Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hält sich durchaus in den Grenzen der academischen Dtscussion und vermeidet
es, die Verhältnisse anderer Facultäten als der philosophischen zu berühren.
Sie erhebt, wie die Vorrede sagt, keinen Anspruch darauf, Neues zu sagen.
Ihre Bedeutung liegt daher in dem Zeugnisse, welches sie für den Verfasser
und seine Gesinnungsgenossen, zu denen auch ich gehöre, ablegt. Denn sie
zeigt, daß eine, wenn auch noch so kleine Minorität von Gteßener Professoren
die dortigen Promotionen zu heben bestrebt ist.

Philippi richtet sein Augenmerk vor allem aus zwei Dinge. Er weist
nach, wie nur der Druck der Dissertation die Gewähr für die Oeffentlichkeit
der Prüfung bietet. Dann aber prüft er die Dissertation nach ihrem Werthe,
sowohl für die Wissenschaft als für die Ausbildung des einzelnen Studirenden.
Wer academischen Unterricht ertheilt, wer namentlich Seminarübungen abge-
halten hat, der weiß, daß nur durch monographische Bearbeitung kleinerer
Punkte einer Wissenschaft ein wissenschaftliches Urtheil gewonnen wird und
daß die schlimmste Urteilslosigkeit verbunden sein kann mit vielen gedächt¬
nißmäßig angeeigneten Kenntnissen. Er weiß es aber auch, wie unendlich
schwer es für viele ist, einen Gegenstand in selbständiger Darstellung zu be¬
handeln. Da müssen eben bestimmte Urtheile gebildet und diese formulirt
werden. Alle solche Naturen, welche zu eigener wissenschaftlicher Produktion
nicht fähig sind, werden durch die Forderung einer Dissertation von der Pro¬
motion ferngehalten. Aber nicht nur diese, sondern auch die andere weniger
zahlreiche Classe, welcher bei gewandtem schriftlichen Ausdrucke die Fähigkeit und
noch häufiger die Lust abgeht, einmal alle Kräfte im Kleinen zu concentriren,
wird sich dann die Mühe der Bewerbung sparen. Deshalb werden die vier
genannten Universitäten sich schließlich genöthigt sehen, die gedruckte Dissertation
wie ihre Schwesteruniversitäten zur obligatorischen Einrichtung zu machen.

Werden dann alle Uebelstände beseitigt sein? Leider muß ich nein sagen.
Sie werden es erst dann sein, wenn alle Facultäten so viel Ehrgefühl haben,
schlechte und mittelmäßige Produkte zurückzuweisen, wenn sich keine mehr dazu
hergibt, den Abfall der großen Universitäten zu promoviren. Wem das
Glück in Leipzig nicht lächelte, der ging sonst nach Jena oder Gießen, ab
und zu wohl auch einer von Gießen nach Heidelberg. Sehe ich aber, wie sich
allmälig die Verhältnisse sehr zum Bessern gewandt haben, so ist mir dafür
nicht bange, daß alle diese Uebelstände in nicht zu langer Zeit schwinden
Werden, falls nicht unberechtigte Utilitätsgründe die Bewegung zum Stocken
bringen. Freilich werden uns dann nicht mehr ein paar Blätter über die
Rechtfertigung oder über ein paar Verse des Neuen Testamentes, zusammen¬
gestoppelt aus den landläufigen Commentaren, als philosophische Doctor"
dissertationen entgegenflattern dürfen.


Bernhard Stade. IKeol. Dr.


hält sich durchaus in den Grenzen der academischen Dtscussion und vermeidet
es, die Verhältnisse anderer Facultäten als der philosophischen zu berühren.
Sie erhebt, wie die Vorrede sagt, keinen Anspruch darauf, Neues zu sagen.
Ihre Bedeutung liegt daher in dem Zeugnisse, welches sie für den Verfasser
und seine Gesinnungsgenossen, zu denen auch ich gehöre, ablegt. Denn sie
zeigt, daß eine, wenn auch noch so kleine Minorität von Gteßener Professoren
die dortigen Promotionen zu heben bestrebt ist.

