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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Grund ersichtlich, warum eine Zeitung anders verfahren sollte; im Gegentheil
sollte sie, wenn auch nicht ihrer selbst, so doch vieler Tausende ihrer Leser
und des indirect gefährdeten Nuss ihrer Partei wegen sich in noch weit
höherem Grade gedrungen fühlen, zur gerichtlichen Klage gegen v. Diest zu
schreiten und zwar nicht erst auf dessen ausdrückliche Provocation hin. Die
liberale, insbesondere die nationalliberale Presse schien denn auch der Meinung
zu sein, daß sich die Erhebung einer Verläumdungsklage der Rat.-Ztg. gegen
v. Diest nunmehr ganz von selbst verstehe. Möglich, daß in einzelnen Fällen
die geschäftliche Concurrenz oder die abweichende politische Richtung anderer
liberaler Blätter die Haltung derselben gegenüber dieser Sachlage mitbestimmt
hat; es läßt sich aber in der That nichts einwenden wenn z. B. in dem
"Franks. Journal" vom 8. Febr. d. I. gesagt wurde: "es bleibt unerfindlich,
weshalb die Rat.-Ztg. Herrn v. Diest nicht gerichtlich belangt; es geht nicht
an, daß ein Parteiorgan mit Verläumdungen sich überschütten lassen darf, unter
denen die Partei selbst leidet, und Klarheit kann nur durch die Feststellungen
des Strafrichters gebracht werden; die Rat. Ztg. schuldet die Klage auch der
deutschen Presse überhaupt: es muß offenbar werden, daß deutsche Journa¬
listen sich nicht bestechen lassen; es sind thatsächliche Anführungen gemacht,
und die müssen beachtet werden, schon damit den berufsmäßigen Verläumdern
nicht Material entgegengebracht werde. Weil es Thatsache ist, daß die
Diest'schen Beschuldigungen bei den Wahlen gegen die Liberalen verwerthet
werden sollen, so ist für die Rat.-Ztg. die sofortige Verläumdungsklage ein¬
fache Ehrenpflicht." Das "Berliner Tageblatt" v. 10. Febr. d. I. sprach
seine Verwunderung aus, daß schon vier Nummern der Rat.-Ztg. seit der letzten
Diest'schen Erklärung erschienen seien, ohne "der gravirenden Beschuldigung
auch nur mit einer Silbe zu gedenken, eine Taktik, die mindestens auffällig
erscheint." Andere liberale Blätter, z. B. die "Magdeb. Ztg." und das
"Braunschw. Tagebl.", äußerten sich noch viel stärker. Allein bis heutigen
Tags hat die Rat.-Ztg. den auf sie geworfenen Makel auf sich sitzen lassen.

Noch jetzt wäre es aber wohl noch nicht zu spät, die Klage zu erheben,
damit wenigstens noch vor den Wahlen Klarheit geschaffen würde. Freilich
fällt es auf, daß Herr v. Diest die juristischen Beweise, welche er in der
Tasche haben will, nicht auch von selbst offen producirt; die öffentliche Mei¬
nung könnte in diesem Falle den Strafrichter am Ende wohl ersetzen; aber
es ist wahrscheinlich, daß den Tendenzen der Partei v. Diest's mit dem
Nichtaustrag der Sache noch weit mehr gedient ist, als mit offenen Beweisen-
Jetzt erstreckt sich der Schatten weit über die liberale Partei hin, während
im andern Falle schlimmstens nur ein Organ derselben zusammenbräche. Bei
Belassung der Unklarheit mußte ein Buch wie das Glagau'sche über den
"Börsen- u. Gründungsschwindel in Berlin" der liberalen Sache sehr schaden;


Grund ersichtlich, warum eine Zeitung anders verfahren sollte; im Gegentheil
sollte sie, wenn auch nicht ihrer selbst, so doch vieler Tausende ihrer Leser
und des indirect gefährdeten Nuss ihrer Partei wegen sich in noch weit
höherem Grade gedrungen fühlen, zur gerichtlichen Klage gegen v. Diest zu
schreiten und zwar nicht erst auf dessen ausdrückliche Provocation hin. Die
liberale, insbesondere die nationalliberale Presse schien denn auch der Meinung
zu sein, daß sich die Erhebung einer Verläumdungsklage der Rat.-Ztg. gegen
v. Diest nunmehr ganz von selbst verstehe. Möglich, daß in einzelnen Fällen
die geschäftliche Concurrenz oder die abweichende politische Richtung anderer
liberaler Blätter die Haltung derselben gegenüber dieser Sachlage mitbestimmt
hat; es läßt sich aber in der That nichts einwenden wenn z. B. in dem
„Franks. Journal" vom 8. Febr. d. I. gesagt wurde: „es bleibt unerfindlich,
weshalb die Rat.-Ztg. Herrn v. Diest nicht gerichtlich belangt; es geht nicht
an, daß ein Parteiorgan mit Verläumdungen sich überschütten lassen darf, unter
denen die Partei selbst leidet, und Klarheit kann nur durch die Feststellungen
des Strafrichters gebracht werden; die Rat. Ztg. schuldet die Klage auch der
deutschen Presse überhaupt: es muß offenbar werden, daß deutsche Journa¬
listen sich nicht bestechen lassen; es sind thatsächliche Anführungen gemacht,
und die müssen beachtet werden, schon damit den berufsmäßigen Verläumdern
nicht Material entgegengebracht werde. Weil es Thatsache ist, daß die
Diest'schen Beschuldigungen bei den Wahlen gegen die Liberalen verwerthet
werden sollen, so ist für die Rat.-Ztg. die sofortige Verläumdungsklage ein¬
fache Ehrenpflicht." Das „Berliner Tageblatt" v. 10. Febr. d. I. sprach
seine Verwunderung aus, daß schon vier Nummern der Rat.-Ztg. seit der letzten
Diest'schen Erklärung erschienen seien, ohne „der gravirenden Beschuldigung
auch nur mit einer Silbe zu gedenken, eine Taktik, die mindestens auffällig
erscheint." Andere liberale Blätter, z. B. die „Magdeb. Ztg." und das
„Braunschw. Tagebl.", äußerten sich noch viel stärker. Allein bis heutigen
Tags hat die Rat.-Ztg. den auf sie geworfenen Makel auf sich sitzen lassen.

