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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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nicht etwa blos zu Anfang -- zurückgewiesen. Gelaufe aber sind sie (dem
Vernehmen nach für 18 -- 19.000 Thaler). So versichert uns in der "Nattonal-
Zeitung" der göttinger Professor de Lagarde, und so erklärt im preußischen
Abgeordnetenhause der berliner Professor und Akademiker Mommsen, von dem
wir überdieß erfahren, daß die Kaufsumme "aus dem königlichen Unter¬
stützungsfond" genommen worden, daß ferner die Erwerbung von Seiten der
"Regierung" erfolgt ist, und daß dieselbe sich dabei "auf verschiedene sach¬
verständige Urtheile, namentlich auf das Gutachten des Nestors unsrer ara¬
bischen Wissenschaft, des Herrn Fleischer" gestützt hat. Es ist vielleicht neu¬
gierig, wenn man gern etwas Genaueres erfahren hätte, und es wäre vielleicht
hübsch, wenn man sich nicht mehr fragte: Für wen denn wurden die Moa-
bitica gekauft, wenn nicht für das Museum? -- Wer ist die "Regierung"?
Doch nicht ein ungreifbarer, unpersönlicher Allgemeinbegriff, ein Pudel ohne
Kern? -- Von wem endlich rührten die "verschiedenen sachverständigen Ur¬
theile" her? Blos von Fleischer und Schlottmann? Kein Berliner dabei?
Nicht auch Leute, die -- nun, ich will nicht wieder an den Vorgang von 1836
erinnern. Solche Betrachtungen sehen, wie gesagt, vielleicht neugierig und am
Ende gar boshaft aus, aber Liebhaber der Wahrheit und Gerechtigkeit sind
nun einmal so, und mir scheint fast, als ob sie ein gewisses Recht zu solchen
Fragen hätten, und als ob man wohl thäte, ihnen zu antworten, damit der
Verdacht sich nicht auf Größen richtet, die unschuldig sind an dieser ungeheuer¬
lichen Tragikomödie.

Aber Verzeihung für diese Vorausnahme späterer Ereignisse und Auf¬
schlüsse, und kehren wir zu unsrer Geschichte 'zurück. Noch waren manche
Gelehrte, da die Funde aus der Bella nicht recht zugänglich und nur wenige Ab¬
bildungen der Inschriften und Figuren vorhanden waren, nicht weiter als bis zu
starken Zweifeln gelangt, noch waren die Herren Weser und Schlottmann, von
denen der letztere sich inzwischen an die Entzifferung der Charaktere auf seinen
Schätzen gemacht hatte und einige Sätzchen herausgebracht haben wollte, dem
Anschein nach vollkommen siegesgewtß, als sie und ihre Gönner am 24. Ja¬
nuar 1874 ein schwerer Schlag traf. An diesem Tage nämlich veröffent¬
lichte Herr Clermont-Ganneau. damals Beamter beim französischen Consulat
w Jerusalem, im "Athenäum" das Ergebniß gewisser Nachforschungen, die
er in Betreff der Moabitica in den Töpfereien der heiligen Stadt angestellt
hatte. Dieses Ergebniß lautete, kurz zusammengefaßt, etwa folgendermaßen.
Ein früherer Diener Ganneau's, eine Art arabischer Simonides, schlau, ge¬
wandt, phantasiereich, Selim el Gari geheißen, hatte die Moabitica mit Hülfe
von zwei Töpfern, Abd el Ball und Achmed el Alawije, angefertigt und an
Schapira verkauft.

Für unbefangene Gemüther schien es jetzt nur noch die Alternative zu


nicht etwa blos zu Anfang — zurückgewiesen. Gelaufe aber sind sie (dem
Vernehmen nach für 18 — 19.000 Thaler). So versichert uns in der „Nattonal-
Zeitung" der göttinger Professor de Lagarde, und so erklärt im preußischen
Abgeordnetenhause der berliner Professor und Akademiker Mommsen, von dem
wir überdieß erfahren, daß die Kaufsumme „aus dem königlichen Unter¬
stützungsfond" genommen worden, daß ferner die Erwerbung von Seiten der
„Regierung" erfolgt ist, und daß dieselbe sich dabei „auf verschiedene sach¬
verständige Urtheile, namentlich auf das Gutachten des Nestors unsrer ara¬
bischen Wissenschaft, des Herrn Fleischer" gestützt hat. Es ist vielleicht neu¬
gierig, wenn man gern etwas Genaueres erfahren hätte, und es wäre vielleicht
hübsch, wenn man sich nicht mehr fragte: Für wen denn wurden die Moa-
bitica gekauft, wenn nicht für das Museum? — Wer ist die „Regierung"?
Doch nicht ein ungreifbarer, unpersönlicher Allgemeinbegriff, ein Pudel ohne
Kern? — Von wem endlich rührten die „verschiedenen sachverständigen Ur¬
theile" her? Blos von Fleischer und Schlottmann? Kein Berliner dabei?
Nicht auch Leute, die — nun, ich will nicht wieder an den Vorgang von 1836
erinnern. Solche Betrachtungen sehen, wie gesagt, vielleicht neugierig und am
Ende gar boshaft aus, aber Liebhaber der Wahrheit und Gerechtigkeit sind
nun einmal so, und mir scheint fast, als ob sie ein gewisses Recht zu solchen
Fragen hätten, und als ob man wohl thäte, ihnen zu antworten, damit der
Verdacht sich nicht auf Größen richtet, die unschuldig sind an dieser ungeheuer¬
lichen Tragikomödie.

Aber Verzeihung für diese Vorausnahme späterer Ereignisse und Auf¬
schlüsse, und kehren wir zu unsrer Geschichte 'zurück. Noch waren manche
Gelehrte, da die Funde aus der Bella nicht recht zugänglich und nur wenige Ab¬
bildungen der Inschriften und Figuren vorhanden waren, nicht weiter als bis zu
starken Zweifeln gelangt, noch waren die Herren Weser und Schlottmann, von
denen der letztere sich inzwischen an die Entzifferung der Charaktere auf seinen
Schätzen gemacht hatte und einige Sätzchen herausgebracht haben wollte, dem
Anschein nach vollkommen siegesgewtß, als sie und ihre Gönner am 24. Ja¬
nuar 1874 ein schwerer Schlag traf. An diesem Tage nämlich veröffent¬
lichte Herr Clermont-Ganneau. damals Beamter beim französischen Consulat
w Jerusalem, im „Athenäum" das Ergebniß gewisser Nachforschungen, die
er in Betreff der Moabitica in den Töpfereien der heiligen Stadt angestellt
hatte. Dieses Ergebniß lautete, kurz zusammengefaßt, etwa folgendermaßen.
Ein früherer Diener Ganneau's, eine Art arabischer Simonides, schlau, ge¬
wandt, phantasiereich, Selim el Gari geheißen, hatte die Moabitica mit Hülfe
von zwei Töpfern, Abd el Ball und Achmed el Alawije, angefertigt und an
Schapira verkauft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/89>, abgerufen am 27.07.2024.