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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Monaten zu Gunsten Conkling's ausgesprochen hat, so erblickt man in
Amerika in der Erhebung des jüngeren Cameron zum Kriegsminister wohl
mit Recht eine Unterstützung der Präsidentschaftscandidatur Conkling's. Im
Grund stellt sich demnach die Reorganisation des Grant'schen Cabinets, die
auch in Europa in höheren Kreisen ein gewisses Aufsehen erregte, als ein
auf die Präsidentenwahl berechnetes Parteimanöver heraus: die Ernennung
des Richters Taft war gewissermassen ein Zugeständniß an die immer stärker
werdende Reformbewegung, die Ernennung des jüngeren Cameron aber ein
aus dem striktesten Parteigeiste hervorgegangener Schachzug zu Gunsten
eines Mannes, der seit Jahren zu den korruptesten Politikern der Union
zählt. --

Nach allen Nachrichten, die zu uns über den Ocean kommen, hat Roscoe
Conkling durchaus keine Aussichten, der Nachfolger des Herrn Grant zu
werden, ebenso wenig, wie sein Partei- und Gesinnungsgenosse Olivier P.
M orton. Wie die Sachen jetzt stehen, ist unter den Republikanern James
G. Blaine und unter den Demokraten Samuel I. Tilden der stärkste
PrSsidentschaftseandidat. Unterdessen ist nun aber, wie wir schon früher mit¬
theilten, die freie Conferenz der "unabhängigen Reformfreunde" am 15. und
16. Mai unter sehr zahlreicher Betheiligung zu New-Uork abgehalten worden.
Die Gegner dieser Conferenz unter den regulären Republikanern suchten die
Mitglieder derselben zuerst als "unpraktische Schwärmer" und "unzufriedene
Jdealpolitiker" zu verspotten und die ganze Reformbewegung als eine "intri-
guenhafte Einmischung" in die republikanischen Parteiinteressen hinzustellen;
allein der äußerst zahlreiche Besuch der Conferenz, die weise Mäßigung in
den daselbst gepflogenen Berathungen und vor allen Dingen der sittlich-ernste
Ton des dort abgefaßten Aufrufes an die stimmberechtigten Bürger der Union
haben die republikanischen Gegner der unabhängigen Reformfreunde bereits
mildere Saiten anschlagen lassen, während die Demokraten mit schlecht ver¬
hehlter Schadenfreude auf eine Spaltungen, Lager der Republikaner rechnen.
Als die Seele der Reformbewegung ist bis jetzt Karl Schurz anzusehen;
er bildet als Vorsitzender nebst den Herren Martin Brunner aus Massa-
chusetts. L. F. S. Foster aus Connecticut, Parke Godwin aus New-York
und John W. Hope aus Wisconsin das geschäftsleitende Comite der Con¬
ferenz und aus seiner Feder stammt auch der mit dem größten Beifall und
einstimmig, ohne alle Debatte, angenommene Aufruf an das amerikanische
Boll. Wir können es uns nicht versagen, aus diesem Aufrufe einige Stellen,
theils in wörtlicher Uebersetzung, hier wiederzugeben.

Der Anfang des Ausrufs erinnert daran, daß die diesjährige Präsidentenwahl
mit der Feier des hundertjährigen Bestehens der Republik zusammenfalle,
daß aber diese Feier in der beklagenswerthesten Weise getrübt werde durch


Monaten zu Gunsten Conkling's ausgesprochen hat, so erblickt man in
Amerika in der Erhebung des jüngeren Cameron zum Kriegsminister wohl
mit Recht eine Unterstützung der Präsidentschaftscandidatur Conkling's. Im
Grund stellt sich demnach die Reorganisation des Grant'schen Cabinets, die
auch in Europa in höheren Kreisen ein gewisses Aufsehen erregte, als ein
auf die Präsidentenwahl berechnetes Parteimanöver heraus: die Ernennung
des Richters Taft war gewissermassen ein Zugeständniß an die immer stärker
werdende Reformbewegung, die Ernennung des jüngeren Cameron aber ein
aus dem striktesten Parteigeiste hervorgegangener Schachzug zu Gunsten
eines Mannes, der seit Jahren zu den korruptesten Politikern der Union
zählt. —

Nach allen Nachrichten, die zu uns über den Ocean kommen, hat Roscoe
Conkling durchaus keine Aussichten, der Nachfolger des Herrn Grant zu
werden, ebenso wenig, wie sein Partei- und Gesinnungsgenosse Olivier P.
M orton. Wie die Sachen jetzt stehen, ist unter den Republikanern James
G. Blaine und unter den Demokraten Samuel I. Tilden der stärkste
PrSsidentschaftseandidat. Unterdessen ist nun aber, wie wir schon früher mit¬
theilten, die freie Conferenz der „unabhängigen Reformfreunde" am 15. und
16. Mai unter sehr zahlreicher Betheiligung zu New-Uork abgehalten worden.
Die Gegner dieser Conferenz unter den regulären Republikanern suchten die
Mitglieder derselben zuerst als „unpraktische Schwärmer" und „unzufriedene
Jdealpolitiker" zu verspotten und die ganze Reformbewegung als eine „intri-
guenhafte Einmischung" in die republikanischen Parteiinteressen hinzustellen;
allein der äußerst zahlreiche Besuch der Conferenz, die weise Mäßigung in
den daselbst gepflogenen Berathungen und vor allen Dingen der sittlich-ernste
Ton des dort abgefaßten Aufrufes an die stimmberechtigten Bürger der Union
haben die republikanischen Gegner der unabhängigen Reformfreunde bereits
mildere Saiten anschlagen lassen, während die Demokraten mit schlecht ver¬
hehlter Schadenfreude auf eine Spaltungen, Lager der Republikaner rechnen.
Als die Seele der Reformbewegung ist bis jetzt Karl Schurz anzusehen;
er bildet als Vorsitzender nebst den Herren Martin Brunner aus Massa-
chusetts. L. F. S. Foster aus Connecticut, Parke Godwin aus New-York
und John W. Hope aus Wisconsin das geschäftsleitende Comite der Con¬
ferenz und aus seiner Feder stammt auch der mit dem größten Beifall und
einstimmig, ohne alle Debatte, angenommene Aufruf an das amerikanische
Boll. Wir können es uns nicht versagen, aus diesem Aufrufe einige Stellen,
theils in wörtlicher Uebersetzung, hier wiederzugeben.

Der Anfang des Ausrufs erinnert daran, daß die diesjährige Präsidentenwahl
mit der Feier des hundertjährigen Bestehens der Republik zusammenfalle,
daß aber diese Feier in der beklagenswerthesten Weise getrübt werde durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/468>, abgerufen am 27.07.2024.