Noch jetzt wäre es aber wohl noch nicht zu spät, die Klage zu erheben,
damit wenigstens noch vor den Wahlen Klarheit geschaffen würde. Freilich
fällt es auf, daß Herr v. Diest die juristischen Beweise, welche er in der
Tasche haben will, nicht auch von selbst offen producirt; die öffentliche Mei¬
nung könnte in diesem Falle den Strafrichter am Ende wohl ersetzen; aber
es ist wahrscheinlich, daß den Tendenzen der Partei v. Diest's mit dem
Nichtaustrag der Sache noch weit mehr gedient ist, als mit offenen Beweisen-
Jetzt erstreckt sich der Schatten weit über die liberale Partei hin, während
im andern Falle schlimmstens nur ein Organ derselben zusammenbräche. Bei
Belassung der Unklarheit mußte ein Buch wie das Glagau'sche über den
„Börsen- u. Gründungsschwindel in Berlin" der liberalen Sache sehr schaden;


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[0438] Grund ersichtlich, warum eine Zeitung anders verfahren sollte; im Gegentheil sollte sie, wenn auch nicht ihrer selbst, so doch vieler Tausende ihrer Leser und des indirect gefährdeten Nuss ihrer Partei wegen sich in noch weit höherem Grade gedrungen fühlen, zur gerichtlichen Klage gegen v. Diest zu schreiten und zwar nicht erst auf dessen ausdrückliche Provocation hin. Die liberale, insbesondere die nationalliberale Presse schien denn auch der Meinung zu sein, daß sich die Erhebung einer Verläumdungsklage der Rat.-Ztg. gegen v. Diest nunmehr ganz von selbst verstehe. Möglich, daß in einzelnen Fällen die geschäftliche Concurrenz oder die abweichende politische Richtung anderer liberaler Blätter die Haltung derselben gegenüber dieser Sachlage mitbestimmt hat; es läßt sich aber in der That nichts einwenden wenn z. B. in dem „Franks. Journal" vom 8. Febr. d. I. gesagt wurde: „es bleibt unerfindlich, weshalb die Rat.-Ztg. Herrn v. Diest nicht gerichtlich belangt; es geht nicht an, daß ein Parteiorgan mit Verläumdungen sich überschütten lassen darf, unter denen die Partei selbst leidet, und Klarheit kann nur durch die Feststellungen des Strafrichters gebracht werden; die Rat. Ztg. schuldet die Klage auch der deutschen Presse überhaupt: es muß offenbar werden, daß deutsche Journa¬ listen sich nicht bestechen lassen; es sind thatsächliche Anführungen gemacht, und die müssen beachtet werden, schon damit den berufsmäßigen Verläumdern nicht Material entgegengebracht werde. Weil es Thatsache ist, daß die Diest'schen Beschuldigungen bei den Wahlen gegen die Liberalen verwerthet werden sollen, so ist für die Rat.-Ztg. die sofortige Verläumdungsklage ein¬ fache Ehrenpflicht." Das „Berliner Tageblatt" v. 10. Febr. d. I. sprach seine Verwunderung aus, daß schon vier Nummern der Rat.-Ztg. seit der letzten Diest'schen Erklärung erschienen seien, ohne „der gravirenden Beschuldigung auch nur mit einer Silbe zu gedenken, eine Taktik, die mindestens auffällig erscheint." Andere liberale Blätter, z. B. die „Magdeb. Ztg." und das „Braunschw. Tagebl.", äußerten sich noch viel stärker. Allein bis heutigen Tags hat die Rat.-Ztg. den auf sie geworfenen Makel auf sich sitzen lassen. Noch jetzt wäre es aber wohl noch nicht zu spät, die Klage zu erheben, damit wenigstens noch vor den Wahlen Klarheit geschaffen würde. Freilich fällt es auf, daß Herr v. Diest die juristischen Beweise, welche er in der Tasche haben will, nicht auch von selbst offen producirt; die öffentliche Mei¬ nung könnte in diesem Falle den Strafrichter am Ende wohl ersetzen; aber es ist wahrscheinlich, daß den Tendenzen der Partei v. Diest's mit dem Nichtaustrag der Sache noch weit mehr gedient ist, als mit offenen Beweisen- Jetzt erstreckt sich der Schatten weit über die liberale Partei hin, während im andern Falle schlimmstens nur ein Organ derselben zusammenbräche. Bei Belassung der Unklarheit mußte ein Buch wie das Glagau'sche über den „Börsen- u. Gründungsschwindel in Berlin" der liberalen Sache sehr schaden;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/438>, abgerufen am 27.11.2024.