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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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fällt der Samen auf diese Unterlage. Dann muß er mit dieser aufgehoben
werden und zwar vor Sonnenaufgang und ohne daß man ihn berührt; denn
sonst verschwindet er. Auch ist noch zu beobachten, daß der Stein, mit dem
man die Unterlage beschwert hat, nicht bergan weggeworfen werden darf,
weil sonst den Sammler schweres Unglück treffen würde.

In Schwaben muß man sich, um Faarsamen zu bekommen, an den
Teufel wenden und schwere Proben bestehen. Zunächst darf man vier Wochen
vor Weihnachten, während der ganzen Adventszeit, kein Gebet verrichten und
keine Kirche besuchen, sondern muß stets an den Teufel denken und den
Wunsch sich durch den Sinn gehen lassen, daß einem derselbe zu Geld ver¬
helfen möge. Dann begiebt man sich in der Christnacht zwischen elf und
zwölf Uhr auf einen Kreuzweg, über den schon Leichen zum Gottesacker ge¬
führt worden sind. Hier gehen nun allerlei Spuckgestalten an dem Zaubern¬
den vorüber: verstorbene Bekannte und Verwandte, Doppelgänger von
noch lebenden Freunden u. d., die ihn fragen, was er da treibe und
ihn sonst zum Reden zu bringen suchen. Dann umtanzen einen mit
allerlei Possen und Grimassen kleine Teufelchen und Kobolde in der Ab¬
sicht, den Menschen, welcher der Hölle den köstlichen Samen abgewinnen will,
zum Lachen zu verleiten und ihm so das Spiel zu verderben. Denn wer
alsdann nur ein Wort spricht oder die Miene zum Lachen verzieht, wird auf
der Stelle vom Teufel zerrissen. Hat man aber diese Proben gelassen bestan¬
den und still und stumm bis Schlag zwölf Uhr gewartet, so kommt zuletzt
ein grüner Jäger, der Teufel, der reicht einem eine Papierdüte voll Faar¬
samen, den man wohl verwahren und sein Leben lang bei sich tragen muß.
Mehrere Beispiele werden erzählt, wo Burschen das Wagniß unternahmen,
aber nicht bestanden, da sie vor den Gespenstern, die ihnen erschienen, davon
liefen. Dagegen soll ein Holzhauer zu Rotenburg a. N. den Faarsamen
erlangt und dann täglich fünfhundert Büschel Holz im Walde fertig zu
machen vermocht haben. Auch ein dortiger Webergesell hatte sich den Farn¬
samen "auf seine Profession" geholt. (Jeder kann ihn nur für das Hand¬
werk bekommen, das er betreibt.) Er arbeitete dann nur am Sonnabend,
webte aber an diesem einen Tage mehr als ein anderer geschickter Weber in
einer ganzen Woche. Nur hielt seine Arbeit nicht, wenn sie mit heiligen
Dingen in Berührung kam, und so passirte folgende Geschichte. Als einst in
der Adventszeit dieser Gesell an einem einzigen Tage ein Stück Leinwand von
hundert Ellen Länge gewebt hatte und seine Meisterin es noch denselben
Abend abliefern wollte, kam sie damit an der Edinger Kirche vorbei, und als
sie dort zum heiligen Segen schellen hörte, stellte sie ihren Glätten (Korb)
mit der Leinwand hin, kniete nieder und empfing den Segen. Sie wollte


fällt der Samen auf diese Unterlage. Dann muß er mit dieser aufgehoben
werden und zwar vor Sonnenaufgang und ohne daß man ihn berührt; denn
sonst verschwindet er. Auch ist noch zu beobachten, daß der Stein, mit dem
man die Unterlage beschwert hat, nicht bergan weggeworfen werden darf,
weil sonst den Sammler schweres Unglück treffen würde.

In Schwaben muß man sich, um Faarsamen zu bekommen, an den
Teufel wenden und schwere Proben bestehen. Zunächst darf man vier Wochen
vor Weihnachten, während der ganzen Adventszeit, kein Gebet verrichten und
keine Kirche besuchen, sondern muß stets an den Teufel denken und den
Wunsch sich durch den Sinn gehen lassen, daß einem derselbe zu Geld ver¬
helfen möge. Dann begiebt man sich in der Christnacht zwischen elf und
zwölf Uhr auf einen Kreuzweg, über den schon Leichen zum Gottesacker ge¬
führt worden sind. Hier gehen nun allerlei Spuckgestalten an dem Zaubern¬
den vorüber: verstorbene Bekannte und Verwandte, Doppelgänger von
noch lebenden Freunden u. d., die ihn fragen, was er da treibe und
ihn sonst zum Reden zu bringen suchen. Dann umtanzen einen mit
allerlei Possen und Grimassen kleine Teufelchen und Kobolde in der Ab¬
sicht, den Menschen, welcher der Hölle den köstlichen Samen abgewinnen will,
zum Lachen zu verleiten und ihm so das Spiel zu verderben. Denn wer
alsdann nur ein Wort spricht oder die Miene zum Lachen verzieht, wird auf
der Stelle vom Teufel zerrissen. Hat man aber diese Proben gelassen bestan¬
den und still und stumm bis Schlag zwölf Uhr gewartet, so kommt zuletzt
ein grüner Jäger, der Teufel, der reicht einem eine Papierdüte voll Faar¬
samen, den man wohl verwahren und sein Leben lang bei sich tragen muß.
Mehrere Beispiele werden erzählt, wo Burschen das Wagniß unternahmen,
aber nicht bestanden, da sie vor den Gespenstern, die ihnen erschienen, davon
liefen. Dagegen soll ein Holzhauer zu Rotenburg a. N. den Faarsamen
erlangt und dann täglich fünfhundert Büschel Holz im Walde fertig zu
machen vermocht haben. Auch ein dortiger Webergesell hatte sich den Farn¬
samen „auf seine Profession" geholt. (Jeder kann ihn nur für das Hand¬
werk bekommen, das er betreibt.) Er arbeitete dann nur am Sonnabend,
webte aber an diesem einen Tage mehr als ein anderer geschickter Weber in
einer ganzen Woche. Nur hielt seine Arbeit nicht, wenn sie mit heiligen
Dingen in Berührung kam, und so passirte folgende Geschichte. Als einst in
der Adventszeit dieser Gesell an einem einzigen Tage ein Stück Leinwand von
hundert Ellen Länge gewebt hatte und seine Meisterin es noch denselben
Abend abliefern wollte, kam sie damit an der Edinger Kirche vorbei, und als
sie dort zum heiligen Segen schellen hörte, stellte sie ihren Glätten (Korb)
mit der Leinwand hin, kniete nieder und empfing den Segen. Sie wollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/497>, abgerufen am 23.11.2024.