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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Frau; aber ich glaube, wir müssen sehen, daß wir ihm eine Tscherkesfln
verschaffen."

Wie viel diesem gelehrten Türken seine Bibliothek, die nach White aus
mehr als dreitausend Bänden juristischer und medicinischer Werke in tür¬
kischer . arabischer, französischer und italienischer Sprache bestand, wohl ge¬
nutzt haben mag? Bei Andern wird in Betreff ihrer fränkischen Bücher die¬
selbe Frage aufgeworfen werden dürfen. Dagegen wird zuzugeben sein, daß
manche Türken in ihrer einheimischen Wissenschaft und Literatur wohl be¬
wandert und so in ihrer Art respectable Gelehrte sind, nur wird man sich
unter ihrem Wissen nicht entfernt das vorstellen dürfen, was wir Wissenschaft
nennen. Gern glauben wir ferner White, daß die Peroten im Allgemeinen
hundertmal unwissender, beschränkter und bigotter sind, als ihre türkischen
Mitbürger, und auch das Folgende mag im Wesentlichen richtig sein.

"Im Ganzen findet man weit mehr nützliche Bücher in türkischen als
in griechischen und armenischen Häusern. Desgleichen trifft man unter
den Frauen von Stambul mehr Bildung an als unter denen von
Pera. Zwar mag die Zahl der Türkinnen, welche lesen können, geringer
sein, als die der Perotinnen und Fanaritinnen, welche sich auf diese Kunst
verstehen. Erstere aber nehmen nie ein schlechtes Buch zur Hand, während
unter den letzteren kaum eine ist, die etwas Gutes liest, außer wenn sie ge¬
zwungen sind, sich mit dem Katechismus oder dem Brevier zu beschäftigen. Auch
muß bemerkt werden, daß während weder griechische noch armenische
Frauen literarisch thätig sind, Konstantinopel (der Verfasser meint den von
Türken bewohnten Theil auf der linken Seite des goldnen Horns) mehr als
eine Schriftstellerin auszuweisen hat. Unter die bekanntesten gehört die oben
erwähnten Leila Chauna. Ihre Gedichte sind hauptsächlich satirischen In¬
halts, und ihre spitze Feder wird von ihrem Geschlechte sehr gefürchtet; auch
ist sie ihrer Lieder wegen berühmt, die in Musik gesetzt und sehr populär sind."

Die Einrichtung öffentlicher Bibliotheken (Kitab Chane) in Konstantinopel
stammt aus den ersten Jahren nach der Eroberung. Die ersten osmanischen
Sultane, die es den Chalifen von Bagdad, ihren Vorgängern, gleichthun
wollten, suchten ihre Regierungen durch Aufmunterung und Belohnung von
Gelehrten und durch Gründung von Anstalten, wo deren Geisteserzeugnisse
für die Nachwelt aufbewahrt bleiben sollten, zu verherrlichen. Schon Mehemed
der Zweite brachte aus Brussa, Adrianopel und Damaskus eine hinlängliche
Anzahl Bücher zusammen, um die mit den Moscheen Ejub und Aja Sofia
und der von ihm selbst erbauten Moschee verbundenen Bibliotheken zu bilden.
Sein Beispiel wurde von seinen drei nächsten Nachfolgern, sowie später noch
von Osman dem Zweiten, Achmed dem Dritten, Mustapha dem Dritten,
Mahmud dem Ersten, Abdul Hamid und Abdul Medschid befolgt, und zwar


Frau; aber ich glaube, wir müssen sehen, daß wir ihm eine Tscherkesfln
verschaffen."

Wie viel diesem gelehrten Türken seine Bibliothek, die nach White aus
mehr als dreitausend Bänden juristischer und medicinischer Werke in tür¬
kischer . arabischer, französischer und italienischer Sprache bestand, wohl ge¬
nutzt haben mag? Bei Andern wird in Betreff ihrer fränkischen Bücher die¬
selbe Frage aufgeworfen werden dürfen. Dagegen wird zuzugeben sein, daß
manche Türken in ihrer einheimischen Wissenschaft und Literatur wohl be¬
wandert und so in ihrer Art respectable Gelehrte sind, nur wird man sich
unter ihrem Wissen nicht entfernt das vorstellen dürfen, was wir Wissenschaft
nennen. Gern glauben wir ferner White, daß die Peroten im Allgemeinen
hundertmal unwissender, beschränkter und bigotter sind, als ihre türkischen
Mitbürger, und auch das Folgende mag im Wesentlichen richtig sein.

