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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Zu Herberger's Zeiten begannen auch schon Moralpredigten, die einzelne
Sünden und Laster strafen, und mit denen der wackere und originelle Ham¬
burger Pastor Balthasar Schuppius sich zu Anfang des Jahrhunderts
Verdienste und einen Namen erwarb. Seine Predigten waren Satiren, in
denen der Hanswurst eine wichtige Rolle spielte, und allerhand Fabeleien
vorgetragen wurden. Man hat ihn mit Abraham a Sancta Clara ver¬
glichen, und in der That erinnert Manches von seinen Reden, z, B. die Be¬
trachtung des Wörtleins Nichts, an den Wiener Augustinermönch. Nur
steht Schuppius sittlich höher und meint es im Grunde ernster wie dieser.

Die obigen Betspiele der Manier, wie man in der guten alten Zeit
predigte, sind städtischen Kanzeln entlehnt. Wie es bis weit ins achtzehnte
Jahrhundert hinein mit der homiletischen Kunst auf dem Lande beschaffen ge¬
wesen ist (als Seelsorger haben die Betreffenden, wie nicht vergessen werden
darf, namentlich nach dem dreißigjährigen Kriege außerordentlich viel Segen¬
reiches geleistet), kann man sich denken. Eine Probe aus einer Predigt Job se
Sackmann's, der von 1680 bis 1718 im Dorfe Lizumer bei Hannover
Pastor war und ebenfalls, wenn auch ohne Grund, mit Abraham a
Sancta Clara zusammengestellt worden ist, mag den Lesern eine Vorstellung
davon geben. Auch Sackmann ist eine komische Erscheinung, aber viel weniger
in der Weise wie sein katholischer Zeitgenosse in Wien. Er hat wenig von
dessen Beweglichkeit, dessen Lust an Wortspielen, dessen barocken Einfällen;
er ist keineswegs ohne Witz und Schalkhaftigkeit, aber weit mehr als hier¬
durch wirkt er durch seine Naivetät, die dadurch noch erheblich verstärkt
wird, daß er sich auf der Kanzel meist der Volkssprache seiner Gegend, also
des Plattdeutschen, bedient.

Die genannte Predigt ist eine Leichenrede auf den Küster und Schul¬
meister Michel Wichmann zu Lizumer. Im Exodus erzählt der Pastor, nach¬
dem er bemerkt, daß es schon zu Esaias Zeiten Gebrauch gewesen, selig ver¬
storbenen Personen eine christliche Leichenpredigt oder wenigstens eine Stand-
^de zu halten: "As et am vorigen Frydage, da et noch am Dische sat un
eben myn hellen Stockfisch mit grönen Arften (Erbsen) to Lyve broche hatte,
und nen Slücksken Kümmelaauavit darup selten wolte, kam myne jüngste
Dochter Anntrynken togelopen un reip ut vullem Halse: Papa, de Schaul-
meester is dood!" -- "Asse myne Dochter my dat toreip, so duchte my dar
eben so veel to syn, as wenn da steil: Es spricht eine Stimme: Predige!
und er sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Heu! Manch
WYsnäsige Kumpan möchte hier Seggen: Wat preddigt unse Pastor? Ist
alles Fleisch Heu, so mot ook wol alles Heu Fleisch Wesen! My ducht aber,
l)e wolt' eene kruse Näse maken, (die Nase rümpfen) wenn man em up der
Kohle anstatt Fleisch Heu vorhatte. Ja dat bebte et ook Oorsake, Du grobe


Zu Herberger's Zeiten begannen auch schon Moralpredigten, die einzelne
Sünden und Laster strafen, und mit denen der wackere und originelle Ham¬
burger Pastor Balthasar Schuppius sich zu Anfang des Jahrhunderts
Verdienste und einen Namen erwarb. Seine Predigten waren Satiren, in
denen der Hanswurst eine wichtige Rolle spielte, und allerhand Fabeleien
vorgetragen wurden. Man hat ihn mit Abraham a Sancta Clara ver¬
glichen, und in der That erinnert Manches von seinen Reden, z, B. die Be¬
trachtung des Wörtleins Nichts, an den Wiener Augustinermönch. Nur
steht Schuppius sittlich höher und meint es im Grunde ernster wie dieser.

Die obigen Betspiele der Manier, wie man in der guten alten Zeit
predigte, sind städtischen Kanzeln entlehnt. Wie es bis weit ins achtzehnte
Jahrhundert hinein mit der homiletischen Kunst auf dem Lande beschaffen ge¬
wesen ist (als Seelsorger haben die Betreffenden, wie nicht vergessen werden
darf, namentlich nach dem dreißigjährigen Kriege außerordentlich viel Segen¬
reiches geleistet), kann man sich denken. Eine Probe aus einer Predigt Job se
Sackmann's, der von 1680 bis 1718 im Dorfe Lizumer bei Hannover
Pastor war und ebenfalls, wenn auch ohne Grund, mit Abraham a
Sancta Clara zusammengestellt worden ist, mag den Lesern eine Vorstellung
davon geben. Auch Sackmann ist eine komische Erscheinung, aber viel weniger
in der Weise wie sein katholischer Zeitgenosse in Wien. Er hat wenig von
dessen Beweglichkeit, dessen Lust an Wortspielen, dessen barocken Einfällen;
er ist keineswegs ohne Witz und Schalkhaftigkeit, aber weit mehr als hier¬
durch wirkt er durch seine Naivetät, die dadurch noch erheblich verstärkt
wird, daß er sich auf der Kanzel meist der Volkssprache seiner Gegend, also
des Plattdeutschen, bedient.

