Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Herren und Damen werden sich Tags darauf sogleich auf den Weg
machen, um gegen das Ende der Woche in Mannheim einzutreffen."

Da nach Jffland's Bericht dieses Eintreffen an einem Sonntag erfolgte,
so kann dieser nur der 3. Oetober 1779 gewesen sein. Man war also damals
von Gotha nach Mannheim fünf Tage unterwegs! -- Götter's nächster Brief
(vom 8. Februar 1780) beginnt mit einer Entschuldigung, daß er seine von
Dalberg erbetene Bearbeitung von Gozzi's "öffentlichem Geheimniß" sehr ver¬
spätet einsende, aber "er sei Bräutigam!" -- In der That heirathete er am
30. März 1780 die Tochter des Hofraths Stieler zu Gotha, -- "die sanfteste
der Weiberseelen" wie er selbst sie in einem Gedichte nannte. Ein Kind aus
dieser Ehe, die am 29. Decbr. 1787 geborene Pauline, wurde 1812 die zweite
Gattin des Philosophen Schelling.

Die Fortsetzung eben jenes Briefes von Götter lehrt, wer der am meisten
verschuldete der neuen Mannheimer Schauspieler war:

"Daß Island sein Anliegen wegen des noch hier zurückstehender Wech¬
sels Euer Hochwohlgeb. zu entdecken gewagt hat, freut mich eben so sehr,
als herzlich ich bedaure, aus der oben berührten Ursache außer Stand zu
seyn, ihm diese Last zu erleichtern. Ich kann nichts, als ihn in Euer Hoch¬
wohlgeb. mir bekannte Großmuth empfehlen.

Zum neuen Producte*), das Ew. Hochwohlgeb. die Gnade gehabt haben,
mir mitzutheilen, wünsche ich Ihrer Bühne Glück, wenn Musik und Vor¬
stellung die Bemühungen des Dichters verhältnißmäßig unterstützen.

Ewig Schade um das schöne Projekt vom Nathan! Aber wie können
auch die Schwarzröcke duldsamer werden, wenn Männer, wie Sie, ihrer Into¬
leranz nachgeben, wenn selbst verschlossene Thüren keine Schutzwehr gegen
ihre Eingriffe sind?"

Aus dem letzten Absätze erhellt, daß Dalberg mit dem Gedanken umge¬
gangen sein muß, den "Nathan" schon damals, noch zu Lesstng's Lebzeiten,
auf die Bühne zu bringen. Wäre es ihm gelungen -- klerikale Einflüsse
scheinen den schönen Plan hintertrieben zu haben -- Mannheims Bühne
hätte auch den Ruhm: das hohe Lied der Toleranz zuerst dramatisch ver¬
körpert zu haben. Lessing sollte diese Freude nicht mehr erleben: erst am
14. April 1783 führt Karl Theophil Döbbelin in Berlin das Gedicht auf,
ihm folgte im Juli 1786 der Preßburger Schauspieldirector Seipp, diesem
wiederum am 27. Juli 1801 der später als Leiter der Hamburger Bühne so
berühmt gewordene Fr. Ludw. Schmidt, damals Regisseur zu Magdeburg.
Erst von der letzterwähnten Aufführung an -- über deren Einzelheiten wir
seit Kurzem Schmidt's eigenen Bericht in dessen "Denkwürdigketten"



") Elektra, "eine musikalische Declamation" von W. H. von Dalberg.

Die Herren und Damen werden sich Tags darauf sogleich auf den Weg
machen, um gegen das Ende der Woche in Mannheim einzutreffen."

Da nach Jffland's Bericht dieses Eintreffen an einem Sonntag erfolgte,
so kann dieser nur der 3. Oetober 1779 gewesen sein. Man war also damals
von Gotha nach Mannheim fünf Tage unterwegs! — Götter's nächster Brief
(vom 8. Februar 1780) beginnt mit einer Entschuldigung, daß er seine von
Dalberg erbetene Bearbeitung von Gozzi's „öffentlichem Geheimniß" sehr ver¬
spätet einsende, aber „er sei Bräutigam!" — In der That heirathete er am
30. März 1780 die Tochter des Hofraths Stieler zu Gotha, — „die sanfteste
der Weiberseelen" wie er selbst sie in einem Gedichte nannte. Ein Kind aus
dieser Ehe, die am 29. Decbr. 1787 geborene Pauline, wurde 1812 die zweite
Gattin des Philosophen Schelling.

Die Fortsetzung eben jenes Briefes von Götter lehrt, wer der am meisten
verschuldete der neuen Mannheimer Schauspieler war:

„Daß Island sein Anliegen wegen des noch hier zurückstehender Wech¬
sels Euer Hochwohlgeb. zu entdecken gewagt hat, freut mich eben so sehr,
als herzlich ich bedaure, aus der oben berührten Ursache außer Stand zu
seyn, ihm diese Last zu erleichtern. Ich kann nichts, als ihn in Euer Hoch¬
wohlgeb. mir bekannte Großmuth empfehlen.

