Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er drei preußische Arbeiter erscheinen, die einen unglücklichen Wirth um die
genossenen Spirituosen in seltener Unverschämtheit betrügen. Er läßt
dann den armen Wirth das erste Verdammungsurtheil aussprechen: daß
nämlich, seitdem die Luxemburgischen Eisenbahnen in die Hände der deutschen
Räuber gefallen seien, sich Niemand mehr vor solchen Gaunereien schützen
könne. Als Oerr Tissot nach Deutschland kommt, bemerkt er, daß daselbst
eine vierte Wagen klaffe existirt, und er verspürt nicht übel Lust die Schwelle
eines dieser Wagen zu überschreiten, wenn die Furcht nicht gewesen wäre,
alle die Thiere, die die teutonischen Haartouren bevölkern, aus Nationalhaß
sich auf sich stürzen zu sehen. In Kaiserslautern bemerkt er zu seinem Er¬
staunen, daß die Bauern violette Strümpfe tragen wie die Bischöfe, und daß
sie sich in ihre Schürze schneuzen. Man ist hier gegen Berlin voraus, wo
man sich allgemein dazu des Daumens und des Zeigefingers bedient. So be¬
richtet wenigstens Herr Tissot. Er läßt dann eine ganze Anzahl Personen
im Waggon auftauchen, wie er sie gerade braucht, je nachdem ihn die Lust
anwandelt, die Deutschen verächtlich oder lächerlich zu machen. Doch sind
dieselben, wie schon gesagt, sammt und sonders innerlich so unwahr, daß
man über den Autor, der solche lendenlahme Schemen in die Welt zu setzen
wagte, nur bedauerlich das Haupt schütteln kann. Wie kläglich erfunden
sind der deutsche Schützenbruder mit seinem gewonnenen Papageien und der
deutsche Patriot und Festtheilnehmer an der Enthüllungsfeier des Hermanns¬
denkmals. Und nun höre man das Urtheil des Herrn Tissot über dieses Denk¬
mal selber. Der Traupmann des Teutoburger Waldes trägt auf seinem
Haupte eine Bärenmütze mit zwei Rabenflügeln, die zwei Eselsohren gleichen.
Man liest die Drohung in seinem wilden Blicke. Seine Lippen sind grau¬
sam wie die des Tigers. Sein Bart ist dicht und zottig. Der Ausdruck
dieses Kopfes ist ein Gemisch von Frechheit und Hinterlist. Man erkennt darin
sehr leicht den deutschen Spion, den Verräther, der seine frühern Waffenge¬
nossen in einen Hinterhalt gelockt hat.

In Mainz läßt er einen Unterofficier zunächst über die Eventualität
eines Krieges mit Frankreich und über die Art und Weise wie derselbe ge¬
führt werde mit einer so ungenirter Kühnheit sich äußern, als ob er
ein Vertrauter Moltke's wäre. Dann läßt er ihn auf die Frage, ob sie viel
zu arbeiten hätten, folgendermaßen antworten: Es ist schrecklich. Wir haben
nicht Zeit zu athmen. Immer exerciren, immer Märsche, immer Manöver.
Man ist nicht mehr Mensch, sondern Maschine. Durch die unerträgliche Hitze
des letzten Monats haben wir ein halbes Dutzend Kameraden verloren. Aber
unsere Anführer in ihrer unerbittlichen Strenge kümmern sich wenig darum.
Das Leben eines Menschen zählt nicht, es ist ein Blatt, welches sich vom
großen Baume loslöst, ein Sandkorn, vom Winde dahingetragen. Ein so


er drei preußische Arbeiter erscheinen, die einen unglücklichen Wirth um die
genossenen Spirituosen in seltener Unverschämtheit betrügen. Er läßt
dann den armen Wirth das erste Verdammungsurtheil aussprechen: daß
nämlich, seitdem die Luxemburgischen Eisenbahnen in die Hände der deutschen
Räuber gefallen seien, sich Niemand mehr vor solchen Gaunereien schützen
könne. Als Oerr Tissot nach Deutschland kommt, bemerkt er, daß daselbst
eine vierte Wagen klaffe existirt, und er verspürt nicht übel Lust die Schwelle
eines dieser Wagen zu überschreiten, wenn die Furcht nicht gewesen wäre,
alle die Thiere, die die teutonischen Haartouren bevölkern, aus Nationalhaß
sich auf sich stürzen zu sehen. In Kaiserslautern bemerkt er zu seinem Er¬
staunen, daß die Bauern violette Strümpfe tragen wie die Bischöfe, und daß
sie sich in ihre Schürze schneuzen. Man ist hier gegen Berlin voraus, wo
man sich allgemein dazu des Daumens und des Zeigefingers bedient. So be¬
richtet wenigstens Herr Tissot. Er läßt dann eine ganze Anzahl Personen
im Waggon auftauchen, wie er sie gerade braucht, je nachdem ihn die Lust
anwandelt, die Deutschen verächtlich oder lächerlich zu machen. Doch sind
dieselben, wie schon gesagt, sammt und sonders innerlich so unwahr, daß
man über den Autor, der solche lendenlahme Schemen in die Welt zu setzen
wagte, nur bedauerlich das Haupt schütteln kann. Wie kläglich erfunden
sind der deutsche Schützenbruder mit seinem gewonnenen Papageien und der
deutsche Patriot und Festtheilnehmer an der Enthüllungsfeier des Hermanns¬
denkmals. Und nun höre man das Urtheil des Herrn Tissot über dieses Denk¬
mal selber. Der Traupmann des Teutoburger Waldes trägt auf seinem
Haupte eine Bärenmütze mit zwei Rabenflügeln, die zwei Eselsohren gleichen.
