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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wenn er erst wisse, ob für die Opfer der diesjährigen Überschwemmungen etwas
geschehen werde, beziehentlich geschehen könne. Das hieß mit großer Schlauheit
insinuiren: Ihr habt Geld für Trophäen, aber kein Geld für unverschuldet
Obdachlose und Hungernde. Auf Herrn Windthorst folgte der 80jährige
Präsident von Gerlach als Redner gegen die Vorlage. Wer hätte diesem
Manne, jetzigem Mitglied des Centrums, vor 20 Jahren prophezeihen dürfen,
daß der Tag kommen könne, wo Herr von Gerlach zögern werde, eine mäßige
Summe für den Ruhm der preußischen Armee zu bewilligen? Aber dieser
Tag ist gekommen. Herr von Gerlach meinte, man werde nicht umhin können,
bei der Ruhmeshalle an die neuen und neuesten Siege Preußens zu denken;
diese Siege bedeuteten aber Annexionen, deutsches Reich und Culturkampf,
Zustände, um deren Willen das Vaterland besser thue, sich zu demüthigen,
als sie zu verherrlichen! -- Man lernt aus solchen Worten, wie auch die
schwerste Unnatur in nationalen Dingen ihre Liebhaber findet, die um den
Untergang der Unnatur trauern. Und nicht bloß Egoisten sind diese Lieb¬
haber, sondern auch verschrobene Idealisten, obwohl die letztere Species von
Liebhabern des Schädlichen und Schlechten eine Eigenthümlichkeit sein mag,
die kein Volk mit uns Deutschen theilt, noch uns darum beneidet.

In derselben Sitzung nahm alsdann die Einzelberathung des Gesetzes
über die Amtssprache ihren Fortgang, deren Einzelheiten nicht interessiren-
Darauf erfolgte noch in derselben Sitzung die dritte Berathung des Gesetzes
über die Aufstchtsrechte des Staats bei der Vermögensverwaltung in den
katholischen Diöcesen. Bei dieser Berathung entwickelte sich wiederum eine
Culturkampfscene. Dieses Wort scheint mehr und mehr die Bezeichnung zu
werden für formlose Wortkämpfe, bei denen man sich unter Verzicht auf
sachliche Discussion und jede Art von Gründen allerhand Beleidigungen an
den Kopf wirft. Selbst Herr Windthorst, der vielgewandte, den wir vorhin
mit gutem Grund nicht den stets gewandten nennen wollten, betheiligt sich
an solchen Gefechten, wo die Plumpheit allein das Wort hat, und der oft¬
mals feine Dialektiker läßt die bei Gefechten dieser Art geltende Eigenschaft
in keiner Weise vermissen, aber wohl nicht zu seinem Ruhme. Eine Blumenlese
zierlicher Redensarten aus dieser Debatte wollen wir unterlassen. Es braucht
nur noch geringer Steigerung, um ein durchgreifendes Hetlungsmittel als ge'
boten durch die Ehre der deutschen Nation zur allgemeinen Forderung zu
machen. --

Die Sitzung vom 16. Mai mit allerhand technischen Gegenständen dürfen
wir übergehen. Nicht minder die Sitzung vom 17. Mai, in der es sich um
Uebernahme von Eisenbahnen für den preußischen Staat theils in directer,
theils in indirecter Form handelte. Am 18. Mai zuerst wieder eine kleine
Culturkampfscene. Sodann die zweite Berathung des Gesetzentwurfs über


wenn er erst wisse, ob für die Opfer der diesjährigen Überschwemmungen etwas
geschehen werde, beziehentlich geschehen könne. Das hieß mit großer Schlauheit
insinuiren: Ihr habt Geld für Trophäen, aber kein Geld für unverschuldet
Obdachlose und Hungernde. Auf Herrn Windthorst folgte der 80jährige
Präsident von Gerlach als Redner gegen die Vorlage. Wer hätte diesem
Manne, jetzigem Mitglied des Centrums, vor 20 Jahren prophezeihen dürfen,
daß der Tag kommen könne, wo Herr von Gerlach zögern werde, eine mäßige
Summe für den Ruhm der preußischen Armee zu bewilligen? Aber dieser
Tag ist gekommen. Herr von Gerlach meinte, man werde nicht umhin können,
bei der Ruhmeshalle an die neuen und neuesten Siege Preußens zu denken;
diese Siege bedeuteten aber Annexionen, deutsches Reich und Culturkampf,
Zustände, um deren Willen das Vaterland besser thue, sich zu demüthigen,
als sie zu verherrlichen! — Man lernt aus solchen Worten, wie auch die
schwerste Unnatur in nationalen Dingen ihre Liebhaber findet, die um den
Untergang der Unnatur trauern. Und nicht bloß Egoisten sind diese Lieb¬
haber, sondern auch verschrobene Idealisten, obwohl die letztere Species von
Liebhabern des Schädlichen und Schlechten eine Eigenthümlichkeit sein mag,
die kein Volk mit uns Deutschen theilt, noch uns darum beneidet.