Philippi richtet sein Augenmerk vor allem aus zwei Dinge. Er weist
nach, wie nur der Druck der Dissertation die Gewähr für die Oeffentlichkeit
der Prüfung bietet. Dann aber prüft er die Dissertation nach ihrem Werthe,
sowohl für die Wissenschaft als für die Ausbildung des einzelnen Studirenden.
Wer academischen Unterricht ertheilt, wer namentlich Seminarübungen abge-
halten hat, der weiß, daß nur durch monographische Bearbeitung kleinerer
Punkte einer Wissenschaft ein wissenschaftliches Urtheil gewonnen wird und
daß die schlimmste Urteilslosigkeit verbunden sein kann mit vielen gedächt¬
nißmäßig angeeigneten Kenntnissen. Er weiß es aber auch, wie unendlich
schwer es für viele ist, einen Gegenstand in selbständiger Darstellung zu be¬
handeln. Da müssen eben bestimmte Urtheile gebildet und diese formulirt
werden. Alle solche Naturen, welche zu eigener wissenschaftlicher Produktion
nicht fähig sind, werden durch die Forderung einer Dissertation von der Pro¬
motion ferngehalten. Aber nicht nur diese, sondern auch die andere weniger
zahlreiche Classe, welcher bei gewandtem schriftlichen Ausdrucke die Fähigkeit und
noch häufiger die Lust abgeht, einmal alle Kräfte im Kleinen zu concentriren,
wird sich dann die Mühe der Bewerbung sparen. Deshalb werden die vier
genannten Universitäten sich schließlich genöthigt sehen, die gedruckte Dissertation
wie ihre Schwesteruniversitäten zur obligatorischen Einrichtung zu machen.

Werden dann alle Uebelstände beseitigt sein? Leider muß ich nein sagen.
Sie werden es erst dann sein, wenn alle Facultäten so viel Ehrgefühl haben,
schlechte und mittelmäßige Produkte zurückzuweisen, wenn sich keine mehr dazu
hergibt, den Abfall der großen Universitäten zu promoviren. Wem das
Glück in Leipzig nicht lächelte, der ging sonst nach Jena oder Gießen, ab
und zu wohl auch einer von Gießen nach Heidelberg. Sehe ich aber, wie sich
allmälig die Verhältnisse sehr zum Bessern gewandt haben, so ist mir dafür
nicht bange, daß alle diese Uebelstände in nicht zu langer Zeit schwinden
Werden, falls nicht unberechtigte Utilitätsgründe die Bewegung zum Stocken
bringen. Freilich werden uns dann nicht mehr ein paar Blätter über die
Rechtfertigung oder über ein paar Verse des Neuen Testamentes, zusammen¬
gestoppelt aus den landläufigen Commentaren, als philosophische Doctor«
dissertationen entgegenflattern dürfen.


