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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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glücklichen Geschichte erwachsenen rechtlichen und moralischen Hindernisse um
jeden Preis herbeiführen will. Aber deswegen ist das neue deutsche Reich doch
kein Föderativstaat, wie das alte durch den westfälischen Frieden wurde und
zu den Zeiten des Bundestags sich zum consequenten staatlichen Elend ent¬
faltet hatte. Den Versassungscharakter des heutigen deutschen Reiches hat
am Zutreffendsten sein Stifter ausgesprochen, indem er es mit dem Ver¬
hältniß der römischen Republik zu ihren italienischen Bundesgenossen verglich,
ein Verhältniß, welches Jahrhunderte lang zu Nutz und Frommen des
Staates, der den Planeten darstellte, und derjenigen, welche die Trabanten
bildeten, bestanden hat. Wenn übrigens Herr von Nathusius zur Aussöh¬
nung mit den Welsen vorschlägt, die braunschweigische Erbfolge bei den
Welsen zu erhalten, so kann das ja geschehen, wenn jenes Haus die neuen
Zustände anerkennen will. (Auch dann nicht. D. Red.)

Endlich giebt uns Herr von Nathusius auch sein Programm der aus¬
wärtigen Politik. Er meint, es sei die Zeit gekommen, wo Genie und Ueber¬
bieten in diplomatischen Schachzügen uns die erworbene Stellung nicht mehr
sichern könne. Es komme jetzt darauf an, die Welt zu überzeugen, daß wir
nichts wollen, als im Dreikaiserbund den Frieden um seiner selbst willen be¬
wahren. Wer aber könne diese Ueberzeugung der Nachbarschaft besser beibringen,
als eine conservative Regierung?

Ja das glauben wir auch. Es ist die reine Politik der heiligen Allianz.
Die Politik der Abspannung und Faulheit, welche die größten Interessen
Deutschlands opfert, welche den faulsten Frieden und die schlechtesten Zustände
conservirt, weil sie kein Ziel hat als den Frieden um seiner selbst willen.
Diese Politik der Preisgebung der eignen Staatsinteressen wird wenig ver¬
deckt dadurch, daß Herr von Nathusius einige Vorschläge im Styl von Hans
Bendir macht, mit der Sonne zu satteln und zu reiten. Da soll zwischen
Oesterreich und Rußland ein gutes Einvernehmen gepflegt werden und das
Gewicht Deutschlands für den friedlichen Ausgleich der feindlichen englischen
und russischen Interessen in die Wagschale geworfen; damit soll gleichzeitig
die französische Politik in Schach gehalten und das russische Kabinet vor
dem Gedanken bewahrt werden, daß sein Interesse weniger als das deutsche
den Dreikaiserbund erfordere.

Ja, Herr v. Nathusius, wenn die conservative Partei nicht etwa den
reinen Zauber besitzt, so wird es zur Durchführung einer solchen Politik doch
wohl am Ende auf Genie und Ueberbieten in diplomatischen Schachzügen
ankommen, damit aber der angeblich conservative Charakter der auswärtigen
'Politik, d. h. der Charakter der Faulheit und der Erhaltung a Wut xrix,
verloren gehen.

Um uns nichts von den schönen Zeiten des Bundestages zu ersparen


glücklichen Geschichte erwachsenen rechtlichen und moralischen Hindernisse um
jeden Preis herbeiführen will. Aber deswegen ist das neue deutsche Reich doch
kein Föderativstaat, wie das alte durch den westfälischen Frieden wurde und
zu den Zeiten des Bundestags sich zum consequenten staatlichen Elend ent¬
faltet hatte. Den Versassungscharakter des heutigen deutschen Reiches hat
am Zutreffendsten sein Stifter ausgesprochen, indem er es mit dem Ver¬
hältniß der römischen Republik zu ihren italienischen Bundesgenossen verglich,
ein Verhältniß, welches Jahrhunderte lang zu Nutz und Frommen des
Staates, der den Planeten darstellte, und derjenigen, welche die Trabanten
bildeten, bestanden hat. Wenn übrigens Herr von Nathusius zur Aussöh¬
nung mit den Welsen vorschlägt, die braunschweigische Erbfolge bei den
Welsen zu erhalten, so kann das ja geschehen, wenn jenes Haus die neuen
Zustände anerkennen will. (Auch dann nicht. D. Red.)

Endlich giebt uns Herr von Nathusius auch sein Programm der aus¬
wärtigen Politik. Er meint, es sei die Zeit gekommen, wo Genie und Ueber¬
bieten in diplomatischen Schachzügen uns die erworbene Stellung nicht mehr
sichern könne. Es komme jetzt darauf an, die Welt zu überzeugen, daß wir
nichts wollen, als im Dreikaiserbund den Frieden um seiner selbst willen be¬
wahren. Wer aber könne diese Ueberzeugung der Nachbarschaft besser beibringen,
als eine conservative Regierung?

