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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Insassen, als den Besitzer mit seiner Familie, welcher den obern Theil inne
hatte, uns und den Gärtner, der in einem Häuschen dicht beim Garten
wohnte. Wir besaßen für unsre Miethe das ganze Erdgeschoß und das volle
Recht aus die Blumen und Früchte des Gartens mit alleiniger Ausnahme
der Orangen und Limonen, eines sehr werthvollen Products, welches der
Besitzer für sich reservirte; doch überließ er uns auch von diesen Bäumen
einige zu unserm Gebrauche. Die Bevölkerung der Straße, in welcher unser
Landhaus lag, schien sehr ruhiger Natur zu sein, und wir bemerkten, daß
die niedere Klasse sich sehr achtungsvoll gegen die in ihr wohnenden Leute
besseren Standes und den hier residirenden Adel benahm. Sie bestand meist
aus den Gärtnern der verschiedenen Grundeigenthümer (denn jedes Haus hatte
hinter sich einen schönen Garten und bisweilen beträchtliche Feldgrundstücke,
die sich nach den drei Meilen entfernten Bergen hin ausdehnten) oder Karren¬
führern, Grobschmieden und Mehärzten, außerdem aber aus einer scheinbar
recht faulen Menge von Tagelöhnern, die während des Tages nichts oder
wenig mehr thaten, als daß sie in den Weinschenken und Barbierstuben der
Nachbarschaft herumlungerten. Man theilte mir mit, daß der uns zunächst
wohnende Barbier und unser Gärtner die geachtetsten und gefürchtetsten Per¬
sönlichkeiten unter ihnen seien.

Ein paar Tage, nachdem ich meineMohnung in der Villa aufgeschlagen
hatte, sah ich unsern Gärtner allein im Garten, und da ich mit ihm eine
Unterhaltung zu haben wünschte, ging ich auf einer dorthin führenden Neben¬
treppe zu ihm hinunter. In dem Augenblicke, wo er meiner gewahr wurde,
kam er, den Hut in der Hand, aus mich zu und richtete den üblichen Gruß
dieser Menschenklasse an mich: "Lege mich Euer Excellenz zu Füßen. Haben
Sie irgend welche Befehle für mich."

"Guten Morgen," sagte ich. "Wie geht es Euch, Zu Paulu?*). Was
macht Eure Familie?" Man muß nämlich diese Leute stets nach ihrer Fa¬
milie fragen, gleichviel, ob man dieselbe kennt oder nicht.

Zu Paulu war ein echtes Exemplar des sicilischen Gärtners, besonders
desjenigen, der das Thal von Palermo bewohnt und hier in den Villen
und aus den Landgütern des Adels und anderer Grundbesitzer dient. Er
verband in seiner Person die verschiedenen Berufsarten eines Gärtners, Jägers,
Wächters und Hauptmanns der Mafiusi unter den Feldarbeitern und andern
Dienstleuten seines Herrn und außerdem noch viele andere. Er war ein
kurzgewachsener, untersetzter Mann mit einem kleinen Kopfe und kohlschwarzen
Haaren, die sehr kurzabgeschoren waren, ausgenommen zwei Locken, die von
seinen Schläfen ausgingen und bis auf seine Backenknochen herabhingen, wo



") Zu ist das schristitalienische Zio (Onkel) im sicilischen Dialekt. Man redet damit alle
älteren Leute der Arbeiterklasse, vorzüglich Gärtner und Bauern, an.

Insassen, als den Besitzer mit seiner Familie, welcher den obern Theil inne
hatte, uns und den Gärtner, der in einem Häuschen dicht beim Garten
wohnte. Wir besaßen für unsre Miethe das ganze Erdgeschoß und das volle
Recht aus die Blumen und Früchte des Gartens mit alleiniger Ausnahme
der Orangen und Limonen, eines sehr werthvollen Products, welches der
Besitzer für sich reservirte; doch überließ er uns auch von diesen Bäumen
einige zu unserm Gebrauche. Die Bevölkerung der Straße, in welcher unser
Landhaus lag, schien sehr ruhiger Natur zu sein, und wir bemerkten, daß
die niedere Klasse sich sehr achtungsvoll gegen die in ihr wohnenden Leute
besseren Standes und den hier residirenden Adel benahm. Sie bestand meist
aus den Gärtnern der verschiedenen Grundeigenthümer (denn jedes Haus hatte
hinter sich einen schönen Garten und bisweilen beträchtliche Feldgrundstücke,
die sich nach den drei Meilen entfernten Bergen hin ausdehnten) oder Karren¬
führern, Grobschmieden und Mehärzten, außerdem aber aus einer scheinbar
recht faulen Menge von Tagelöhnern, die während des Tages nichts oder
wenig mehr thaten, als daß sie in den Weinschenken und Barbierstuben der
Nachbarschaft herumlungerten. Man theilte mir mit, daß der uns zunächst
wohnende Barbier und unser Gärtner die geachtetsten und gefürchtetsten Per¬
sönlichkeiten unter ihnen seien.

Ein paar Tage, nachdem ich meineMohnung in der Villa aufgeschlagen
hatte, sah ich unsern Gärtner allein im Garten, und da ich mit ihm eine
Unterhaltung zu haben wünschte, ging ich auf einer dorthin führenden Neben¬
treppe zu ihm hinunter. In dem Augenblicke, wo er meiner gewahr wurde,
kam er, den Hut in der Hand, aus mich zu und richtete den üblichen Gruß
dieser Menschenklasse an mich: „Lege mich Euer Excellenz zu Füßen. Haben
Sie irgend welche Befehle für mich."

„Guten Morgen," sagte ich. „Wie geht es Euch, Zu Paulu?*). Was
macht Eure Familie?" Man muß nämlich diese Leute stets nach ihrer Fa¬
milie fragen, gleichviel, ob man dieselbe kennt oder nicht.

Zu Paulu war ein echtes Exemplar des sicilischen Gärtners, besonders
desjenigen, der das Thal von Palermo bewohnt und hier in den Villen
und aus den Landgütern des Adels und anderer Grundbesitzer dient. Er
verband in seiner Person die verschiedenen Berufsarten eines Gärtners, Jägers,
Wächters und Hauptmanns der Mafiusi unter den Feldarbeitern und andern
Dienstleuten seines Herrn und außerdem noch viele andere. Er war ein
kurzgewachsener, untersetzter Mann mit einem kleinen Kopfe und kohlschwarzen
Haaren, die sehr kurzabgeschoren waren, ausgenommen zwei Locken, die von
seinen Schläfen ausgingen und bis auf seine Backenknochen herabhingen, wo



") Zu ist das schristitalienische Zio (Onkel) im sicilischen Dialekt. Man redet damit alle
älteren Leute der Arbeiterklasse, vorzüglich Gärtner und Bauern, an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/64>, abgerufen am 27.11.2024.