Bernhard Stade. IKeol. Dr.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136042"/>
          <p xml:id="ID_1531" prev="#ID_1530"> hält sich durchaus in den Grenzen der academischen Dtscussion und vermeidet<lb/>
es, die Verhältnisse anderer Facultäten als der philosophischen zu berühren.<lb/>
Sie erhebt, wie die Vorrede sagt, keinen Anspruch darauf, Neues zu sagen.<lb/>
Ihre Bedeutung liegt daher in dem Zeugnisse, welches sie für den Verfasser<lb/>
und seine Gesinnungsgenossen, zu denen auch ich gehöre, ablegt. Denn sie<lb/>
zeigt, daß eine, wenn auch noch so kleine Minorität von Gteßener Professoren<lb/>
die dortigen Promotionen zu heben bestrebt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1532"> Philippi richtet sein Augenmerk vor allem aus zwei Dinge. Er weist<lb/>
nach, wie nur der Druck der Dissertation die Gewähr für die Oeffentlichkeit<lb/>
der Prüfung bietet. Dann aber prüft er die Dissertation nach ihrem Werthe,<lb/>
sowohl für die Wissenschaft als für die Ausbildung des einzelnen Studirenden.<lb/>
Wer academischen Unterricht ertheilt, wer namentlich Seminarübungen abge-<lb/>
halten hat, der weiß, daß nur durch monographische Bearbeitung kleinerer<lb/>
Punkte einer Wissenschaft ein wissenschaftliches Urtheil gewonnen wird und<lb/>
daß die schlimmste Urteilslosigkeit verbunden sein kann mit vielen gedächt¬<lb/>
nißmäßig angeeigneten Kenntnissen. Er weiß es aber auch, wie unendlich<lb/>
schwer es für viele ist, einen Gegenstand in selbständiger Darstellung zu be¬<lb/>
handeln. Da müssen eben bestimmte Urtheile gebildet und diese formulirt<lb/>
werden. Alle solche Naturen, welche zu eigener wissenschaftlicher Produktion<lb/>
nicht fähig sind, werden durch die Forderung einer Dissertation von der Pro¬<lb/>
motion ferngehalten. Aber nicht nur diese, sondern auch die andere weniger<lb/>
zahlreiche Classe, welcher bei gewandtem schriftlichen Ausdrucke die Fähigkeit und<lb/>
noch häufiger die Lust abgeht, einmal alle Kräfte im Kleinen zu concentriren,<lb/>
wird sich dann die Mühe der Bewerbung sparen. Deshalb werden die vier<lb/>
genannten Universitäten sich schließlich genöthigt sehen, die gedruckte Dissertation<lb/>
wie ihre Schwesteruniversitäten zur obligatorischen Einrichtung zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1533"> Werden dann alle Uebelstände beseitigt sein? Leider muß ich nein sagen.<lb/>
Sie werden es erst dann sein, wenn alle Facultäten so viel Ehrgefühl haben,<lb/>
schlechte und mittelmäßige Produkte zurückzuweisen, wenn sich keine mehr dazu<lb/>
hergibt, den Abfall der großen Universitäten zu promoviren. Wem das<lb/>
Glück in Leipzig nicht lächelte, der ging sonst nach Jena oder Gießen, ab<lb/>
und zu wohl auch einer von Gießen nach Heidelberg. Sehe ich aber, wie sich<lb/>
allmälig die Verhältnisse sehr zum Bessern gewandt haben, so ist mir dafür<lb/>
nicht bange, daß alle diese Uebelstände in nicht zu langer Zeit schwinden<lb/>
Werden, falls nicht unberechtigte Utilitätsgründe die Bewegung zum Stocken<lb/>
bringen. Freilich werden uns dann nicht mehr ein paar Blätter über die<lb/>
Rechtfertigung oder über ein paar Verse des Neuen Testamentes, zusammen¬<lb/>
gestoppelt aus den landläufigen Commentaren, als philosophische Doctor«<lb/>
dissertationen entgegenflattern dürfen.</p><lb/>
          <note type="byline"> Bernhard Stade. IKeol. Dr.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] hält sich durchaus in den Grenzen der academischen Dtscussion und vermeidet es, die Verhältnisse anderer Facultäten als der philosophischen zu berühren. Sie erhebt, wie die Vorrede sagt, keinen Anspruch darauf, Neues zu sagen. Ihre Bedeutung liegt daher in dem Zeugnisse, welches sie für den Verfasser und seine Gesinnungsgenossen, zu denen auch ich gehöre, ablegt. Denn sie zeigt, daß eine, wenn auch noch so kleine Minorität von Gteßener Professoren die dortigen Promotionen zu heben bestrebt ist. Philippi richtet sein Augenmerk vor allem aus zwei Dinge. Er weist nach, wie nur der Druck der Dissertation die Gewähr für die Oeffentlichkeit der Prüfung bietet. Dann aber prüft er die Dissertation nach ihrem Werthe, sowohl für die Wissenschaft als für die Ausbildung des einzelnen Studirenden. Wer academischen Unterricht ertheilt, wer namentlich Seminarübungen abge- halten hat, der weiß, daß nur durch monographische Bearbeitung kleinerer Punkte einer Wissenschaft ein wissenschaftliches Urtheil gewonnen wird und daß die schlimmste Urteilslosigkeit verbunden sein kann mit vielen gedächt¬ nißmäßig angeeigneten Kenntnissen. Er weiß es aber auch, wie unendlich schwer es für viele ist, einen Gegenstand in selbständiger Darstellung zu be¬ handeln. Da müssen eben bestimmte Urtheile gebildet und diese formulirt werden. Alle solche Naturen, welche zu eigener wissenschaftlicher Produktion nicht fähig sind, werden durch die Forderung einer Dissertation von der Pro¬ motion ferngehalten. Aber nicht nur diese, sondern auch die andere weniger zahlreiche Classe, welcher bei gewandtem schriftlichen Ausdrucke die Fähigkeit und noch häufiger die Lust abgeht, einmal alle Kräfte im Kleinen zu concentriren, wird sich dann die Mühe der Bewerbung sparen. Deshalb werden die vier genannten Universitäten sich schließlich genöthigt sehen, die gedruckte Dissertation wie ihre Schwesteruniversitäten zur obligatorischen Einrichtung zu machen. Werden dann alle Uebelstände beseitigt sein? Leider muß ich nein sagen. Sie werden es erst dann sein, wenn alle Facultäten so viel Ehrgefühl haben, schlechte und mittelmäßige Produkte zurückzuweisen, wenn sich keine mehr dazu hergibt, den Abfall der großen Universitäten zu promoviren. Wem das Glück in Leipzig nicht lächelte, der ging sonst nach Jena oder Gießen, ab und zu wohl auch einer von Gießen nach Heidelberg. Sehe ich aber, wie sich allmälig die Verhältnisse sehr zum Bessern gewandt haben, so ist mir dafür nicht bange, daß alle diese Uebelstände in nicht zu langer Zeit schwinden Werden, falls nicht unberechtigte Utilitätsgründe die Bewegung zum Stocken bringen. Freilich werden uns dann nicht mehr ein paar Blätter über die Rechtfertigung oder über ein paar Verse des Neuen Testamentes, zusammen¬ gestoppelt aus den landläufigen Commentaren, als philosophische Doctor« dissertationen entgegenflattern dürfen. Bernhard Stade. IKeol. Dr.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/461>, abgerufen am 24.11.2024.