Zum neuen Producte*), das Ew. Hochwohlgeb. die Gnade gehabt haben,
mir mitzutheilen, wünsche ich Ihrer Bühne Glück, wenn Musik und Vor¬
stellung die Bemühungen des Dichters verhältnißmäßig unterstützen.

Ewig Schade um das schöne Projekt vom Nathan! Aber wie können
auch die Schwarzröcke duldsamer werden, wenn Männer, wie Sie, ihrer Into¬
leranz nachgeben, wenn selbst verschlossene Thüren keine Schutzwehr gegen
ihre Eingriffe sind?"

Aus dem letzten Absätze erhellt, daß Dalberg mit dem Gedanken umge¬
gangen sein muß, den „Nathan" schon damals, noch zu Lesstng's Lebzeiten,
auf die Bühne zu bringen. Wäre es ihm gelungen — klerikale Einflüsse
scheinen den schönen Plan hintertrieben zu haben — Mannheims Bühne
hätte auch den Ruhm: das hohe Lied der Toleranz zuerst dramatisch ver¬
körpert zu haben. Lessing sollte diese Freude nicht mehr erleben: erst am
14. April 1783 führt Karl Theophil Döbbelin in Berlin das Gedicht auf,
ihm folgte im Juli 1786 der Preßburger Schauspieldirector Seipp, diesem
wiederum am 27. Juli 1801 der später als Leiter der Hamburger Bühne so
berühmt gewordene Fr. Ludw. Schmidt, damals Regisseur zu Magdeburg.
Erst von der letzterwähnten Aufführung an — über deren Einzelheiten wir
seit Kurzem Schmidt's eigenen Bericht in dessen „Denkwürdigketten"