Ja das glauben wir auch. Es ist die reine Politik der heiligen Allianz.
Die Politik der Abspannung und Faulheit, welche die größten Interessen
Deutschlands opfert, welche den faulsten Frieden und die schlechtesten Zustände
conservirt, weil sie kein Ziel hat als den Frieden um seiner selbst willen.
Diese Politik der Preisgebung der eignen Staatsinteressen wird wenig ver¬
deckt dadurch, daß Herr von Nathusius einige Vorschläge im Styl von Hans
Bendir macht, mit der Sonne zu satteln und zu reiten. Da soll zwischen
Oesterreich und Rußland ein gutes Einvernehmen gepflegt werden und das
Gewicht Deutschlands für den friedlichen Ausgleich der feindlichen englischen
und russischen Interessen in die Wagschale geworfen; damit soll gleichzeitig
die französische Politik in Schach gehalten und das russische Kabinet vor
dem Gedanken bewahrt werden, daß sein Interesse weniger als das deutsche
den Dreikaiserbund erfordere.

Ja, Herr v. Nathusius, wenn die conservative Partei nicht etwa den
reinen Zauber besitzt, so wird es zur Durchführung einer solchen Politik doch
wohl am Ende auf Genie und Ueberbieten in diplomatischen Schachzügen
ankommen, damit aber der angeblich conservative Charakter der auswärtigen
'Politik, d. h. der Charakter der Faulheit und der Erhaltung a Wut xrix,
verloren gehen.

Um uns nichts von den schönen Zeiten des Bundestages zu ersparen


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[0521] glücklichen Geschichte erwachsenen rechtlichen und moralischen Hindernisse um jeden Preis herbeiführen will. Aber deswegen ist das neue deutsche Reich doch kein Föderativstaat, wie das alte durch den westfälischen Frieden wurde und zu den Zeiten des Bundestags sich zum consequenten staatlichen Elend ent¬ faltet hatte. Den Versassungscharakter des heutigen deutschen Reiches hat am Zutreffendsten sein Stifter ausgesprochen, indem er es mit dem Ver¬ hältniß der römischen Republik zu ihren italienischen Bundesgenossen verglich, ein Verhältniß, welches Jahrhunderte lang zu Nutz und Frommen des Staates, der den Planeten darstellte, und derjenigen, welche die Trabanten bildeten, bestanden hat. Wenn übrigens Herr von Nathusius zur Aussöh¬ nung mit den Welsen vorschlägt, die braunschweigische Erbfolge bei den Welsen zu erhalten, so kann das ja geschehen, wenn jenes Haus die neuen Zustände anerkennen will. (Auch dann nicht. D. Red.) Endlich giebt uns Herr von Nathusius auch sein Programm der aus¬ wärtigen Politik. Er meint, es sei die Zeit gekommen, wo Genie und Ueber¬ bieten in diplomatischen Schachzügen uns die erworbene Stellung nicht mehr sichern könne. Es komme jetzt darauf an, die Welt zu überzeugen, daß wir nichts wollen, als im Dreikaiserbund den Frieden um seiner selbst willen be¬ wahren. Wer aber könne diese Ueberzeugung der Nachbarschaft besser beibringen, als eine conservative Regierung? Ja das glauben wir auch. Es ist die reine Politik der heiligen Allianz. Die Politik der Abspannung und Faulheit, welche die größten Interessen Deutschlands opfert, welche den faulsten Frieden und die schlechtesten Zustände conservirt, weil sie kein Ziel hat als den Frieden um seiner selbst willen. Diese Politik der Preisgebung der eignen Staatsinteressen wird wenig ver¬ deckt dadurch, daß Herr von Nathusius einige Vorschläge im Styl von Hans Bendir macht, mit der Sonne zu satteln und zu reiten. Da soll zwischen Oesterreich und Rußland ein gutes Einvernehmen gepflegt werden und das Gewicht Deutschlands für den friedlichen Ausgleich der feindlichen englischen und russischen Interessen in die Wagschale geworfen; damit soll gleichzeitig die französische Politik in Schach gehalten und das russische Kabinet vor dem Gedanken bewahrt werden, daß sein Interesse weniger als das deutsche den Dreikaiserbund erfordere. Ja, Herr v. Nathusius, wenn die conservative Partei nicht etwa den reinen Zauber besitzt, so wird es zur Durchführung einer solchen Politik doch wohl am Ende auf Genie und Ueberbieten in diplomatischen Schachzügen ankommen, damit aber der angeblich conservative Charakter der auswärtigen 'Politik, d. h. der Charakter der Faulheit und der Erhaltung a Wut xrix, verloren gehen. Um uns nichts von den schönen Zeiten des Bundestages zu ersparen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/521>, abgerufen am 27.11.2024.