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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Zechern in die Schranken reiten ließen, war altes Herkommen und gehörte zu
den hauptsächlichsten Belustigungen sogar vornehmer geistlicher Würdenträger,
die, wie wir aus Goethe's "Nochusfest zu Bingen" wissen, am Rheine selbst
gewaltige Quantitäten von Rebensaft zu bewältigen im Stande waren. Ge¬
wöhnlich behielten dann die geistlichen Kehlen den Sieg, tranken den Gegner
unter den Tisch und behaupteten sich mannhaft auf ihren Stühlen. Die
Bauern thaten es dem Adel und den Bischöfen nach und machten sich mit
ihren Pastoren, wenn sie leistungsfähig waren, dasselbe Vergnügen. "Wenn
die Bauern oder Bürger", berichtet Lauckharo, "in den Weinhäusern zusam¬
men zechten, unterhielten sie sich oft über die Versoffenheit ihrer Pfaffen, und
ich weiß, daß sich die Katholiken und Lutheraner zu Creuznach einst derb
zerprügelt haben, weil letztere behaupteten, ihr Inspektor könne mehr saufen,
als der Pater Concionator im Karmeliterkloster, welches die Katholiken nicht
zugaben und dem Pater Concionator die Ehre des Mehrtrinkens zuer¬
kannten."

Andere Thorheiten fehlten dem Bilde dieser Geistlichkeit ebenso wenig.
Das Dorf Udenheim, drei Stunden Wegs von Mainz entfernt, gehörte einem
Baron v. Koth, der katholisch war, sich wenig um seine lutherischen Pfarrer
kümmerte und die Bauern fortjagte, wenn sie mit Klagen über dieselben vor
ihn traten. In diesem Dorfe war denn nun ein lutherischer Pastor, mit
Namen Thiels. Derselbe war, wie Lauckhard es nennt, "nicht recht kapitel¬
fest; er war eben kein vollständiger Narr, aber doch ein Hasenfuß, bei dem es
stark rappelle. In solch"! Anfällen lief er dann im Dorfe herum, prügelte
die Jugend und fluchte wie ein Landsknecht." Seine Schwester, welche ihm
die Wirthschaft besorgte, jagte er von sich und drohte sie zu erstechen, wenn
sie ihm je wieder vor die Augen käme. Einen Amtmann seines Patrons,
der ihm Vorhaltungen wegen seines wüsten Betragens machen wollte, rega-
lirte er mit Ohrfeigen. In die Kirche kam er schon seit Jahren nicht mehr;
ein abgesetzter Schulmeister aus der Nachbarschaft, der ehedem ein Bischen
Theologie studirt hatte, versah seine Dienste. In Kriegsfeld gab es einen
Pfarrer Hohmann, der eine solche Menge dumme und grobe Streiche beging,
daß das Consistorium sich, wie sehr es auch gewohnt war, durch die Finger
zu sehen und fünf gerade sein zu lassen, doch zuletzt entschließen mußte, die
Absetzung des tollen Gesellen auszusprechen, worauf Hohmann als Bettler im
Lande umherlief. Jeder von den Pastoren in Lauckhard's Gegend hatte seinen
Spitznamen, bet dem die Meisten bekannter waren als bei ihrem wirklichen
Namen. Langhals, Mistkäfer. Gänsehals, Magister Werkmaul, Gruben-
schlungs, Papelmännchen sind noch lange nicht die schlimmsten in dem langen
Verzeichnisse derselben bei unserm Gewährsmann.

Sogar schwere Verbrechen, wie Diebstahl und Mord, ereigneten sich in


Zechern in die Schranken reiten ließen, war altes Herkommen und gehörte zu
den hauptsächlichsten Belustigungen sogar vornehmer geistlicher Würdenträger,
die, wie wir aus Goethe's „Nochusfest zu Bingen" wissen, am Rheine selbst
gewaltige Quantitäten von Rebensaft zu bewältigen im Stande waren. Ge¬
wöhnlich behielten dann die geistlichen Kehlen den Sieg, tranken den Gegner
unter den Tisch und behaupteten sich mannhaft auf ihren Stühlen. Die
Bauern thaten es dem Adel und den Bischöfen nach und machten sich mit
ihren Pastoren, wenn sie leistungsfähig waren, dasselbe Vergnügen. „Wenn
die Bauern oder Bürger", berichtet Lauckharo, „in den Weinhäusern zusam¬
men zechten, unterhielten sie sich oft über die Versoffenheit ihrer Pfaffen, und
ich weiß, daß sich die Katholiken und Lutheraner zu Creuznach einst derb
zerprügelt haben, weil letztere behaupteten, ihr Inspektor könne mehr saufen,
als der Pater Concionator im Karmeliterkloster, welches die Katholiken nicht
zugaben und dem Pater Concionator die Ehre des Mehrtrinkens zuer¬
kannten."

