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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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vor dem Zelte der Ajescha, derjenigen von den Frauen des Propheten, ti?
er, obwohl sie es mit der Treue nicht genau nahm, am meisten liebte. Nach
Andern wäre der Sandschak Scherif anfänglich das Turbangewinde eines
zum Jünger bekehrten Gegners Muhamed's gewesen. Dieser Mann,
welcher den Namen Sedini führte, warf sich, statt nach dem Befehl der
Oberhäupter Mekkas den Propheten an der Spitze einer Reiterabtheilung an¬
zugreifen, vom Pferde auf die Knie, riß das Tuch vom Kopfe, heftete es an
die Spitze seiner Lanze und widmete es nebst seiner Person dem Dienste des
Gesandten Gottes. Die so entstandene Fahne wurde dadurch zum großen
Banner des Islams. Nachdem sie durch die Hände der Omajaden und
Abassiden gegangen und mit den letzteren von Bagdad nach Kairo gebracht
war, kam sie bei der Eroberung Aegyptens durch die Türken im Jahre 1317
in den Besitz Selims I., der sie in die große Moschee von Damaskus brachte.
Murad III., welcher glaubte, daß diese hochverehrte Reliquie, die inzwischen
alljährlich den Hadsch oder Zug der Mekkapilger begleitet hatte, zu politischen
Zwecken benutzt werden könnte, sei es, um die Widerspenstigen im Zaume
zu halten, sei es, um die Lauer zu erhitzen, ließ sie zu dem damals in
Ungarn stehenden Heere bringen, von wo man sie nach Beendigung des
Feldzugs nach Stambul schaffte. Hier traf sie unter der Obhut des be¬
rühmten Großwesirs Sinan Pascha und unter Bedeckung mehrerer Tausende
von Janitscharen und Emiren (Nachkommen des Propheten) ein, und von
dieser Zeit an verließ sie die Reichshauptstadt nur, wenn sich entweder der
Sultan oder der Großwesir in Person zu der im Felde stehenden Armee be¬
gab, oder wenn der Staat in Gefahr erklärt wurde, was 1826 während des
Kampfes Mahmud's mit den Janitscharen geschah. Sollte das Banner in
die Schlacht ziehen, so wurde es den tapfersten und Handsestesten Kämmer¬
lingen des Palastes nebst einer Wache von 300 auserlesenen Emiren anver¬
traut, die den Namen Sandschakdar führte. Gegenwärtig ist diese Reliquie
von ihrer Stange abgenommen und in einen mit Schildkrot, Perlmutter und
Edelsteinen ausgelegten Kasten von Rosenholz eingeschlossen. Sie ist ferner
In eine andere Fahne gewickelt, die dem Kalifen Omar gehört haben soll,
und diese ist wieder in vierzig Hüllen von reichen Stoffen gesteckt, deren
innerste aus grüner Seide besteht und die goldgestickte Inschrift zeigt:
"Maschallah! Ja, Hafis! Bismilla, al Rachman al Rehm". (Wie Gott will!
O Erhalter! Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Siegverleihers.)
Die Fahnenstange, die im Winkel neben dem Kasten steht, ist an der Spitze
mit einer hohlen vergoldeten Silberkugel versehen, in welche eine der Sage
nach von Omar herrührende Abschrift des Korans eingeschlossen ist. Eine
zweite Abschrift des "Buchs" ist in gleicher Weise im Knopf der zweiten Fahne
verwahrt und soll von Osman herrühren.




vor dem Zelte der Ajescha, derjenigen von den Frauen des Propheten, ti?
er, obwohl sie es mit der Treue nicht genau nahm, am meisten liebte. Nach
Andern wäre der Sandschak Scherif anfänglich das Turbangewinde eines
zum Jünger bekehrten Gegners Muhamed's gewesen. Dieser Mann,
welcher den Namen Sedini führte, warf sich, statt nach dem Befehl der
Oberhäupter Mekkas den Propheten an der Spitze einer Reiterabtheilung an¬
zugreifen, vom Pferde auf die Knie, riß das Tuch vom Kopfe, heftete es an
die Spitze seiner Lanze und widmete es nebst seiner Person dem Dienste des
Gesandten Gottes. Die so entstandene Fahne wurde dadurch zum großen
Banner des Islams. Nachdem sie durch die Hände der Omajaden und
Abassiden gegangen und mit den letzteren von Bagdad nach Kairo gebracht
war, kam sie bei der Eroberung Aegyptens durch die Türken im Jahre 1317
in den Besitz Selims I., der sie in die große Moschee von Damaskus brachte.
Murad III., welcher glaubte, daß diese hochverehrte Reliquie, die inzwischen
alljährlich den Hadsch oder Zug der Mekkapilger begleitet hatte, zu politischen
Zwecken benutzt werden könnte, sei es, um die Widerspenstigen im Zaume
zu halten, sei es, um die Lauer zu erhitzen, ließ sie zu dem damals in
Ungarn stehenden Heere bringen, von wo man sie nach Beendigung des
Feldzugs nach Stambul schaffte. Hier traf sie unter der Obhut des be¬
rühmten Großwesirs Sinan Pascha und unter Bedeckung mehrerer Tausende
von Janitscharen und Emiren (Nachkommen des Propheten) ein, und von
dieser Zeit an verließ sie die Reichshauptstadt nur, wenn sich entweder der
Sultan oder der Großwesir in Person zu der im Felde stehenden Armee be¬
gab, oder wenn der Staat in Gefahr erklärt wurde, was 1826 während des
Kampfes Mahmud's mit den Janitscharen geschah. Sollte das Banner in
die Schlacht ziehen, so wurde es den tapfersten und Handsestesten Kämmer¬
lingen des Palastes nebst einer Wache von 300 auserlesenen Emiren anver¬
traut, die den Namen Sandschakdar führte. Gegenwärtig ist diese Reliquie
von ihrer Stange abgenommen und in einen mit Schildkrot, Perlmutter und
Edelsteinen ausgelegten Kasten von Rosenholz eingeschlossen. Sie ist ferner
In eine andere Fahne gewickelt, die dem Kalifen Omar gehört haben soll,
und diese ist wieder in vierzig Hüllen von reichen Stoffen gesteckt, deren
innerste aus grüner Seide besteht und die goldgestickte Inschrift zeigt:
„Maschallah! Ja, Hafis! Bismilla, al Rachman al Rehm". (Wie Gott will!
O Erhalter! Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Siegverleihers.)
Die Fahnenstange, die im Winkel neben dem Kasten steht, ist an der Spitze
mit einer hohlen vergoldeten Silberkugel versehen, in welche eine der Sage
nach von Omar herrührende Abschrift des Korans eingeschlossen ist. Eine
zweite Abschrift des „Buchs" ist in gleicher Weise im Knopf der zweiten Fahne
verwahrt und soll von Osman herrühren.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/359>, abgerufen am 19.10.2024.