In derselben Sitzung nahm alsdann die Einzelberathung des Gesetzes
über die Amtssprache ihren Fortgang, deren Einzelheiten nicht interessiren-
Darauf erfolgte noch in derselben Sitzung die dritte Berathung des Gesetzes
über die Aufstchtsrechte des Staats bei der Vermögensverwaltung in den
katholischen Diöcesen. Bei dieser Berathung entwickelte sich wiederum eine
Culturkampfscene. Dieses Wort scheint mehr und mehr die Bezeichnung zu
werden für formlose Wortkämpfe, bei denen man sich unter Verzicht auf
sachliche Discussion und jede Art von Gründen allerhand Beleidigungen an
den Kopf wirft. Selbst Herr Windthorst, der vielgewandte, den wir vorhin
mit gutem Grund nicht den stets gewandten nennen wollten, betheiligt sich
an solchen Gefechten, wo die Plumpheit allein das Wort hat, und der oft¬
mals feine Dialektiker läßt die bei Gefechten dieser Art geltende Eigenschaft
in keiner Weise vermissen, aber wohl nicht zu seinem Ruhme. Eine Blumenlese
zierlicher Redensarten aus dieser Debatte wollen wir unterlassen. Es braucht
nur noch geringer Steigerung, um ein durchgreifendes Hetlungsmittel als ge'
boten durch die Ehre der deutschen Nation zur allgemeinen Forderung zu
machen. —

Die Sitzung vom 16. Mai mit allerhand technischen Gegenständen dürfen
wir übergehen. Nicht minder die Sitzung vom 17. Mai, in der es sich um
Uebernahme von Eisenbahnen für den preußischen Staat theils in directer,
theils in indirecter Form handelte. Am 18. Mai zuerst wieder eine kleine
Culturkampfscene. Sodann die zweite Berathung des Gesetzentwurfs über


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[0358] wenn er erst wisse, ob für die Opfer der diesjährigen Überschwemmungen etwas geschehen werde, beziehentlich geschehen könne. Das hieß mit großer Schlauheit insinuiren: Ihr habt Geld für Trophäen, aber kein Geld für unverschuldet Obdachlose und Hungernde. Auf Herrn Windthorst folgte der 80jährige Präsident von Gerlach als Redner gegen die Vorlage. Wer hätte diesem Manne, jetzigem Mitglied des Centrums, vor 20 Jahren prophezeihen dürfen, daß der Tag kommen könne, wo Herr von Gerlach zögern werde, eine mäßige Summe für den Ruhm der preußischen Armee zu bewilligen? Aber dieser Tag ist gekommen. Herr von Gerlach meinte, man werde nicht umhin können, bei der Ruhmeshalle an die neuen und neuesten Siege Preußens zu denken; diese Siege bedeuteten aber Annexionen, deutsches Reich und Culturkampf, Zustände, um deren Willen das Vaterland besser thue, sich zu demüthigen, als sie zu verherrlichen! — Man lernt aus solchen Worten, wie auch die schwerste Unnatur in nationalen Dingen ihre Liebhaber findet, die um den Untergang der Unnatur trauern. Und nicht bloß Egoisten sind diese Lieb¬ haber, sondern auch verschrobene Idealisten, obwohl die letztere Species von Liebhabern des Schädlichen und Schlechten eine Eigenthümlichkeit sein mag, die kein Volk mit uns Deutschen theilt, noch uns darum beneidet. In derselben Sitzung nahm alsdann die Einzelberathung des Gesetzes über die Amtssprache ihren Fortgang, deren Einzelheiten nicht interessiren- Darauf erfolgte noch in derselben Sitzung die dritte Berathung des Gesetzes über die Aufstchtsrechte des Staats bei der Vermögensverwaltung in den katholischen Diöcesen. Bei dieser Berathung entwickelte sich wiederum eine Culturkampfscene. Dieses Wort scheint mehr und mehr die Bezeichnung zu werden für formlose Wortkämpfe, bei denen man sich unter Verzicht auf sachliche Discussion und jede Art von Gründen allerhand Beleidigungen an den Kopf wirft. Selbst Herr Windthorst, der vielgewandte, den wir vorhin mit gutem Grund nicht den stets gewandten nennen wollten, betheiligt sich an solchen Gefechten, wo die Plumpheit allein das Wort hat, und der oft¬ mals feine Dialektiker läßt die bei Gefechten dieser Art geltende Eigenschaft in keiner Weise vermissen, aber wohl nicht zu seinem Ruhme. Eine Blumenlese zierlicher Redensarten aus dieser Debatte wollen wir unterlassen. Es braucht nur noch geringer Steigerung, um ein durchgreifendes Hetlungsmittel als ge' boten durch die Ehre der deutschen Nation zur allgemeinen Forderung zu machen. — Die Sitzung vom 16. Mai mit allerhand technischen Gegenständen dürfen wir übergehen. Nicht minder die Sitzung vom 17. Mai, in der es sich um Uebernahme von Eisenbahnen für den preußischen Staat theils in directer, theils in indirecter Form handelte. Am 18. Mai zuerst wieder eine kleine Culturkampfscene. Sodann die zweite Berathung des Gesetzentwurfs über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/358>, abgerufen am 27.11.2024.