Man liest die Drohung in seinem wilden Blicke. Seine Lippen sind grau¬
sam wie die des Tigers. Sein Bart ist dicht und zottig. Der Ausdruck
dieses Kopfes ist ein Gemisch von Frechheit und Hinterlist. Man erkennt darin
sehr leicht den deutschen Spion, den Verräther, der seine frühern Waffenge¬
nossen in einen Hinterhalt gelockt hat.

In Mainz läßt er einen Unterofficier zunächst über die Eventualität
eines Krieges mit Frankreich und über die Art und Weise wie derselbe ge¬
führt werde mit einer so ungenirter Kühnheit sich äußern, als ob er
ein Vertrauter Moltke's wäre. Dann läßt er ihn auf die Frage, ob sie viel
zu arbeiten hätten, folgendermaßen antworten: Es ist schrecklich. Wir haben
nicht Zeit zu athmen. Immer exerciren, immer Märsche, immer Manöver.
Man ist nicht mehr Mensch, sondern Maschine. Durch die unerträgliche Hitze
des letzten Monats haben wir ein halbes Dutzend Kameraden verloren. Aber
unsere Anführer in ihrer unerbittlichen Strenge kümmern sich wenig darum.
Das Leben eines Menschen zählt nicht, es ist ein Blatt, welches sich vom
großen Baume loslöst, ein Sandkorn, vom Winde dahingetragen. Ein so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135995"/>
          <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> er drei preußische Arbeiter erscheinen, die einen unglücklichen Wirth um die<lb/>
genossenen Spirituosen in seltener Unverschämtheit betrügen. Er läßt<lb/>
dann den armen Wirth das erste Verdammungsurtheil aussprechen: daß<lb/>
nämlich, seitdem die Luxemburgischen Eisenbahnen in die Hände der deutschen<lb/>
Räuber gefallen seien, sich Niemand mehr vor solchen Gaunereien schützen<lb/>
könne. Als Oerr Tissot nach Deutschland kommt, bemerkt er, daß daselbst<lb/>
eine vierte Wagen klaffe existirt, und er verspürt nicht übel Lust die Schwelle<lb/>
eines dieser Wagen zu überschreiten, wenn die Furcht nicht gewesen wäre,<lb/>
alle die Thiere, die die teutonischen Haartouren bevölkern, aus Nationalhaß<lb/>
sich auf sich stürzen zu sehen. In Kaiserslautern bemerkt er zu seinem Er¬<lb/>
staunen, daß die Bauern violette Strümpfe tragen wie die Bischöfe, und daß<lb/>
sie sich in ihre Schürze schneuzen. Man ist hier gegen Berlin voraus, wo<lb/>
man sich allgemein dazu des Daumens und des Zeigefingers bedient. So be¬<lb/>
richtet wenigstens Herr Tissot. Er läßt dann eine ganze Anzahl Personen<lb/>
im Waggon auftauchen, wie er sie gerade braucht, je nachdem ihn die Lust<lb/>
anwandelt, die Deutschen verächtlich oder lächerlich zu machen. Doch sind<lb/>
dieselben, wie schon gesagt, sammt und sonders innerlich so unwahr, daß<lb/>
man über den Autor, der solche lendenlahme Schemen in die Welt zu setzen<lb/>
wagte, nur bedauerlich das Haupt schütteln kann. Wie kläglich erfunden<lb/>
sind der deutsche Schützenbruder mit seinem gewonnenen Papageien und der<lb/>
deutsche Patriot und Festtheilnehmer an der Enthüllungsfeier des Hermanns¬<lb/>
denkmals. Und nun höre man das Urtheil des Herrn Tissot über dieses Denk¬<lb/>
mal selber. Der Traupmann des Teutoburger Waldes trägt auf seinem<lb/>
Haupte eine Bärenmütze mit zwei Rabenflügeln, die zwei Eselsohren gleichen.<lb/>
Man liest die Drohung in seinem wilden Blicke. Seine Lippen sind grau¬<lb/>
sam wie die des Tigers. Sein Bart ist dicht und zottig. Der Ausdruck<lb/>
dieses Kopfes ist ein Gemisch von Frechheit und Hinterlist. Man erkennt darin<lb/>
sehr leicht den deutschen Spion, den Verräther, der seine frühern Waffenge¬<lb/>
nossen in einen Hinterhalt gelockt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1374" next="#ID_1375"> In Mainz läßt er einen Unterofficier zunächst über die Eventualität<lb/>
eines Krieges mit Frankreich und über die Art und Weise wie derselbe ge¬<lb/>
