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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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konnte, der den Leib erwärmt, durchdringt und wieder aus ihm emporsteigt;
die Flamme schien im Holz zu schlummern und als verzehrende Schlange
hervorzuspringen; ein geheimnißvolles Inneres im Aeußeren war offenbar
geworden. Caspari geht zu weit, wenn er die Lahmheit bei Vulkan, Dädalus
und dem Schmied Wieland daher ableitet, daß die Gebrechlichen, Lahmen
daheim hätten für die Jäger und Krieger die Geräthe und Waffen bereitet
und so in den Besitz des Feuers gekommen wären, und wenn er sie nun als
Zauberer und Feueranzünder einherwandern und priesterliche Macht erwerben
läßt. Aber der Gesichtskreis der Menschheit war erweitert, es war ein neuer
Lichtaufgang im Bewußtsein. An die Stelle des rohen Fleisches tritt das
gebratene, gekochte; der Anbau des Getreides wird durch das Backen der
zerriebenen Körner zum Brote eingeführt, das Gefäß aus gebranntem Thon
wird möglich, ja es wird gefordert, und die Metallgewinnung kann nun statt¬
finden. Die Feuerstätte wird zum Herd, um den das Haus sich aufbaut, wo
die Familie, wo die Stammesgen offen schaft sich zusammenfindet, die Menschen
können nun seßhaft werden. Nun finden wir die Spinnwirtel, die zur
Weberei hinleiten; und die Thongefäße haben schwungvoll gerundete sy°
metrische Gestalt, sie haben Linien die in Wellen und im Zickzack sie ver¬
zieren, und wenn bei kleinen runden Scheiben der Mittelpunkt offen ist, von
ihm aus aber Strahlen kreuzweise nach dem Umkreis gehen und dieser durch
eine Kreislinie umsäumt ist, so zeigt sich Einheit in symmetrischer Mannich-
faltigkeit. Wenn Schliemann den Schatz des Priamos in Troia gefunden
haben will, so ist das eben so lächerlich, als wenn er von einem isländischen
Taucher den Becher holen ließe, den Goethe's König von Thule ins Meer
geworfen; aber abgesehen von dem Golde, hat er aus der Tiefe der Erde
Urzeitliches zu Tage gefördert, das weit älter ist als Homer, das uns an die
Rennthierperiode in Europa erinnert.

Und zu solchen idealistischen Kunstanfängen, in welchen die Phantasie
der Menschheit frei und architektonisch sich in geometrischen Formen bewegt,
ist in Dordogne überraschend auch ein naturalistischer getreten, der in der
Nachbildung organischer Wesen sich erweist. Lartet hat solche Bildwerke ge¬
sammelt und herausgegeben. Geglättete Knochen oder Geweihe des Nennthiers
werden zurecht geschnitzt, daß der Messerstiel selbst wie ein Thier behandelt
ist, dessen Kopf sein Ende bildet, während Rennthiere, Pferde, Fische die
Fläche verzieren, ja kämpfende Rennthiere sind auf einer Schiefertafel einge¬
graben, und ein Elefantenzahn läßt das Bild eines Mammuths erkennen,
langmähnig wie der Elefant nicht mehr ist, wie aber sein Vorgänger im
Eise Sibiriens gefunden worden. Wie bei den Zeichnungen der Kinder herrscht
Profilstellung. Manches ist steif und unbehilfltch, aber anderes zeigt die
Auffassung des Wesenhaften und Charakteristischen in Formen und Bewe-


konnte, der den Leib erwärmt, durchdringt und wieder aus ihm emporsteigt;
die Flamme schien im Holz zu schlummern und als verzehrende Schlange
hervorzuspringen; ein geheimnißvolles Inneres im Aeußeren war offenbar
geworden. Caspari geht zu weit, wenn er die Lahmheit bei Vulkan, Dädalus
und dem Schmied Wieland daher ableitet, daß die Gebrechlichen, Lahmen
daheim hätten für die Jäger und Krieger die Geräthe und Waffen bereitet
und so in den Besitz des Feuers gekommen wären, und wenn er sie nun als
Zauberer und Feueranzünder einherwandern und priesterliche Macht erwerben
läßt. Aber der Gesichtskreis der Menschheit war erweitert, es war ein neuer
Lichtaufgang im Bewußtsein. An die Stelle des rohen Fleisches tritt das
gebratene, gekochte; der Anbau des Getreides wird durch das Backen der
zerriebenen Körner zum Brote eingeführt, das Gefäß aus gebranntem Thon
wird möglich, ja es wird gefordert, und die Metallgewinnung kann nun statt¬
finden. Die Feuerstätte wird zum Herd, um den das Haus sich aufbaut, wo
die Familie, wo die Stammesgen offen schaft sich zusammenfindet, die Menschen
können nun seßhaft werden. Nun finden wir die Spinnwirtel, die zur
Weberei hinleiten; und die Thongefäße haben schwungvoll gerundete sy°
metrische Gestalt, sie haben Linien die in Wellen und im Zickzack sie ver¬
zieren, und wenn bei kleinen runden Scheiben der Mittelpunkt offen ist, von
ihm aus aber Strahlen kreuzweise nach dem Umkreis gehen und dieser durch
eine Kreislinie umsäumt ist, so zeigt sich Einheit in symmetrischer Mannich-
faltigkeit. Wenn Schliemann den Schatz des Priamos in Troia gefunden
haben will, so ist das eben so lächerlich, als wenn er von einem isländischen
Taucher den Becher holen ließe, den Goethe's König von Thule ins Meer
geworfen; aber abgesehen von dem Golde, hat er aus der Tiefe der Erde
Urzeitliches zu Tage gefördert, das weit älter ist als Homer, das uns an die
Rennthierperiode in Europa erinnert.

Und zu solchen idealistischen Kunstanfängen, in welchen die Phantasie
der Menschheit frei und architektonisch sich in geometrischen Formen bewegt,
ist in Dordogne überraschend auch ein naturalistischer getreten, der in der
Nachbildung organischer Wesen sich erweist. Lartet hat solche Bildwerke ge¬
sammelt und herausgegeben. Geglättete Knochen oder Geweihe des Nennthiers
werden zurecht geschnitzt, daß der Messerstiel selbst wie ein Thier behandelt
ist, dessen Kopf sein Ende bildet, während Rennthiere, Pferde, Fische die
Fläche verzieren, ja kämpfende Rennthiere sind auf einer Schiefertafel einge¬
graben, und ein Elefantenzahn läßt das Bild eines Mammuths erkennen,
langmähnig wie der Elefant nicht mehr ist, wie aber sein Vorgänger im
Eise Sibiriens gefunden worden. Wie bei den Zeichnungen der Kinder herrscht
Profilstellung. Manches ist steif und unbehilfltch, aber anderes zeigt die
Auffassung des Wesenhaften und Charakteristischen in Formen und Bewe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/450>, abgerufen am 28.11.2024.