") Elektra, „eine musikalische Declamation" von W. H. von Dalberg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135629"/>
          <p xml:id="ID_151" prev="#ID_150"> Die Herren und Damen werden sich Tags darauf sogleich auf den Weg<lb/>
machen, um gegen das Ende der Woche in Mannheim einzutreffen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_152"> Da nach Jffland's Bericht dieses Eintreffen an einem Sonntag erfolgte,<lb/>
so kann dieser nur der 3. Oetober 1779 gewesen sein. Man war also damals<lb/>
von Gotha nach Mannheim fünf Tage unterwegs! &#x2014; Götter's nächster Brief<lb/>
(vom 8. Februar 1780) beginnt mit einer Entschuldigung, daß er seine von<lb/>
Dalberg erbetene Bearbeitung von Gozzi's &#x201E;öffentlichem Geheimniß" sehr ver¬<lb/>
spätet einsende, aber &#x201E;er sei Bräutigam!" &#x2014; In der That heirathete er am<lb/>
30. März 1780 die Tochter des Hofraths Stieler zu Gotha, &#x2014; &#x201E;die sanfteste<lb/>
der Weiberseelen" wie er selbst sie in einem Gedichte nannte. Ein Kind aus<lb/>
dieser Ehe, die am 29. Decbr. 1787 geborene Pauline, wurde 1812 die zweite<lb/>
Gattin des Philosophen Schelling.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_153"> Die Fortsetzung eben jenes Briefes von Götter lehrt, wer der am meisten<lb/>
verschuldete der neuen Mannheimer Schauspieler war:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_154"> &#x201E;Daß Island sein Anliegen wegen des noch hier zurückstehender Wech¬<lb/>
sels Euer Hochwohlgeb. zu entdecken gewagt hat, freut mich eben so sehr,<lb/>
als herzlich ich bedaure, aus der oben berührten Ursache außer Stand zu<lb/>
seyn, ihm diese Last zu erleichtern. Ich kann nichts, als ihn in Euer Hoch¬<lb/>
wohlgeb. mir bekannte Großmuth empfehlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_155"> Zum neuen Producte*), das Ew. Hochwohlgeb. die Gnade gehabt haben,<lb/>
mir mitzutheilen, wünsche ich Ihrer Bühne Glück, wenn Musik und Vor¬<lb/>
stellung die Bemühungen des Dichters verhältnißmäßig unterstützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Ewig Schade um das schöne Projekt vom Nathan! Aber wie können<lb/>
auch die Schwarzröcke duldsamer werden, wenn Männer, wie Sie, ihrer Into¬<lb/>
leranz nachgeben, wenn selbst verschlossene Thüren keine Schutzwehr gegen<lb/>
ihre Eingriffe sind?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Aus dem letzten Absätze erhellt, daß Dalberg mit dem Gedanken umge¬<lb/>
gangen sein muß, den &#x201E;Nathan" schon damals, noch zu Lesstng's Lebzeiten,<lb/>
auf die Bühne zu bringen. Wäre es ihm gelungen &#x2014; klerikale Einflüsse<lb/>
scheinen den schönen Plan hintertrieben zu haben &#x2014; Mannheims Bühne<lb/>
hätte auch den Ruhm: das hohe Lied der Toleranz zuerst dramatisch ver¬<lb/>
körpert zu haben. Lessing sollte diese Freude nicht mehr erleben: erst am<lb/>
14. April 1783 führt Karl Theophil Döbbelin in Berlin das Gedicht auf,<lb/>
ihm folgte im Juli 1786 der Preßburger Schauspieldirector Seipp, diesem<lb/>
wiederum am 27. Juli 1801 der später als Leiter der Hamburger Bühne so<lb/>
berühmt gewordene Fr. Ludw. Schmidt, damals Regisseur zu Magdeburg.<lb/>
Erst von der letzterwähnten Aufführung an &#x2014; über deren Einzelheiten wir<lb/>
seit Kurzem Schmidt's eigenen Bericht in dessen &#x201E;Denkwürdigketten"</p><lb/>
          <note xml:id="FID_9" place="foot"> ") Elektra, &#x201E;eine musikalische Declamation" von W. H. von Dalberg.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Die Herren und Damen werden sich Tags darauf sogleich auf den Weg machen, um gegen das Ende der Woche in Mannheim einzutreffen." Da nach Jffland's Bericht dieses Eintreffen an einem Sonntag erfolgte, so kann dieser nur der 3. Oetober 1779 gewesen sein. Man war also damals von Gotha nach Mannheim fünf Tage unterwegs! — Götter's nächster Brief (vom 8. Februar 1780) beginnt mit einer Entschuldigung, daß er seine von Dalberg erbetene Bearbeitung von Gozzi's „öffentlichem Geheimniß" sehr ver¬ spätet einsende, aber „er sei Bräutigam!" — In der That heirathete er am 30. März 1780 die Tochter des Hofraths Stieler zu Gotha, — „die sanfteste der Weiberseelen" wie er selbst sie in einem Gedichte nannte. Ein Kind aus dieser Ehe, die am 29. Decbr. 1787 geborene Pauline, wurde 1812 die zweite Gattin des Philosophen Schelling. Die Fortsetzung eben jenes Briefes von Götter lehrt, wer der am meisten verschuldete der neuen Mannheimer Schauspieler war: „Daß Island sein Anliegen wegen des noch hier zurückstehender Wech¬ sels Euer Hochwohlgeb. zu entdecken gewagt hat, freut mich eben so sehr, als herzlich ich bedaure, aus der oben berührten Ursache außer Stand zu seyn, ihm diese Last zu erleichtern. Ich kann nichts, als ihn in Euer Hoch¬ wohlgeb. mir bekannte Großmuth empfehlen. Zum neuen Producte*), das Ew. Hochwohlgeb. die Gnade gehabt haben, mir mitzutheilen, wünsche ich Ihrer Bühne Glück, wenn Musik und Vor¬ stellung die Bemühungen des Dichters verhältnißmäßig unterstützen. Ewig Schade um das schöne Projekt vom Nathan! Aber wie können auch die Schwarzröcke duldsamer werden, wenn Männer, wie Sie, ihrer Into¬ leranz nachgeben, wenn selbst verschlossene Thüren keine Schutzwehr gegen ihre Eingriffe sind?" Aus dem letzten Absätze erhellt, daß Dalberg mit dem Gedanken umge¬ gangen sein muß, den „Nathan" schon damals, noch zu Lesstng's Lebzeiten, auf die Bühne zu bringen. Wäre es ihm gelungen — klerikale Einflüsse scheinen den schönen Plan hintertrieben zu haben — Mannheims Bühne hätte auch den Ruhm: das hohe Lied der Toleranz zuerst dramatisch ver¬ körpert zu haben. Lessing sollte diese Freude nicht mehr erleben: erst am 14. April 1783 führt Karl Theophil Döbbelin in Berlin das Gedicht auf, ihm folgte im Juli 1786 der Preßburger Schauspieldirector Seipp, diesem wiederum am 27. Juli 1801 der später als Leiter der Hamburger Bühne so berühmt gewordene Fr. Ludw. Schmidt, damals Regisseur zu Magdeburg. Erst von der letzterwähnten Aufführung an — über deren Einzelheiten wir seit Kurzem Schmidt's eigenen Bericht in dessen „Denkwürdigketten" ") Elektra, „eine musikalische Declamation" von W. H. von Dalberg.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/48>, abgerufen am 23.11.2024.