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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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gehende Betrachtung angedeihen zu lassen. Er "bedürfte eines eng umschrieb
denen, möglichst homogenen und in jeder Hinsicht als feste Thatsache gegebenen
Sprachstoffes als Substrat zu einer Reihe von Ausführungen über lautphysio¬
logische Materien. Transscription und Methode des Studiums am lebendigen
Sprachkörper." Die Ausführungen über Lautphysiologie und Transscription
haben den Zweck, auf dem Gebiete der schweizerischen Dialektforschung eine
Verständigung über eine Reihe von Voraussetzungen anzuregen, ohne welche
ein planmäßiges und einheitliches Fortschreiten auf diesem Wissensgebiete
nicht möglich ist. Hinsichtlich der Methode aber kam es dem Verfasser da¬
rauf an, zu zeigen, daß das Studium der lebenden Sprache so gut wie das
von Naturobjecten vom Individuum ausgehen muß, daß solche Sprachindi¬
viduen nach allen Seiten hin sorgfältig zu prüfen sind, wenn nicht wesent¬
liche Sprachthatsachen übersehen werden sollen, und daß nur eine solche genaue
Beobachtung des Sprachindividuums tieferes Verständniß der Ursachen und
Gesetze geben kann, welche die Sprachentwickelung bedingen. So viel über die
Absichten des Verfassers. Die Beurtheilung dessen, was er geleistet hat,
müssen wir den Fachblättern überlassen.




In Sachen Mommsen contra Mischer.

In Ur. 22 der Zeitschrift "Im neuen Reich" behauptet Professor Momm¬
sen, daß die Aeußerung, die er im preußischen Abgeordnetenhause betreffs der
Stellung Professor Fleischer's zum Ankauf der sogenannten Moabitica gethan
habe, begründet gewesen sei, indem dieser im Verein mit den übrigen Mit¬
gliedern des Vorstandes der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft im Juli
1872 den Ankauf jener Pseudo-Alterthümer der preußischen Regierung in
einer Eingabe nachdrücklich empfohlen habe. Das Votum, worin Fleischer
die Echtheit jener Waare bezweifelt, sei ihm, Mommsen, damals nicht be¬
kannt gewesen.

Wir vermochten diese Behauptungen nicht in Einklang zu bringen mit
der in Ur. 18 der Grenzboten mitgetheilten Stelle des Mommsen'schen Briefes
an Fleischer, wo es heißt: "Natürlich wußte ich sehr wohl, daß Sie persönlich
an den Dingen so unschuldig sind wie ich," und ebenso wenig mit dem Briefe
des leipziger Gelehrten, welcher uns zu dem Vorgehen gegen Mommsen ver¬
anlaßt und uns dabei "ausdrücklich und nachdrücklich" versichert hatte, "daß
Fleischer in der ganzen Ankaufsangelegenheit niemals auch nur ein Wort


gehende Betrachtung angedeihen zu lassen. Er „bedürfte eines eng umschrieb
denen, möglichst homogenen und in jeder Hinsicht als feste Thatsache gegebenen
Sprachstoffes als Substrat zu einer Reihe von Ausführungen über lautphysio¬
logische Materien. Transscription und Methode des Studiums am lebendigen
Sprachkörper." Die Ausführungen über Lautphysiologie und Transscription
haben den Zweck, auf dem Gebiete der schweizerischen Dialektforschung eine
Verständigung über eine Reihe von Voraussetzungen anzuregen, ohne welche
ein planmäßiges und einheitliches Fortschreiten auf diesem Wissensgebiete
nicht möglich ist. Hinsichtlich der Methode aber kam es dem Verfasser da¬
rauf an, zu zeigen, daß das Studium der lebenden Sprache so gut wie das
von Naturobjecten vom Individuum ausgehen muß, daß solche Sprachindi¬
viduen nach allen Seiten hin sorgfältig zu prüfen sind, wenn nicht wesent¬
liche Sprachthatsachen übersehen werden sollen, und daß nur eine solche genaue
Beobachtung des Sprachindividuums tieferes Verständniß der Ursachen und
Gesetze geben kann, welche die Sprachentwickelung bedingen. So viel über die
Absichten des Verfassers. Die Beurtheilung dessen, was er geleistet hat,
müssen wir den Fachblättern überlassen.




In Sachen Mommsen contra Mischer.

In Ur. 22 der Zeitschrift „Im neuen Reich" behauptet Professor Momm¬
sen, daß die Aeußerung, die er im preußischen Abgeordnetenhause betreffs der
Stellung Professor Fleischer's zum Ankauf der sogenannten Moabitica gethan
habe, begründet gewesen sei, indem dieser im Verein mit den übrigen Mit¬
gliedern des Vorstandes der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft im Juli
1872 den Ankauf jener Pseudo-Alterthümer der preußischen Regierung in
einer Eingabe nachdrücklich empfohlen habe. Das Votum, worin Fleischer
die Echtheit jener Waare bezweifelt, sei ihm, Mommsen, damals nicht be¬
kannt gewesen.

Wir vermochten diese Behauptungen nicht in Einklang zu bringen mit
der in Ur. 18 der Grenzboten mitgetheilten Stelle des Mommsen'schen Briefes
an Fleischer, wo es heißt: „Natürlich wußte ich sehr wohl, daß Sie persönlich
an den Dingen so unschuldig sind wie ich," und ebenso wenig mit dem Briefe
des leipziger Gelehrten, welcher uns zu dem Vorgehen gegen Mommsen ver¬
anlaßt und uns dabei „ausdrücklich und nachdrücklich" versichert hatte, „daß
Fleischer in der ganzen Ankaufsangelegenheit niemals auch nur ein Wort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/403>, abgerufen am 27.07.2024.