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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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begleitet die Frau ihren Mann ins Bierhaus. Wie unzählige Male hat er
den Ehemann, den Hut schief auf dem Kopf und mit seinem Spazierstock
umher fechtend, aus der Kneipe kommen sehen, hinter ihm her seine Frau mit
einem Kind auf dem Arm und bedenklich schwankend, und in dritter Reihe
die sich unter einander prügelnder Kinder. Die Frau jenseits des Rheins,
so heißt es wörtlich, hat nie jene glänzende Rolle gespielt wie die französische.
Sie hat nichts Vornehmes, sie weiß weder durch Geist noch durch Toilette
zu glänzen. Man kann sagen, der deutschen Frau fehlt das Gepräge. Die
welche gebildet ist, sieht immer wie eine Schulmeisterin aus; sie wiederholt,
was sie gelesen und gelernt hat. Niemals ein witziger Einfall, nie ein
origineller Zug. Sie ist gewöhnlich (vulMire) und ohne Haltung. Sogar
Prinzessinen lachen in einem Salon oder einer Reunion laut auf wie Töchter
von Thürhütern. Woher der Herr Tissot das so genau weiß? Denn wenn
wir ihm auch glauben wollen, daß er den Erzbischof von Mainz interviewt
und sich in das Nürnberger Zellengefängniß eingeschlichen hat, wo er eigenl-
ich ganz am Platz war, falls er nicht in ein Irrenhaus gehört, so bezweifeln
wir recht sehr, daß sich ihm die Pforten fürstlicher Salons so ohne Weiteres
erschlossen haben.

Derartig ist also das Volk beschaffen, welches im Jahre 1870 und 71 blos
durch seine Masse das hochgebildete Frankreich zu Boden warf und ihm unter
andern auch 6 Milliarden abnahm. Aber auch hierüber weiß Herr Tissot
die Franzosen mit einer Illusion zu trösten. Er kennt nämlich genau den
Zeitpunkt, wo die letzten Reste derselben wieder nach Frankreich zurückgewandert
sind. Seit einem Jahr, sagt er, sind die Milliarden in das Land zurückge¬
kehrt, aus dem sie kamen. Ob die dann folgende Albernheit ernst gemeint
ist, oder ob sie nur ein geistreicher Einfall sein soll, lassen wir unentschieden.
Er fügt nämlich hinzu: Man sollte sagen, daß unter dem nebligen Himmel
Deutschlands das Gold Kälte empfinde, es sucht die Heimath, es entflieht,
als wenn es Heimweh hätte. O. glücklicher Süden!

Es ist natürlich für den Gegenstand selbst von gar keiner Bedeutung,
daß er obige Worte einem Bremer Makler in den Mund legt. Denn für
einen Deutschen bedarf es gar nicht erst des Nachweises, daß alle die Unter-
officiere, Makler, Capitäne u. s. w. die er dem französischen Leser vorführt,
Ausgeburten seiner krankhaft erregten Phantasie sind. Es kann hiernach
nicht weiter überraschen, daß er denselben Makler sagen läßt, daß die Industrie
und der Handel Deutschlands mit den französischen Erzeugnissen nicht con¬
curriren können. Mit großem Behagen verweilt er bei der bedeutenden Preis¬
steigerung die alle Lebensbedürfnisse erfahren und bei der unglaublich er¬
höhten Steuerlast. Und während doch wenigstens die gebildeten Franzosen
sich bisher einigen Respect vor der deutschen Kunst und vor allem vor der


begleitet die Frau ihren Mann ins Bierhaus. Wie unzählige Male hat er
den Ehemann, den Hut schief auf dem Kopf und mit seinem Spazierstock
umher fechtend, aus der Kneipe kommen sehen, hinter ihm her seine Frau mit
einem Kind auf dem Arm und bedenklich schwankend, und in dritter Reihe
die sich unter einander prügelnder Kinder. Die Frau jenseits des Rheins,
so heißt es wörtlich, hat nie jene glänzende Rolle gespielt wie die französische.
Sie hat nichts Vornehmes, sie weiß weder durch Geist noch durch Toilette
zu glänzen. Man kann sagen, der deutschen Frau fehlt das Gepräge. Die
welche gebildet ist, sieht immer wie eine Schulmeisterin aus; sie wiederholt,
was sie gelesen und gelernt hat. Niemals ein witziger Einfall, nie ein
origineller Zug. Sie ist gewöhnlich (vulMire) und ohne Haltung. Sogar
Prinzessinen lachen in einem Salon oder einer Reunion laut auf wie Töchter
von Thürhütern. Woher der Herr Tissot das so genau weiß? Denn wenn
wir ihm auch glauben wollen, daß er den Erzbischof von Mainz interviewt
und sich in das Nürnberger Zellengefängniß eingeschlichen hat, wo er eigenl-
ich ganz am Platz war, falls er nicht in ein Irrenhaus gehört, so bezweifeln
wir recht sehr, daß sich ihm die Pforten fürstlicher Salons so ohne Weiteres
erschlossen haben.

