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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Antipathie, die diese beiden Rassen so strenge scheidet, doch eine politische
Einigung hat stattfinden können? Mr. Tissot ist auch hierauf um eine
Antwort nicht verlegen. Natürlich kann dies nur durch einen Akt der Ge¬
walt und der Ueberlistung geschehen sein. Der Krieg von 1866 hat die süd¬
deutschen Heere in die Hand Preußens gebracht. Im baierischen Heere giebt
es, nach H. Tissot, nur noch preußische Unteroffictere. Der baierische Soldat
haßt sie natürlich, schon weil sie die Gewohnheit haben, ihre Untergebenen
mit Faustschlägen zu traktiren. Aber was kann er machen ! er muß gehorchen;
denn -- und nun kommt die List -- seine oberen Officiere sind von Preußen
bestochen, bestochen wie die Minister und die ganze reichsfreundliche Presse.
Aber nicht allein das Heer. sondern auch die Schule hat sich Preußen ange¬
maßt, um der Jugend Haß gegen den Erbfeind, wilde Mord- und Beute¬
lust einzuflößen. Dies sucht Herr Tissot dadurch zu beweisen, daß er eine
Anzahl unserer schönsten, von ihm gar nicht verstandenen patriotischen Lieder
in schlechter Uebersetzung anführt.

Das Vorgehen Preußens gegen Deutschland hat er ungemein tiefsinnig
aufgefaßt. Im Jahre 1375, so erzählt er, hatte der Kaiser Chim-Tsong von
China den von Norden kommenden Mandschu-Tataren erlaubt, sich in seinem
Reiche niederzulassen. Als sie sich da festgesetzt hatten, bemächtigten sie sich
bald, da die Mandarinen sehr fett geworden waren und nicht Energie genug
zum Regieren besaßen, Pekings, stießen den regierenden Fürsten vom Throne
und machten ihren Anführer Choun-Tschi zum Kaiser von ganz China.

Die Schriftsteller der Zukunft werden dazu berufen sein, die Aehnlichkeit
zu constatiren, die zwischen dieser Periode der Geschichte Chinas und der
politischen Periode existirt, die Baiern jetzt durchmacht. Die Mandschu-Ta¬
taren Brandenburgs sind fast schon Herren von München, wo die Manda¬
rinen für sie sind. Der Sohn des Himmels selbst fängt schon an an
seiner Göttlichkeit zu zweifeln und öffnet den Feinden die Pforten seines
Palastes.

In jener scharfen Unterscheidung zwischen Nord- und Süddeutschen hält
der Verfasser übrigens keineswegs consequent fest. Sie war ihm nur soweit
von Bedeutung, als er an ihr die innere Haltlosigkeit des deutschen Reiches
vordemonstriren konnte. Nachdem ihm dies aber so ausgezeichnet gelungen,
giebt er sie auf und scheert, indem er auf die sittliche Verkommenheit und
Lasterhaftigkeit der Deutschen zu reden kommt, alle über einen Kamm. Sehr
gern bedient er sich dabei der auch bei den Franzosen so beliebten Bezeichnung:
nos voisins an äsU". Zu likin, die doch eben so herausfordernd ist, als wenn
wir uns des Ausdrucks: unsere Nachbarn jenseits der Seine bedienen wollten,
um die Franzosen zu bezeichnen; doch wir wollen deßhalb mit dem Herrn
Tissot nicht weiter rechten. Herr Tissot stößt sich zunächst sehr an der äußern


Antipathie, die diese beiden Rassen so strenge scheidet, doch eine politische
Einigung hat stattfinden können? Mr. Tissot ist auch hierauf um eine
Antwort nicht verlegen. Natürlich kann dies nur durch einen Akt der Ge¬
walt und der Ueberlistung geschehen sein. Der Krieg von 1866 hat die süd¬
deutschen Heere in die Hand Preußens gebracht. Im baierischen Heere giebt
es, nach H. Tissot, nur noch preußische Unteroffictere. Der baierische Soldat
haßt sie natürlich, schon weil sie die Gewohnheit haben, ihre Untergebenen
mit Faustschlägen zu traktiren. Aber was kann er machen ! er muß gehorchen;
denn — und nun kommt die List — seine oberen Officiere sind von Preußen
bestochen, bestochen wie die Minister und die ganze reichsfreundliche Presse.
Aber nicht allein das Heer. sondern auch die Schule hat sich Preußen ange¬
maßt, um der Jugend Haß gegen den Erbfeind, wilde Mord- und Beute¬
lust einzuflößen. Dies sucht Herr Tissot dadurch zu beweisen, daß er eine
Anzahl unserer schönsten, von ihm gar nicht verstandenen patriotischen Lieder
in schlechter Uebersetzung anführt.

Das Vorgehen Preußens gegen Deutschland hat er ungemein tiefsinnig
aufgefaßt. Im Jahre 1375, so erzählt er, hatte der Kaiser Chim-Tsong von
China den von Norden kommenden Mandschu-Tataren erlaubt, sich in seinem
Reiche niederzulassen. Als sie sich da festgesetzt hatten, bemächtigten sie sich
bald, da die Mandarinen sehr fett geworden waren und nicht Energie genug
zum Regieren besaßen, Pekings, stießen den regierenden Fürsten vom Throne
und machten ihren Anführer Choun-Tschi zum Kaiser von ganz China.

