Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

errichteten diese Begünstiger der Literatur ihre Bibliotheken verständigerweise
immer unter dem Dache ihrer Moscheen oder ihrer Paläste, da sie auf diese
Art vor Feuersgefahr sicher waren, die in Stambul mit seinen massenhaften
Holzbauten mehr als irgendwo anders zu fürchten ist. Die Verordnungen
für die Bibliotheken sind fast alle gleich. Die zu Moscheen gehörigen stehen
unter der Aufsicht der kirchlichen Behörden, die in besonderen Gebäuden ein¬
gerichteten werden von der Wakufije verwaltet. Alle besitzen ihre eignen
reichlichen Fonds zur Erhaltung des Gebäudes und zur Besoldung der Biblio¬
thekare und Diener, aber keinerlei Fonds zur Vermehrung der Bücherschätze,
so daß die Zahl der Bände gewöhnlich dieselbe bleibt wie bei der Stiftung.
Nur ausnahmsweise sind von Privatpersonen, selber von Sultanen neue
Schenkungen an Büchern gemacht worden. Die Bibliothekare beziehen geringe
Gehalte und suchen daher, da sie in der Regel geschickte Schönschreiber sind,
ihr Einkommen durch Abschreiben werthvoller Manuscripte zu vermehren.
Jede Bibliothek besitzt zwei Cataloge. einen, der einfach die Bücher, und einen,
der auch kurz den Inhalt derselben verzeichnet. Letzterer wird von den Softas
(Studirenden) fleißig benutzt, da er ihnen das Suchen wesentlich erleichtert.
Die Bücher sind einfach und sauber in dunklen Saffian oder Kalbleder ge¬
bunden, nach Art der Brieftaschen mit Schlössern versehen und liegen auf
der Seite. Die Titel befinden sich außen am Rande und nicht auf dem Ein¬
bande. Fast alle Bücher stehen, um besser geschützt zu sein, noch in einem
mappenartigen Futteral. Die meisten sind auf Velin oder sehr glattes Pa¬
pier geschrieben, und viele zieren goldne Arabesken und Sprüche in farbiger
Schrift. In einigen Bibliotheken stehen die Büchergestelle mitten im Saale,
wo sie ein mit Drahtthüren versehenes Viereck bilden. Der Fußboden ist
mit Matten bedeckt, und an den Wänden sind niedrige Divane angebracht,
auf welche die Lesenden sich setzen, während sie die Bücher auf eine schmale
Tafel vor sich hinlegen. Abschreiber bringen sich Dinte, Feder und Papier
selbst mit und gebrauchen ihre Knie als Schreibpulte. Die Bibliotheken sind
an den Freitagen, während des Ramasan und an den beiden Beiramfesten
geschlossen, sonst aber jeden Tag von früh neun Uhr an bis zum Nachmittags¬
gebet offen. Im Büchersaal herrschen Ordnung und tiefes Schweigen, der
Studirende wird nicht einmal durch das Geräusch von Schritten gestört, da
Jedermann die Schuhe oder Stiefeln vor der Thür stehen läßt. Die Zahl
der öffentlichen Bibliotheken beläuft sich auf etwa vierzig. Doch gehört die
im Serail befindliche eigentlich nicht hierzu, da sie nicht einmal Muslimen
ohne besondere Erlaubniß zugänglich ist. Von den anderen sind folgende
die merkwürdigsten.

Die mit der Ejubmoschee verbundene, die 1460 von Mehemed dem Zweiten
gestiftet wurde und etwa 1100 Bände, meist theologischen Inhalts, umfassen


errichteten diese Begünstiger der Literatur ihre Bibliotheken verständigerweise
immer unter dem Dache ihrer Moscheen oder ihrer Paläste, da sie auf diese
Art vor Feuersgefahr sicher waren, die in Stambul mit seinen massenhaften
Holzbauten mehr als irgendwo anders zu fürchten ist. Die Verordnungen
für die Bibliotheken sind fast alle gleich. Die zu Moscheen gehörigen stehen
unter der Aufsicht der kirchlichen Behörden, die in besonderen Gebäuden ein¬
gerichteten werden von der Wakufije verwaltet. Alle besitzen ihre eignen
reichlichen Fonds zur Erhaltung des Gebäudes und zur Besoldung der Biblio¬
thekare und Diener, aber keinerlei Fonds zur Vermehrung der Bücherschätze,
so daß die Zahl der Bände gewöhnlich dieselbe bleibt wie bei der Stiftung.
Nur ausnahmsweise sind von Privatpersonen, selber von Sultanen neue
Schenkungen an Büchern gemacht worden. Die Bibliothekare beziehen geringe
Gehalte und suchen daher, da sie in der Regel geschickte Schönschreiber sind,
ihr Einkommen durch Abschreiben werthvoller Manuscripte zu vermehren.