„Im Ganzen findet man weit mehr nützliche Bücher in türkischen als
in griechischen und armenischen Häusern. Desgleichen trifft man unter
den Frauen von Stambul mehr Bildung an als unter denen von
Pera. Zwar mag die Zahl der Türkinnen, welche lesen können, geringer
sein, als die der Perotinnen und Fanaritinnen, welche sich auf diese Kunst
verstehen. Erstere aber nehmen nie ein schlechtes Buch zur Hand, während
unter den letzteren kaum eine ist, die etwas Gutes liest, außer wenn sie ge¬
zwungen sind, sich mit dem Katechismus oder dem Brevier zu beschäftigen. Auch
muß bemerkt werden, daß während weder griechische noch armenische
Frauen literarisch thätig sind, Konstantinopel (der Verfasser meint den von
Türken bewohnten Theil auf der linken Seite des goldnen Horns) mehr als
eine Schriftstellerin auszuweisen hat. Unter die bekanntesten gehört die oben
erwähnten Leila Chauna. Ihre Gedichte sind hauptsächlich satirischen In¬
halts, und ihre spitze Feder wird von ihrem Geschlechte sehr gefürchtet; auch
ist sie ihrer Lieder wegen berühmt, die in Musik gesetzt und sehr populär sind."

Die Einrichtung öffentlicher Bibliotheken (Kitab Chane) in Konstantinopel
stammt aus den ersten Jahren nach der Eroberung. Die ersten osmanischen
Sultane, die es den Chalifen von Bagdad, ihren Vorgängern, gleichthun
wollten, suchten ihre Regierungen durch Aufmunterung und Belohnung von
Gelehrten und durch Gründung von Anstalten, wo deren Geisteserzeugnisse
für die Nachwelt aufbewahrt bleiben sollten, zu verherrlichen. Schon Mehemed
der Zweite brachte aus Brussa, Adrianopel und Damaskus eine hinlängliche
Anzahl Bücher zusammen, um die mit den Moscheen Ejub und Aja Sofia
und der von ihm selbst erbauten Moschee verbundenen Bibliotheken zu bilden.
Sein Beispiel wurde von seinen drei nächsten Nachfolgern, sowie später noch
von Osman dem Zweiten, Achmed dem Dritten, Mustapha dem Dritten,
Mahmud dem Ersten, Abdul Hamid und Abdul Medschid befolgt, und zwar


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[0476] Frau; aber ich glaube, wir müssen sehen, daß wir ihm eine Tscherkesfln verschaffen." Wie viel diesem gelehrten Türken seine Bibliothek, die nach White aus mehr als dreitausend Bänden juristischer und medicinischer Werke in tür¬ kischer . arabischer, französischer und italienischer Sprache bestand, wohl ge¬ nutzt haben mag? Bei Andern wird in Betreff ihrer fränkischen Bücher die¬ selbe Frage aufgeworfen werden dürfen. Dagegen wird zuzugeben sein, daß manche Türken in ihrer einheimischen Wissenschaft und Literatur wohl be¬ wandert und so in ihrer Art respectable Gelehrte sind, nur wird man sich unter ihrem Wissen nicht entfernt das vorstellen dürfen, was wir Wissenschaft nennen. Gern glauben wir ferner White, daß die Peroten im Allgemeinen hundertmal unwissender, beschränkter und bigotter sind, als ihre türkischen Mitbürger, und auch das Folgende mag im Wesentlichen richtig sein. „Im Ganzen findet man weit mehr nützliche Bücher in türkischen als in griechischen und armenischen Häusern. Desgleichen trifft man unter den Frauen von Stambul mehr Bildung an als unter denen von Pera. Zwar mag die Zahl der Türkinnen, welche lesen können, geringer sein, als die der Perotinnen und Fanaritinnen, welche sich auf diese Kunst verstehen. Erstere aber nehmen nie ein schlechtes Buch zur Hand, während unter den letzteren kaum eine ist, die etwas Gutes liest, außer wenn sie ge¬ zwungen sind, sich mit dem Katechismus oder dem Brevier zu beschäftigen. Auch muß bemerkt werden, daß während weder griechische noch armenische Frauen literarisch thätig sind, Konstantinopel (der Verfasser meint den von Türken bewohnten Theil auf der linken Seite des goldnen Horns) mehr als eine Schriftstellerin auszuweisen hat. Unter die bekanntesten gehört die oben erwähnten Leila Chauna. Ihre Gedichte sind hauptsächlich satirischen In¬ halts, und ihre spitze Feder wird von ihrem Geschlechte sehr gefürchtet; auch ist sie ihrer Lieder wegen berühmt, die in Musik gesetzt und sehr populär sind." Die Einrichtung öffentlicher Bibliotheken (Kitab Chane) in Konstantinopel stammt aus den ersten Jahren nach der Eroberung. Die ersten osmanischen Sultane, die es den Chalifen von Bagdad, ihren Vorgängern, gleichthun wollten, suchten ihre Regierungen durch Aufmunterung und Belohnung von Gelehrten und durch Gründung von Anstalten, wo deren Geisteserzeugnisse für die Nachwelt aufbewahrt bleiben sollten, zu verherrlichen. Schon Mehemed der Zweite brachte aus Brussa, Adrianopel und Damaskus eine hinlängliche Anzahl Bücher zusammen, um die mit den Moscheen Ejub und Aja Sofia und der von ihm selbst erbauten Moschee verbundenen Bibliotheken zu bilden. Sein Beispiel wurde von seinen drei nächsten Nachfolgern, sowie später noch von Osman dem Zweiten, Achmed dem Dritten, Mustapha dem Dritten, Mahmud dem Ersten, Abdul Hamid und Abdul Medschid befolgt, und zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/476>, abgerufen am 27.09.2024.