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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Die IcmberpsianM im Volksglauben.

Die heutige Nacht, die Johannisnacht, ist eine der drei großen Nächte
des deutschen Aberglaubens, des neben dem Christenthum und der modernen
Bildung hergehenden, zum Schatten gewordenen, verblaßten und verdunkelten,
aber immer noch erkennbaren und vielfach wirksamen deutschen Heidenthums
mit seinen Göttern, seinem Cultus und seinem Zauberwesen. Sie und der
ihr folgende Tag vereinigen in sich alle Reste, die uns aus der Urzeit her
von der Feier des Mittsommertages oder der sommerlichen Sonnenwende
überliefert worden sind. In jener Urzeit unseres Bolksthums dachte man
in der Periode, wo der Tag seine größte Länge erreicht, die übernatürlichen
Mächte, die guten wie die bösen, besonders rege und mit besonderer Deutlich,
keit und Stärke in Wald und Feld waltend. Es war leichter wie sonst, sich
ihren Beistand und ihre Gaben zu gewinnen, aber auch gefährlicher wie sonst,
sich dem Bereiche derer, die für menschenfeindlich galten, zu nähern. Die
Kirche, welche die Heiden taufte, vermochte diesen Glauben nicht auszurotten,
sie konnte ihn nur umgestalten. Sie erklärte die Götter für Teufel, nahm
^er Züge von ihnen in ihre Heiligen auf. Der alte Cultus wurde zu gott¬
losem Brauch oder setzte sich, den ihn Beobachtenden immer unbewußter, als
harmloses Volksfest in Begleitung eines kirchlichen Feiertags, hier und da auch
uur als Kinderspiel fort. Andere religiöse Handlungen, solche namentlich,
die auf Sicherung von Leben und Gesundheit, von Haus, Stall und Feld
vor unholden Gewalten, auf Gewinnung von übernatürlichen Eigenschaften
und auf Erforschung der Zukunft abzielten, nahmen den Charakter mehr oder
minder unerlaubten Zaubers an. Die ursprünglich heilige Zeit wurde zu
^ner unheimlichen, die aber doch für Altgläubige, ohne daß sie recht wußten,
wie und warum, neben allerhand Gefahr und Schaden noch manche Gabe
und manchen Schatz in sich barg.

Nun fallen der Johannistag und die ihm vorausgehende Nacht in die


Trenzbotm II. 187K.
Die IcmberpsianM im Volksglauben.

Die heutige Nacht, die Johannisnacht, ist eine der drei großen Nächte
des deutschen Aberglaubens, des neben dem Christenthum und der modernen
Bildung hergehenden, zum Schatten gewordenen, verblaßten und verdunkelten,
aber immer noch erkennbaren und vielfach wirksamen deutschen Heidenthums
mit seinen Göttern, seinem Cultus und seinem Zauberwesen. Sie und der
ihr folgende Tag vereinigen in sich alle Reste, die uns aus der Urzeit her
von der Feier des Mittsommertages oder der sommerlichen Sonnenwende
überliefert worden sind. In jener Urzeit unseres Bolksthums dachte man
in der Periode, wo der Tag seine größte Länge erreicht, die übernatürlichen
Mächte, die guten wie die bösen, besonders rege und mit besonderer Deutlich,
keit und Stärke in Wald und Feld waltend. Es war leichter wie sonst, sich
ihren Beistand und ihre Gaben zu gewinnen, aber auch gefährlicher wie sonst,
sich dem Bereiche derer, die für menschenfeindlich galten, zu nähern. Die
Kirche, welche die Heiden taufte, vermochte diesen Glauben nicht auszurotten,
sie konnte ihn nur umgestalten. Sie erklärte die Götter für Teufel, nahm
^er Züge von ihnen in ihre Heiligen auf. Der alte Cultus wurde zu gott¬
losem Brauch oder setzte sich, den ihn Beobachtenden immer unbewußter, als
harmloses Volksfest in Begleitung eines kirchlichen Feiertags, hier und da auch
uur als Kinderspiel fort. Andere religiöse Handlungen, solche namentlich,
die auf Sicherung von Leben und Gesundheit, von Haus, Stall und Feld
vor unholden Gewalten, auf Gewinnung von übernatürlichen Eigenschaften
und auf Erforschung der Zukunft abzielten, nahmen den Charakter mehr oder
minder unerlaubten Zaubers an. Die ursprünglich heilige Zeit wurde zu
^ner unheimlichen, die aber doch für Altgläubige, ohne daß sie recht wußten,
wie und warum, neben allerhand Gefahr und Schaden noch manche Gabe
und manchen Schatz in sich barg.

Nun fallen der Johannistag und die ihm vorausgehende Nacht in die


Trenzbotm II. 187K.
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[0485] Die IcmberpsianM im Volksglauben. Die heutige Nacht, die Johannisnacht, ist eine der drei großen Nächte des deutschen Aberglaubens, des neben dem Christenthum und der modernen Bildung hergehenden, zum Schatten gewordenen, verblaßten und verdunkelten, aber immer noch erkennbaren und vielfach wirksamen deutschen Heidenthums mit seinen Göttern, seinem Cultus und seinem Zauberwesen. Sie und der ihr folgende Tag vereinigen in sich alle Reste, die uns aus der Urzeit her von der Feier des Mittsommertages oder der sommerlichen Sonnenwende überliefert worden sind. In jener Urzeit unseres Bolksthums dachte man in der Periode, wo der Tag seine größte Länge erreicht, die übernatürlichen Mächte, die guten wie die bösen, besonders rege und mit besonderer Deutlich, keit und Stärke in Wald und Feld waltend. Es war leichter wie sonst, sich ihren Beistand und ihre Gaben zu gewinnen, aber auch gefährlicher wie sonst, sich dem Bereiche derer, die für menschenfeindlich galten, zu nähern. Die Kirche, welche die Heiden taufte, vermochte diesen Glauben nicht auszurotten, sie konnte ihn nur umgestalten. Sie erklärte die Götter für Teufel, nahm ^er Züge von ihnen in ihre Heiligen auf. Der alte Cultus wurde zu gott¬ losem Brauch oder setzte sich, den ihn Beobachtenden immer unbewußter, als harmloses Volksfest in Begleitung eines kirchlichen Feiertags, hier und da auch uur als Kinderspiel fort. Andere religiöse Handlungen, solche namentlich, die auf Sicherung von Leben und Gesundheit, von Haus, Stall und Feld vor unholden Gewalten, auf Gewinnung von übernatürlichen Eigenschaften und auf Erforschung der Zukunft abzielten, nahmen den Charakter mehr oder minder unerlaubten Zaubers an. Die ursprünglich heilige Zeit wurde zu ^ner unheimlichen, die aber doch für Altgläubige, ohne daß sie recht wußten, wie und warum, neben allerhand Gefahr und Schaden noch manche Gabe und manchen Schatz in sich barg. Nun fallen der Johannistag und die ihm vorausgehende Nacht in die Trenzbotm II. 187K.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/485>, abgerufen am 27.11.2024.