Jede Bibliothek besitzt zwei Cataloge. einen, der einfach die Bücher, und einen,
der auch kurz den Inhalt derselben verzeichnet. Letzterer wird von den Softas
(Studirenden) fleißig benutzt, da er ihnen das Suchen wesentlich erleichtert.
Die Bücher sind einfach und sauber in dunklen Saffian oder Kalbleder ge¬
bunden, nach Art der Brieftaschen mit Schlössern versehen und liegen auf
der Seite. Die Titel befinden sich außen am Rande und nicht auf dem Ein¬
bande. Fast alle Bücher stehen, um besser geschützt zu sein, noch in einem
mappenartigen Futteral. Die meisten sind auf Velin oder sehr glattes Pa¬
pier geschrieben, und viele zieren goldne Arabesken und Sprüche in farbiger
Schrift. In einigen Bibliotheken stehen die Büchergestelle mitten im Saale,
wo sie ein mit Drahtthüren versehenes Viereck bilden. Der Fußboden ist
mit Matten bedeckt, und an den Wänden sind niedrige Divane angebracht,
auf welche die Lesenden sich setzen, während sie die Bücher auf eine schmale
Tafel vor sich hinlegen. Abschreiber bringen sich Dinte, Feder und Papier
selbst mit und gebrauchen ihre Knie als Schreibpulte. Die Bibliotheken sind
an den Freitagen, während des Ramasan und an den beiden Beiramfesten
geschlossen, sonst aber jeden Tag von früh neun Uhr an bis zum Nachmittags¬
gebet offen. Im Büchersaal herrschen Ordnung und tiefes Schweigen, der
Studirende wird nicht einmal durch das Geräusch von Schritten gestört, da
Jedermann die Schuhe oder Stiefeln vor der Thür stehen läßt. Die Zahl
der öffentlichen Bibliotheken beläuft sich auf etwa vierzig. Doch gehört die
im Serail befindliche eigentlich nicht hierzu, da sie nicht einmal Muslimen
ohne besondere Erlaubniß zugänglich ist. Von den anderen sind folgende
die merkwürdigsten.

Die mit der Ejubmoschee verbundene, die 1460 von Mehemed dem Zweiten
gestiftet wurde und etwa 1100 Bände, meist theologischen Inhalts, umfassen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136588"/>
          <p xml:id="ID_1256" prev="#ID_1255"> errichteten diese Begünstiger der Literatur ihre Bibliotheken verständigerweise<lb/>
immer unter dem Dache ihrer Moscheen oder ihrer Paläste, da sie auf diese<lb/>
Art vor Feuersgefahr sicher waren, die in Stambul mit seinen massenhaften<lb/>
Holzbauten mehr als irgendwo anders zu fürchten ist. Die Verordnungen<lb/>
für die Bibliotheken sind fast alle gleich. Die zu Moscheen gehörigen stehen<lb/>
unter der Aufsicht der kirchlichen Behörden, die in besonderen Gebäuden ein¬<lb/>
gerichteten werden von der Wakufije verwaltet. Alle besitzen ihre eignen<lb/>
reichlichen Fonds zur Erhaltung des Gebäudes und zur Besoldung der Biblio¬<lb/>
thekare und Diener, aber keinerlei Fonds zur Vermehrung der Bücherschätze,<lb/>
so daß die Zahl der Bände gewöhnlich dieselbe bleibt wie bei der Stiftung.<lb/>
Nur ausnahmsweise sind von Privatpersonen, selber von Sultanen neue<lb/>
Schenkungen an Büchern gemacht worden. Die Bibliothekare beziehen geringe<lb/>
Gehalte und suchen daher, da sie in der Regel geschickte Schönschreiber sind,<lb/>
ihr Einkommen durch Abschreiben werthvoller Manuscripte zu vermehren.<lb/>
Jede Bibliothek besitzt zwei Cataloge. einen, der einfach die Bücher, und einen,<lb/>
der auch kurz den Inhalt derselben verzeichnet. Letzterer wird von den Softas<lb/>
(Studirenden) fleißig benutzt, da er ihnen das Suchen wesentlich erleichtert.<lb/>
Die Bücher sind einfach und sauber in dunklen Saffian oder Kalbleder ge¬<lb/>
bunden, nach Art der Brieftaschen mit Schlössern versehen und liegen auf<lb/>
der Seite. Die Titel befinden sich außen am Rande und nicht auf dem Ein¬<lb/>
bande. Fast alle Bücher stehen, um besser geschützt zu sein, noch in einem<lb/>
mappenartigen Futteral. Die meisten sind auf Velin oder sehr glattes Pa¬<lb/>
pier geschrieben, und viele zieren goldne Arabesken und Sprüche in farbiger<lb/>
Schrift. In einigen Bibliotheken stehen die Büchergestelle mitten im Saale,<lb/>
wo sie ein mit Drahtthüren versehenes Viereck bilden. Der Fußboden ist<lb/>
mit Matten bedeckt, und an den Wänden sind niedrige Divane angebracht,<lb/>
auf welche die Lesenden sich setzen, während sie die Bücher auf eine schmale<lb/>