führt werde mit einer so ungenirter Kühnheit sich äußern, als ob er<lb/>
ein Vertrauter Moltke's wäre. Dann läßt er ihn auf die Frage, ob sie viel<lb/>
zu arbeiten hätten, folgendermaßen antworten: Es ist schrecklich. Wir haben<lb/>
nicht Zeit zu athmen. Immer exerciren, immer Märsche, immer Manöver.<lb/>
Man ist nicht mehr Mensch, sondern Maschine. Durch die unerträgliche Hitze<lb/>
des letzten Monats haben wir ein halbes Dutzend Kameraden verloren. Aber<lb/>
unsere Anführer in ihrer unerbittlichen Strenge kümmern sich wenig darum.<lb/>
Das Leben eines Menschen zählt nicht, es ist ein Blatt, welches sich vom<lb/>
großen Baume loslöst, ein Sandkorn, vom Winde dahingetragen.  Ein so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] er drei preußische Arbeiter erscheinen, die einen unglücklichen Wirth um die genossenen Spirituosen in seltener Unverschämtheit betrügen. Er läßt dann den armen Wirth das erste Verdammungsurtheil aussprechen: daß nämlich, seitdem die Luxemburgischen Eisenbahnen in die Hände der deutschen Räuber gefallen seien, sich Niemand mehr vor solchen Gaunereien schützen könne. Als Oerr Tissot nach Deutschland kommt, bemerkt er, daß daselbst eine vierte Wagen klaffe existirt, und er verspürt nicht übel Lust die Schwelle eines dieser Wagen zu überschreiten, wenn die Furcht nicht gewesen wäre, alle die Thiere, die die teutonischen Haartouren bevölkern, aus Nationalhaß sich auf sich stürzen zu sehen. In Kaiserslautern bemerkt er zu seinem Er¬ staunen, daß die Bauern violette Strümpfe tragen wie die Bischöfe, und daß sie sich in ihre Schürze schneuzen. Man ist hier gegen Berlin voraus, wo man sich allgemein dazu des Daumens und des Zeigefingers bedient. So be¬ richtet wenigstens Herr Tissot. Er läßt dann eine ganze Anzahl Personen im Waggon auftauchen, wie er sie gerade braucht, je nachdem ihn die Lust anwandelt, die Deutschen verächtlich oder lächerlich zu machen. Doch sind dieselben, wie schon gesagt, sammt und sonders innerlich so unwahr, daß man über den Autor, der solche lendenlahme Schemen in die Welt zu setzen wagte, nur bedauerlich das Haupt schütteln kann. Wie kläglich erfunden sind der deutsche Schützenbruder mit seinem gewonnenen Papageien und der deutsche Patriot und Festtheilnehmer an der Enthüllungsfeier des Hermanns¬ denkmals. Und nun höre man das Urtheil des Herrn Tissot über dieses Denk¬ mal selber. Der Traupmann des Teutoburger Waldes trägt auf seinem Haupte eine Bärenmütze mit zwei Rabenflügeln, die zwei Eselsohren gleichen. Man liest die Drohung in seinem wilden Blicke. Seine Lippen sind grau¬ sam wie die des Tigers. Sein Bart ist dicht und zottig. Der Ausdruck dieses Kopfes ist ein Gemisch von Frechheit und Hinterlist. Man erkennt darin sehr leicht den deutschen Spion, den Verräther, der seine frühern Waffenge¬ nossen in einen Hinterhalt gelockt hat. In Mainz läßt er einen Unterofficier zunächst über die Eventualität eines Krieges mit Frankreich und über die Art und Weise wie derselbe ge¬ führt werde mit einer so ungenirter Kühnheit sich äußern, als ob er ein Vertrauter Moltke's wäre. Dann läßt er ihn auf die Frage, ob sie viel zu arbeiten hätten, folgendermaßen antworten: Es ist schrecklich. Wir haben nicht Zeit zu athmen. Immer exerciren, immer Märsche, immer Manöver. Man ist nicht mehr Mensch, sondern Maschine. Durch die unerträgliche Hitze des letzten Monats haben wir ein halbes Dutzend Kameraden verloren. Aber unsere Anführer in ihrer unerbittlichen Strenge kümmern sich wenig darum. Das Leben eines Menschen zählt nicht, es ist ein Blatt, welches sich vom großen Baume loslöst, ein Sandkorn, vom Winde dahingetragen. Ein so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/414>, abgerufen am 27.07.2024.