Derartig ist also das Volk beschaffen, welches im Jahre 1870 und 71 blos
durch seine Masse das hochgebildete Frankreich zu Boden warf und ihm unter
andern auch 6 Milliarden abnahm. Aber auch hierüber weiß Herr Tissot
die Franzosen mit einer Illusion zu trösten. Er kennt nämlich genau den
Zeitpunkt, wo die letzten Reste derselben wieder nach Frankreich zurückgewandert
sind. Seit einem Jahr, sagt er, sind die Milliarden in das Land zurückge¬
kehrt, aus dem sie kamen. Ob die dann folgende Albernheit ernst gemeint
ist, oder ob sie nur ein geistreicher Einfall sein soll, lassen wir unentschieden.
Er fügt nämlich hinzu: Man sollte sagen, daß unter dem nebligen Himmel
Deutschlands das Gold Kälte empfinde, es sucht die Heimath, es entflieht,
als wenn es Heimweh hätte. O. glücklicher Süden!

Es ist natürlich für den Gegenstand selbst von gar keiner Bedeutung,
daß er obige Worte einem Bremer Makler in den Mund legt. Denn für
einen Deutschen bedarf es gar nicht erst des Nachweises, daß alle die Unter-
officiere, Makler, Capitäne u. s. w. die er dem französischen Leser vorführt,
Ausgeburten seiner krankhaft erregten Phantasie sind. Es kann hiernach
nicht weiter überraschen, daß er denselben Makler sagen läßt, daß die Industrie
und der Handel Deutschlands mit den französischen Erzeugnissen nicht con¬
curriren können. Mit großem Behagen verweilt er bei der bedeutenden Preis¬
steigerung die alle Lebensbedürfnisse erfahren und bei der unglaublich er¬
höhten Steuerlast. Und während doch wenigstens die gebildeten Franzosen
sich bisher einigen Respect vor der deutschen Kunst und vor allem vor der


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[0411] begleitet die Frau ihren Mann ins Bierhaus. Wie unzählige Male hat er den Ehemann, den Hut schief auf dem Kopf und mit seinem Spazierstock umher fechtend, aus der Kneipe kommen sehen, hinter ihm her seine Frau mit einem Kind auf dem Arm und bedenklich schwankend, und in dritter Reihe die sich unter einander prügelnder Kinder. Die Frau jenseits des Rheins, so heißt es wörtlich, hat nie jene glänzende Rolle gespielt wie die französische. Sie hat nichts Vornehmes, sie weiß weder durch Geist noch durch Toilette zu glänzen. Man kann sagen, der deutschen Frau fehlt das Gepräge. Die welche gebildet ist, sieht immer wie eine Schulmeisterin aus; sie wiederholt, was sie gelesen und gelernt hat. Niemals ein witziger Einfall, nie ein origineller Zug. Sie ist gewöhnlich (vulMire) und ohne Haltung. Sogar Prinzessinen lachen in einem Salon oder einer Reunion laut auf wie Töchter von Thürhütern. Woher der Herr Tissot das so genau weiß? Denn wenn wir ihm auch glauben wollen, daß er den Erzbischof von Mainz interviewt und sich in das Nürnberger Zellengefängniß eingeschlichen hat, wo er eigenl- ich ganz am Platz war, falls er nicht in ein Irrenhaus gehört, so bezweifeln wir recht sehr, daß sich ihm die Pforten fürstlicher Salons so ohne Weiteres erschlossen haben. Derartig ist also das Volk beschaffen, welches im Jahre 1870 und 71 blos durch seine Masse das hochgebildete Frankreich zu Boden warf und ihm unter andern auch 6 Milliarden abnahm. Aber auch hierüber weiß Herr Tissot die Franzosen mit einer Illusion zu trösten. Er kennt nämlich genau den Zeitpunkt, wo die letzten Reste derselben wieder nach Frankreich zurückgewandert sind. Seit einem Jahr, sagt er, sind die Milliarden in das Land zurückge¬ kehrt, aus dem sie kamen. Ob die dann folgende Albernheit ernst gemeint ist, oder ob sie nur ein geistreicher Einfall sein soll, lassen wir unentschieden. Er fügt nämlich hinzu: Man sollte sagen, daß unter dem nebligen Himmel Deutschlands das Gold Kälte empfinde, es sucht die Heimath, es entflieht, als wenn es Heimweh hätte. O. glücklicher Süden! Es ist natürlich für den Gegenstand selbst von gar keiner Bedeutung, daß er obige Worte einem Bremer Makler in den Mund legt. Denn für einen Deutschen bedarf es gar nicht erst des Nachweises, daß alle die Unter- officiere, Makler, Capitäne u. s. w. die er dem französischen Leser vorführt, Ausgeburten seiner krankhaft erregten Phantasie sind. Es kann hiernach nicht weiter überraschen, daß er denselben Makler sagen läßt, daß die Industrie und der Handel Deutschlands mit den französischen Erzeugnissen nicht con¬ curriren können. Mit großem Behagen verweilt er bei der bedeutenden Preis¬ steigerung die alle Lebensbedürfnisse erfahren und bei der unglaublich er¬ höhten Steuerlast. Und während doch wenigstens die gebildeten Franzosen sich bisher einigen Respect vor der deutschen Kunst und vor allem vor der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/411>, abgerufen am 28.07.2024.