Die genannte Predigt ist eine Leichenrede auf den Küster und Schul¬
meister Michel Wichmann zu Lizumer. Im Exodus erzählt der Pastor, nach¬
dem er bemerkt, daß es schon zu Esaias Zeiten Gebrauch gewesen, selig ver¬
storbenen Personen eine christliche Leichenpredigt oder wenigstens eine Stand-
^de zu halten: „As et am vorigen Frydage, da et noch am Dische sat un
eben myn hellen Stockfisch mit grönen Arften (Erbsen) to Lyve broche hatte,
und nen Slücksken Kümmelaauavit darup selten wolte, kam myne jüngste
Dochter Anntrynken togelopen un reip ut vullem Halse: Papa, de Schaul-
meester is dood!" — „Asse myne Dochter my dat toreip, so duchte my dar
eben so veel to syn, as wenn da steil: Es spricht eine Stimme: Predige!
und er sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Heu! Manch
WYsnäsige Kumpan möchte hier Seggen: Wat preddigt unse Pastor? Ist
alles Fleisch Heu, so mot ook wol alles Heu Fleisch Wesen! My ducht aber,
l)e wolt' eene kruse Näse maken, (die Nase rümpfen) wenn man em up der
Kohle anstatt Fleisch Heu vorhatte. Ja dat bebte et ook Oorsake, Du grobe


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[0343] Zu Herberger's Zeiten begannen auch schon Moralpredigten, die einzelne Sünden und Laster strafen, und mit denen der wackere und originelle Ham¬ burger Pastor Balthasar Schuppius sich zu Anfang des Jahrhunderts Verdienste und einen Namen erwarb. Seine Predigten waren Satiren, in denen der Hanswurst eine wichtige Rolle spielte, und allerhand Fabeleien vorgetragen wurden. Man hat ihn mit Abraham a Sancta Clara ver¬ glichen, und in der That erinnert Manches von seinen Reden, z, B. die Be¬ trachtung des Wörtleins Nichts, an den Wiener Augustinermönch. Nur steht Schuppius sittlich höher und meint es im Grunde ernster wie dieser. Die obigen Betspiele der Manier, wie man in der guten alten Zeit predigte, sind städtischen Kanzeln entlehnt. Wie es bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein mit der homiletischen Kunst auf dem Lande beschaffen ge¬ wesen ist (als Seelsorger haben die Betreffenden, wie nicht vergessen werden darf, namentlich nach dem dreißigjährigen Kriege außerordentlich viel Segen¬ reiches geleistet), kann man sich denken. Eine Probe aus einer Predigt Job se Sackmann's, der von 1680 bis 1718 im Dorfe Lizumer bei Hannover Pastor war und ebenfalls, wenn auch ohne Grund, mit Abraham a Sancta Clara zusammengestellt worden ist, mag den Lesern eine Vorstellung davon geben. Auch Sackmann ist eine komische Erscheinung, aber viel weniger in der Weise wie sein katholischer Zeitgenosse in Wien. Er hat wenig von dessen Beweglichkeit, dessen Lust an Wortspielen, dessen barocken Einfällen; er ist keineswegs ohne Witz und Schalkhaftigkeit, aber weit mehr als hier¬ durch wirkt er durch seine Naivetät, die dadurch noch erheblich verstärkt wird, daß er sich auf der Kanzel meist der Volkssprache seiner Gegend, also des Plattdeutschen, bedient. Die genannte Predigt ist eine Leichenrede auf den Küster und Schul¬ meister Michel Wichmann zu Lizumer. Im Exodus erzählt der Pastor, nach¬ dem er bemerkt, daß es schon zu Esaias Zeiten Gebrauch gewesen, selig ver¬ storbenen Personen eine christliche Leichenpredigt oder wenigstens eine Stand- ^de zu halten: „As et am vorigen Frydage, da et noch am Dische sat un eben myn hellen Stockfisch mit grönen Arften (Erbsen) to Lyve broche hatte, und nen Slücksken Kümmelaauavit darup selten wolte, kam myne jüngste Dochter Anntrynken togelopen un reip ut vullem Halse: Papa, de Schaul- meester is dood!" — „Asse myne Dochter my dat toreip, so duchte my dar eben so veel to syn, as wenn da steil: Es spricht eine Stimme: Predige! und er sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Heu! Manch WYsnäsige Kumpan möchte hier Seggen: Wat preddigt unse Pastor? Ist alles Fleisch Heu, so mot ook wol alles Heu Fleisch Wesen! My ducht aber, l)e wolt' eene kruse Näse maken, (die Nase rümpfen) wenn man em up der Kohle anstatt Fleisch Heu vorhatte. Ja dat bebte et ook Oorsake, Du grobe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/343>, abgerufen am 27.11.2024.