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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Kur politischen Situation in den Gereinigten Staaten.

Als vor einiger Zeit der Finanzminister Brise vo mit ehrlicher Energie
die gesetzlichen Verfolgungen des sogenannten Whisky-Ringes, d. h. der weit¬
verzweigten Branntweinsteuer-Betrügereien, einleitete, da erhielt er scheinbar
oder wirklich die wärmste und wirksamste Unterstützung des Präsidenten
Grant. Von dem Augenblick an aber, wo es sich herausstellte, daß die Ver¬
bindungen des Whisky-Ringes bis in die Gemächer des "Weißen Hauses"
reichten, trat in Grant's Denk- und Handlungsweise ein Umschwung ein; er
bildete sich ein, man gehe darauf aus, seine, des Präsidenten, politische Stel¬
lung zu erschüttern, und diese Anschauung schlug immer tiefere Wurzeln bei
ihm, als die Justiz ihre Arme auch gegen Personen ausstreckte, mit denen er
seit Jahren in der engsten Beziehung gestanden und zu denen er ein felsen¬
festes Vertrauen hegte. Seit dieser Zeit hat sich eine bittere Animosität
Grant's gegen Bristow entwickelt. Grant ist niemals im Stande gewesen,
seine persönlichen Gefühle und Neigungen genügend von den Pflichten zu
trennen, die ihm sein Amt auferlegt. Wie eifrig er auch ursprünglich die
Whisky-Betrügereien aufzudecken und zu bestrafen gesonnen sein mochte, das
Bewußtsein von dem Schaden, den dieselben der Union gebracht, wurde bei
ihm schwächer und schwächer, je stärker sich der Glaube in ihm regte, man
benutze die Verfolgung des Whisky-Ringes zu Schritten gegen ihn selbst,
gegen seinen Privatsekretär, den General Babcock und gegen andere seiner
intimsten Freunde. Schließlich erblickte er in dem Processe gegen Babcock ge¬
radezu eine Verschwörung gegen sich selbst und trug nunmehr kein Bedenken,
seine ganze Amtsgewalt zu Gunsten Babcock's in die Wagschale zu werfen.

Die Absetzung des Herrn Henderson, der als Staatsanwalt sich einmal
veranlaßt gesehen hatte, auf die zwischen Grant und Babcock bestehende 'Ver¬
bindung hinzuweisen, war das erste sichtbare Zeichen der persönlichen Gereizt¬
heit des Präsidenten und wurde in der ganzen Union -- nur Grant war
unfähig, dies einzusehen -- als ein schwerer Schlag gegen die unparteiische
Handhabung der Justiz, als ein Versuch, die Whisky-Untersuchung zur Ver¬
hütung weiterer Enthüllungen zu hemmen, empfunden. Das öffentliche Mi߬
trauen legte sich jedoch wieder, als auch der Nachfolger Henderson's, der
Staatsanwalt Broadhead, mit Eifer und Hingebung seine Aufgabe zu er¬
füllen bemüht war. Inzwischen wurde die öffentliche Aufmerksamkeit aus
neue Einmischungsversuche von Washington aus durch die Veröffentlichung
eines Briefes vom General-Anwalt (Attorney-General), dem Minister
Pierrepont, an den Bundesdistrikt-Anwalt Dyer gelenkt; dieser Brief, von dem
Herr Pierrepont selbst erklärt hat. daß er nicht veröffentlicht werden sollte,


Kur politischen Situation in den Gereinigten Staaten.

Als vor einiger Zeit der Finanzminister Brise vo mit ehrlicher Energie
die gesetzlichen Verfolgungen des sogenannten Whisky-Ringes, d. h. der weit¬
verzweigten Branntweinsteuer-Betrügereien, einleitete, da erhielt er scheinbar
oder wirklich die wärmste und wirksamste Unterstützung des Präsidenten
Grant. Von dem Augenblick an aber, wo es sich herausstellte, daß die Ver¬
bindungen des Whisky-Ringes bis in die Gemächer des „Weißen Hauses"
reichten, trat in Grant's Denk- und Handlungsweise ein Umschwung ein; er
bildete sich ein, man gehe darauf aus, seine, des Präsidenten, politische Stel¬
lung zu erschüttern, und diese Anschauung schlug immer tiefere Wurzeln bei
ihm, als die Justiz ihre Arme auch gegen Personen ausstreckte, mit denen er
seit Jahren in der engsten Beziehung gestanden und zu denen er ein felsen¬
festes Vertrauen hegte. Seit dieser Zeit hat sich eine bittere Animosität
Grant's gegen Bristow entwickelt. Grant ist niemals im Stande gewesen,
seine persönlichen Gefühle und Neigungen genügend von den Pflichten zu
trennen, die ihm sein Amt auferlegt. Wie eifrig er auch ursprünglich die
Whisky-Betrügereien aufzudecken und zu bestrafen gesonnen sein mochte, das
Bewußtsein von dem Schaden, den dieselben der Union gebracht, wurde bei
ihm schwächer und schwächer, je stärker sich der Glaube in ihm regte, man
benutze die Verfolgung des Whisky-Ringes zu Schritten gegen ihn selbst,
gegen seinen Privatsekretär, den General Babcock und gegen andere seiner
intimsten Freunde. Schließlich erblickte er in dem Processe gegen Babcock ge¬
radezu eine Verschwörung gegen sich selbst und trug nunmehr kein Bedenken,
seine ganze Amtsgewalt zu Gunsten Babcock's in die Wagschale zu werfen.

Die Absetzung des Herrn Henderson, der als Staatsanwalt sich einmal
veranlaßt gesehen hatte, auf die zwischen Grant und Babcock bestehende 'Ver¬
bindung hinzuweisen, war das erste sichtbare Zeichen der persönlichen Gereizt¬
heit des Präsidenten und wurde in der ganzen Union — nur Grant war
unfähig, dies einzusehen — als ein schwerer Schlag gegen die unparteiische
Handhabung der Justiz, als ein Versuch, die Whisky-Untersuchung zur Ver¬
hütung weiterer Enthüllungen zu hemmen, empfunden. Das öffentliche Mi߬
trauen legte sich jedoch wieder, als auch der Nachfolger Henderson's, der
Staatsanwalt Broadhead, mit Eifer und Hingebung seine Aufgabe zu er¬
füllen bemüht war. Inzwischen wurde die öffentliche Aufmerksamkeit aus
neue Einmischungsversuche von Washington aus durch die Veröffentlichung
eines Briefes vom General-Anwalt (Attorney-General), dem Minister
Pierrepont, an den Bundesdistrikt-Anwalt Dyer gelenkt; dieser Brief, von dem
Herr Pierrepont selbst erklärt hat. daß er nicht veröffentlicht werden sollte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/34>, abgerufen am 27.11.2024.