kleine Festungen eingerichtet sind und bisweilen auch von einer alten Kanone vertheidigt werden, über die Bauern ihres Gebiets eine Art Gerichts¬ barkeit aus, deren Umfang nicht genau bestimmt ist. Die Raja ihrer Ge¬ meinden sind ihnen zu Frohndiensten verpflichtet, die zwar durch das Her¬ kommen beschränkt sind, aber unter einem habgierigen und unbarmherzigen Herrn weit über diese Schranken ausgedehnt werden können und dann oft erdrückend schwer werden. Die Raja muß dem Gutsherrn das Heu für seine Pferde mähen, seine Schafe hüten, ihm seine Felder bestellen und seine Ernte an Getreide und Obst einbringen. Dieser altbosnische Adel hält eifer¬ süchtig auf seine Privilegien und Diplome aus der christlichen Zeit und ist zu jeder Zeit bereit, Reformen, welche seine Vorrechte bedrohen, mit den Waffen zu bekämpfen. Die Spahia sind erst durch die Osmanli ins Land gekommen und hatten anfänglich kein Grundeigenthum, was bei einem Theil derselben noch jetzt der Fall ist. Sie waren die freien Reiter des türkischen Heeres, die sich im Kriege mit eignen Pferden und Waffen bei demselben einzufinden hatten, und von denen jeder einzelne hinsichtlich feines Lebensunterhalts im Frieden auf Naturlieferungen der Raja eines bestimmten Ortes angewiesen war. Ur¬ sprünglich Türken oder Arnauten, sind sie jetzt durchgehends nationalisirr und sprechen serbisch. Ihre Stellen sind erblich, und ihre Leistungen für die Pforte bestehen im Gendarmendienst. Häufig haben sie den Chan, die Dorf¬ schenke, in ihrem Besitz. Dieser bildet den Mittelpunkt für die geselligen Zu¬ sammenkünfte der Muslime des Ortes, und wenn letzterer keine Moschee hat, so wird auch der Gottesdienst in ihrem Hause abgehalten. In den größeren Städten haben sich Reste der alten freien Gemeinde¬ verfassung erhalten, am meisten in Serajewo, wo eine Anzahl von böhmischen Patrizierfamilien, die natürlich dem Islam angehören, den Paschas gegenüber das Regiment der Stadt behauptet hat, was indeß, wie wir gesehen haben, Willküracte derselben gegen die Christen keineswegs ausschließt. In den kleinen Orten dagegen und auf dem platten Lande hat die Raja von der ursprünglichen Selbstregierung, welche die Serben durch den Rath ihrer Kneten (Aeltesten), Krähen (Dorfschulzen) und Baschknäsen (Kreishauptleute) zu be¬ wahren wußten, nichts gerettet. Die Serben haben ihre alte Aristokratie untergehen sehen, die Bosnier haben sie behalten, aber nicht als Schirm¬ herren, sondern, wie gezeigt worden, als bevorrechtigte Feinde, Unter¬ drücker und Aufhänger. In Serbien herrscht unter der Regierung ein demokratisches Selbstregiment, in Bosnien neben dem Willen der Pfortenbe- Gienzboten III. I87V. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/73>, abgerufen am 27.09.2024.