Tafel vor sich hinlegen. Abschreiber bringen sich Dinte, Feder und Papier<lb/>
selbst mit und gebrauchen ihre Knie als Schreibpulte. Die Bibliotheken sind<lb/>
an den Freitagen, während des Ramasan und an den beiden Beiramfesten<lb/>
geschlossen, sonst aber jeden Tag von früh neun Uhr an bis zum Nachmittags¬<lb/>
gebet offen. Im Büchersaal herrschen Ordnung und tiefes Schweigen, der<lb/>
Studirende wird nicht einmal durch das Geräusch von Schritten gestört, da<lb/>
Jedermann die Schuhe oder Stiefeln vor der Thür stehen läßt. Die Zahl<lb/>
der öffentlichen Bibliotheken beläuft sich auf etwa vierzig. Doch gehört die<lb/>
im Serail befindliche eigentlich nicht hierzu, da sie nicht einmal Muslimen<lb/>
ohne besondere Erlaubniß zugänglich ist. Von den anderen sind folgende<lb/>
die merkwürdigsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257" next="#ID_1258"> Die mit der Ejubmoschee verbundene, die 1460 von Mehemed dem Zweiten<lb/>
gestiftet wurde und etwa 1100 Bände, meist theologischen Inhalts, umfassen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] errichteten diese Begünstiger der Literatur ihre Bibliotheken verständigerweise immer unter dem Dache ihrer Moscheen oder ihrer Paläste, da sie auf diese Art vor Feuersgefahr sicher waren, die in Stambul mit seinen massenhaften Holzbauten mehr als irgendwo anders zu fürchten ist. Die Verordnungen für die Bibliotheken sind fast alle gleich. Die zu Moscheen gehörigen stehen unter der Aufsicht der kirchlichen Behörden, die in besonderen Gebäuden ein¬ gerichteten werden von der Wakufije verwaltet. Alle besitzen ihre eignen reichlichen Fonds zur Erhaltung des Gebäudes und zur Besoldung der Biblio¬ thekare und Diener, aber keinerlei Fonds zur Vermehrung der Bücherschätze, so daß die Zahl der Bände gewöhnlich dieselbe bleibt wie bei der Stiftung. Nur ausnahmsweise sind von Privatpersonen, selber von Sultanen neue Schenkungen an Büchern gemacht worden. Die Bibliothekare beziehen geringe Gehalte und suchen daher, da sie in der Regel geschickte Schönschreiber sind, ihr Einkommen durch Abschreiben werthvoller Manuscripte zu vermehren. Jede Bibliothek besitzt zwei Cataloge. einen, der einfach die Bücher, und einen, der auch kurz den Inhalt derselben verzeichnet. Letzterer wird von den Softas (Studirenden) fleißig benutzt, da er ihnen das Suchen wesentlich erleichtert. Die Bücher sind einfach und sauber in dunklen Saffian oder Kalbleder ge¬ bunden, nach Art der Brieftaschen mit Schlössern versehen und liegen auf der Seite. Die Titel befinden sich außen am Rande und nicht auf dem Ein¬ bande. Fast alle Bücher stehen, um besser geschützt zu sein, noch in einem mappenartigen Futteral. Die meisten sind auf Velin oder sehr glattes Pa¬ pier geschrieben, und viele zieren goldne Arabesken und Sprüche in farbiger Schrift. In einigen Bibliotheken stehen die Büchergestelle mitten im Saale, wo sie ein mit Drahtthüren versehenes Viereck bilden. Der Fußboden ist mit Matten bedeckt, und an den Wänden sind niedrige Divane angebracht, auf welche die Lesenden sich setzen, während sie die Bücher auf eine schmale Tafel vor sich hinlegen. Abschreiber bringen sich Dinte, Feder und Papier selbst mit und gebrauchen ihre Knie als Schreibpulte. Die Bibliotheken sind an den Freitagen, während des Ramasan und an den beiden Beiramfesten geschlossen, sonst aber jeden Tag von früh neun Uhr an bis zum Nachmittags¬ gebet offen. Im Büchersaal herrschen Ordnung und tiefes Schweigen, der Studirende wird nicht einmal durch das Geräusch von Schritten gestört, da Jedermann die Schuhe oder Stiefeln vor der Thür stehen läßt. Die Zahl der öffentlichen Bibliotheken beläuft sich auf etwa vierzig. Doch gehört die im Serail befindliche eigentlich nicht hierzu, da sie nicht einmal Muslimen ohne besondere Erlaubniß zugänglich ist. Von den anderen sind folgende die merkwürdigsten. Die mit der Ejubmoschee verbundene, die 1460 von Mehemed dem Zweiten gestiftet wurde und etwa 1100 Bände, meist theologischen Inhalts, umfassen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/477>, abgerufen am 20.10.2024.