Die Schriftsteller der Zukunft werden dazu berufen sein, die Aehnlichkeit
zu constatiren, die zwischen dieser Periode der Geschichte Chinas und der
politischen Periode existirt, die Baiern jetzt durchmacht. Die Mandschu-Ta¬
taren Brandenburgs sind fast schon Herren von München, wo die Manda¬
rinen für sie sind. Der Sohn des Himmels selbst fängt schon an an
seiner Göttlichkeit zu zweifeln und öffnet den Feinden die Pforten seines
Palastes.

In jener scharfen Unterscheidung zwischen Nord- und Süddeutschen hält
der Verfasser übrigens keineswegs consequent fest. Sie war ihm nur soweit
von Bedeutung, als er an ihr die innere Haltlosigkeit des deutschen Reiches
vordemonstriren konnte. Nachdem ihm dies aber so ausgezeichnet gelungen,
giebt er sie auf und scheert, indem er auf die sittliche Verkommenheit und
Lasterhaftigkeit der Deutschen zu reden kommt, alle über einen Kamm. Sehr
gern bedient er sich dabei der auch bei den Franzosen so beliebten Bezeichnung:
nos voisins an äsU«. Zu likin, die doch eben so herausfordernd ist, als wenn
wir uns des Ausdrucks: unsere Nachbarn jenseits der Seine bedienen wollten,
um die Franzosen zu bezeichnen; doch wir wollen deßhalb mit dem Herrn
Tissot nicht weiter rechten. Herr Tissot stößt sich zunächst sehr an der äußern


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[0408] Antipathie, die diese beiden Rassen so strenge scheidet, doch eine politische Einigung hat stattfinden können? Mr. Tissot ist auch hierauf um eine Antwort nicht verlegen. Natürlich kann dies nur durch einen Akt der Ge¬ walt und der Ueberlistung geschehen sein. Der Krieg von 1866 hat die süd¬ deutschen Heere in die Hand Preußens gebracht. Im baierischen Heere giebt es, nach H. Tissot, nur noch preußische Unteroffictere. Der baierische Soldat haßt sie natürlich, schon weil sie die Gewohnheit haben, ihre Untergebenen mit Faustschlägen zu traktiren. Aber was kann er machen ! er muß gehorchen; denn — und nun kommt die List — seine oberen Officiere sind von Preußen bestochen, bestochen wie die Minister und die ganze reichsfreundliche Presse. Aber nicht allein das Heer. sondern auch die Schule hat sich Preußen ange¬ maßt, um der Jugend Haß gegen den Erbfeind, wilde Mord- und Beute¬ lust einzuflößen. Dies sucht Herr Tissot dadurch zu beweisen, daß er eine Anzahl unserer schönsten, von ihm gar nicht verstandenen patriotischen Lieder in schlechter Uebersetzung anführt. Das Vorgehen Preußens gegen Deutschland hat er ungemein tiefsinnig aufgefaßt. Im Jahre 1375, so erzählt er, hatte der Kaiser Chim-Tsong von China den von Norden kommenden Mandschu-Tataren erlaubt, sich in seinem Reiche niederzulassen. Als sie sich da festgesetzt hatten, bemächtigten sie sich bald, da die Mandarinen sehr fett geworden waren und nicht Energie genug zum Regieren besaßen, Pekings, stießen den regierenden Fürsten vom Throne und machten ihren Anführer Choun-Tschi zum Kaiser von ganz China. Die Schriftsteller der Zukunft werden dazu berufen sein, die Aehnlichkeit zu constatiren, die zwischen dieser Periode der Geschichte Chinas und der politischen Periode existirt, die Baiern jetzt durchmacht. Die Mandschu-Ta¬ taren Brandenburgs sind fast schon Herren von München, wo die Manda¬ rinen für sie sind. Der Sohn des Himmels selbst fängt schon an an seiner Göttlichkeit zu zweifeln und öffnet den Feinden die Pforten seines Palastes. In jener scharfen Unterscheidung zwischen Nord- und Süddeutschen hält der Verfasser übrigens keineswegs consequent fest. Sie war ihm nur soweit von Bedeutung, als er an ihr die innere Haltlosigkeit des deutschen Reiches vordemonstriren konnte. Nachdem ihm dies aber so ausgezeichnet gelungen, giebt er sie auf und scheert, indem er auf die sittliche Verkommenheit und Lasterhaftigkeit der Deutschen zu reden kommt, alle über einen Kamm. Sehr gern bedient er sich dabei der auch bei den Franzosen so beliebten Bezeichnung: nos voisins an äsU«. Zu likin, die doch eben so herausfordernd ist, als wenn wir uns des Ausdrucks: unsere Nachbarn jenseits der Seine bedienen wollten, um die Franzosen zu bezeichnen; doch wir wollen deßhalb mit dem Herrn Tissot nicht weiter rechten. Herr Tissot stößt sich zunächst sehr an der äußern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/408>, abgerufen am 28.07.2024.