Andere Thorheiten fehlten dem Bilde dieser Geistlichkeit ebenso wenig.
Das Dorf Udenheim, drei Stunden Wegs von Mainz entfernt, gehörte einem
Baron v. Koth, der katholisch war, sich wenig um seine lutherischen Pfarrer
kümmerte und die Bauern fortjagte, wenn sie mit Klagen über dieselben vor
ihn traten. In diesem Dorfe war denn nun ein lutherischer Pastor, mit
Namen Thiels. Derselbe war, wie Lauckhard es nennt, „nicht recht kapitel¬
fest; er war eben kein vollständiger Narr, aber doch ein Hasenfuß, bei dem es
stark rappelle. In solch«! Anfällen lief er dann im Dorfe herum, prügelte
die Jugend und fluchte wie ein Landsknecht." Seine Schwester, welche ihm
die Wirthschaft besorgte, jagte er von sich und drohte sie zu erstechen, wenn
sie ihm je wieder vor die Augen käme. Einen Amtmann seines Patrons,
der ihm Vorhaltungen wegen seines wüsten Betragens machen wollte, rega-
lirte er mit Ohrfeigen. In die Kirche kam er schon seit Jahren nicht mehr;
ein abgesetzter Schulmeister aus der Nachbarschaft, der ehedem ein Bischen
Theologie studirt hatte, versah seine Dienste. In Kriegsfeld gab es einen
Pfarrer Hohmann, der eine solche Menge dumme und grobe Streiche beging,
daß das Consistorium sich, wie sehr es auch gewohnt war, durch die Finger
zu sehen und fünf gerade sein zu lassen, doch zuletzt entschließen mußte, die
Absetzung des tollen Gesellen auszusprechen, worauf Hohmann als Bettler im
Lande umherlief. Jeder von den Pastoren in Lauckhard's Gegend hatte seinen
Spitznamen, bet dem die Meisten bekannter waren als bei ihrem wirklichen
Namen. Langhals, Mistkäfer. Gänsehals, Magister Werkmaul, Gruben-
schlungs, Papelmännchen sind noch lange nicht die schlimmsten in dem langen
Verzeichnisse derselben bei unserm Gewährsmann.

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[0388] Zechern in die Schranken reiten ließen, war altes Herkommen und gehörte zu den hauptsächlichsten Belustigungen sogar vornehmer geistlicher Würdenträger, die, wie wir aus Goethe's „Nochusfest zu Bingen" wissen, am Rheine selbst gewaltige Quantitäten von Rebensaft zu bewältigen im Stande waren. Ge¬ wöhnlich behielten dann die geistlichen Kehlen den Sieg, tranken den Gegner unter den Tisch und behaupteten sich mannhaft auf ihren Stühlen. Die Bauern thaten es dem Adel und den Bischöfen nach und machten sich mit ihren Pastoren, wenn sie leistungsfähig waren, dasselbe Vergnügen. „Wenn die Bauern oder Bürger", berichtet Lauckharo, „in den Weinhäusern zusam¬ men zechten, unterhielten sie sich oft über die Versoffenheit ihrer Pfaffen, und ich weiß, daß sich die Katholiken und Lutheraner zu Creuznach einst derb zerprügelt haben, weil letztere behaupteten, ihr Inspektor könne mehr saufen, als der Pater Concionator im Karmeliterkloster, welches die Katholiken nicht zugaben und dem Pater Concionator die Ehre des Mehrtrinkens zuer¬ kannten." Andere Thorheiten fehlten dem Bilde dieser Geistlichkeit ebenso wenig. Das Dorf Udenheim, drei Stunden Wegs von Mainz entfernt, gehörte einem Baron v. Koth, der katholisch war, sich wenig um seine lutherischen Pfarrer kümmerte und die Bauern fortjagte, wenn sie mit Klagen über dieselben vor ihn traten. In diesem Dorfe war denn nun ein lutherischer Pastor, mit Namen Thiels. Derselbe war, wie Lauckhard es nennt, „nicht recht kapitel¬ fest; er war eben kein vollständiger Narr, aber doch ein Hasenfuß, bei dem es stark rappelle. In solch«! Anfällen lief er dann im Dorfe herum, prügelte die Jugend und fluchte wie ein Landsknecht." Seine Schwester, welche ihm die Wirthschaft besorgte, jagte er von sich und drohte sie zu erstechen, wenn sie ihm je wieder vor die Augen käme. Einen Amtmann seines Patrons, der ihm Vorhaltungen wegen seines wüsten Betragens machen wollte, rega- lirte er mit Ohrfeigen. In die Kirche kam er schon seit Jahren nicht mehr; ein abgesetzter Schulmeister aus der Nachbarschaft, der ehedem ein Bischen Theologie studirt hatte, versah seine Dienste. In Kriegsfeld gab es einen Pfarrer Hohmann, der eine solche Menge dumme und grobe Streiche beging, daß das Consistorium sich, wie sehr es auch gewohnt war, durch die Finger zu sehen und fünf gerade sein zu lassen, doch zuletzt entschließen mußte, die Absetzung des tollen Gesellen auszusprechen, worauf Hohmann als Bettler im Lande umherlief. Jeder von den Pastoren in Lauckhard's Gegend hatte seinen Spitznamen, bet dem die Meisten bekannter waren als bei ihrem wirklichen Namen. Langhals, Mistkäfer. Gänsehals, Magister Werkmaul, Gruben- schlungs, Papelmännchen sind noch lange nicht die schlimmsten in dem langen Verzeichnisse derselben bei unserm Gewährsmann. Sogar schwere Verbrechen, wie Diebstahl und Mord, ereigneten sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/388>, abgerufen am 26.11.2024.