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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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drängenden Zeiten muß man zu eilen verstehen; auch in der Eile kann unter
Umständen gute Arbeit geliefert werden. Leider ist dies jetzt nicht gelungen.
Aber an der schlechten Arbeit war nicht die Eile schuld, sondern die Unreife,
mit der überhaupt an die Vorlage herangetreten wurde. Nur als Glied
eines großen Gesammtwerkes hätte diese Vorlage im Jahre 1880 oder noch
später gemacht werden dürfen. Von großen überzeugenden conservativen Ge¬
danken hätte das Werk getragen sein müssen. Der Minister des Innern,
dem treffende Bilder immer mit Leichtigkeit zu Gebote stehen, sagte bei der
dritten Lesung der Städteordnung folgendes über die Methode, den Gesammt-
bau der preußischen Verwaltung aufzuführen: "Wir müssen stückweise und
zwar immer nach Maßgabe der Nothwendigkeit fortarbeiten, bis wir vielleicht
nach 10 Jahren das Gebäude fertig haben. Dann wird es noch lange
dauern, ehe wir es austrocknen und ehe wir die Reparaturen vorgenommen
haben, die bei der Mangelhaftigkeit des Baues erforderlich werden." -- Bei
dieser Methode, ein Staatsgebäude aufzuführen, bekommt alle Welt das Fieber,
die Diphtherie u. f. w. Die Feuchtigkeit, der Staub, der Kalkgeruch, das
Umziehen und Anstellen hören nicht auf. Vielmehr, man muß in den alten
trocknen Gebäuden bleiben, wenn man sich auch ungenügend darin behelfen
muß, bis ein neues Gebäude, das nicht stückweise aufgeführt und bezogen
wird, nach einem großen übereinstimmenden Plan hergestellt worden, in das
man hineinziehen und worin dann jedes auf seinem angewiesenen Fleck bleiben
kann; nicht aber, heute eingezogen, morgen in den Keller, übermorgen auf
den Boden ziehen muß. Was ist das für eine Art, um ohne Bild zu
sprechen, heute eine Kreisordnung machen, morgen die Hälfte durch die Pro-
vinzialordnung umwerfen, morgen die Provinzialordnung durch das Compe-
tenzgesetz umwerfen, morgen das Competenzgesetz durch die Städteordnung,
morgen die Städteordnung durch das Communalsteuergesetz, morgen das
Communalsteuergesetz durch die Landgemeindeordnung, schließlich das Ganze
bei der Uebertragung auf neue Provinzen modifiziren, und so mit Grazie
in intmitum. Es ist eine schwer verzeihliche Schwäche der Regierung gewesen,
daß sie, dem höchst unverständigen Drängen des Abgeordnetenhauses nach¬
gebend, die Verwaltungsreform stückweise in Angriff genommen hat, ohne
selber den Plan des Ganzen zu haben und zu kennen.

Bei der Städteordnung, einem höchst mangelhaften Gesetz in der Vorlage,
hat nun das Abgeordnetenhaus eine Anzahl unerträglicher Abänderungen
vorgenommen, von denen bei der dritten Lesung, trotz dem lebhaften An¬
dringen des Ministers, nur die wenigsten beseitigt worden sind. Unter die
nicht beseitigten Abänderungen gehört erstens, daß zum Besitz des städtischen
Bürgerrechts die Einschätzung zur niedrigsten Stufe der Classensteuer genügt;
ferner, daß die städtischen Subalternbeamten nicht aus der Reihe der civil-


drängenden Zeiten muß man zu eilen verstehen; auch in der Eile kann unter
Umständen gute Arbeit geliefert werden. Leider ist dies jetzt nicht gelungen.
Aber an der schlechten Arbeit war nicht die Eile schuld, sondern die Unreife,
mit der überhaupt an die Vorlage herangetreten wurde. Nur als Glied
eines großen Gesammtwerkes hätte diese Vorlage im Jahre 1880 oder noch
später gemacht werden dürfen. Von großen überzeugenden conservativen Ge¬
danken hätte das Werk getragen sein müssen. Der Minister des Innern,
dem treffende Bilder immer mit Leichtigkeit zu Gebote stehen, sagte bei der
dritten Lesung der Städteordnung folgendes über die Methode, den Gesammt-
bau der preußischen Verwaltung aufzuführen: „Wir müssen stückweise und
zwar immer nach Maßgabe der Nothwendigkeit fortarbeiten, bis wir vielleicht
nach 10 Jahren das Gebäude fertig haben. Dann wird es noch lange
dauern, ehe wir es austrocknen und ehe wir die Reparaturen vorgenommen
haben, die bei der Mangelhaftigkeit des Baues erforderlich werden." — Bei
dieser Methode, ein Staatsgebäude aufzuführen, bekommt alle Welt das Fieber,
die Diphtherie u. f. w. Die Feuchtigkeit, der Staub, der Kalkgeruch, das
Umziehen und Anstellen hören nicht auf. Vielmehr, man muß in den alten
trocknen Gebäuden bleiben, wenn man sich auch ungenügend darin behelfen
muß, bis ein neues Gebäude, das nicht stückweise aufgeführt und bezogen
wird, nach einem großen übereinstimmenden Plan hergestellt worden, in das
man hineinziehen und worin dann jedes auf seinem angewiesenen Fleck bleiben
kann; nicht aber, heute eingezogen, morgen in den Keller, übermorgen auf
den Boden ziehen muß. Was ist das für eine Art, um ohne Bild zu
sprechen, heute eine Kreisordnung machen, morgen die Hälfte durch die Pro-
vinzialordnung umwerfen, morgen die Provinzialordnung durch das Compe-
tenzgesetz umwerfen, morgen das Competenzgesetz durch die Städteordnung,
morgen die Städteordnung durch das Communalsteuergesetz, morgen das
Communalsteuergesetz durch die Landgemeindeordnung, schließlich das Ganze
bei der Uebertragung auf neue Provinzen modifiziren, und so mit Grazie
in intmitum. Es ist eine schwer verzeihliche Schwäche der Regierung gewesen,
daß sie, dem höchst unverständigen Drängen des Abgeordnetenhauses nach¬
gebend, die Verwaltungsreform stückweise in Angriff genommen hat, ohne
selber den Plan des Ganzen zu haben und zu kennen.

Bei der Städteordnung, einem höchst mangelhaften Gesetz in der Vorlage,
hat nun das Abgeordnetenhaus eine Anzahl unerträglicher Abänderungen
vorgenommen, von denen bei der dritten Lesung, trotz dem lebhaften An¬
dringen des Ministers, nur die wenigsten beseitigt worden sind. Unter die
nicht beseitigten Abänderungen gehört erstens, daß zum Besitz des städtischen
Bürgerrechts die Einschätzung zur niedrigsten Stufe der Classensteuer genügt;
ferner, daß die städtischen Subalternbeamten nicht aus der Reihe der civil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/442>, abgerufen am 23.11.2024.