Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.möglich sei bei der Treue zum Sittengesetz, so blieb die ähnliche Vorstellung Neben Kant's Beweis, daß die Seele eine Kraft der Wahrheit sei, er¬ Nach materialistischen Vorstellungen dagegen ist die Seele nur das Resultat möglich sei bei der Treue zum Sittengesetz, so blieb die ähnliche Vorstellung Neben Kant's Beweis, daß die Seele eine Kraft der Wahrheit sei, er¬ Nach materialistischen Vorstellungen dagegen ist die Seele nur das Resultat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135916"/> <p xml:id="ID_1093" prev="#ID_1092"> möglich sei bei der Treue zum Sittengesetz, so blieb die ähnliche Vorstellung<lb/> nicht aus, daß auch die Seele, obgleich eine Kraft der Freiheit, eine gesetzliche<lb/> Natur ihres Bestandes und ihrer Entwicklung besitze. Und so begann denn<lb/> seit Kant das Streben, diese gesetzliche Natur und Entwicklung der Seele<lb/> zu erforschen. An Hegel's Phänomenologie des Geistes, an Herbart's, Fechner's<lb/> psychologische Forschungen ist hier zu erinnern, aber im allgemeinen herrscht<lb/> noch das Vorurtheil, daß der Seele, weil sie Freiheit sei, keine gesetzliche<lb/> Natur zur Seite gehen könne; hält doch sogar unsre Zeit, trotz Ausklärung<lb/> und Kant, in ihrem Eifer gegen das Christenthum immer noch fest an der<lb/> mittelalterlichen Vorstellung eines Gottes, der bei seiner Freiheit schranken¬<lb/> lose Willkür sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1094"> Neben Kant's Beweis, daß die Seele eine Kraft der Wahrheit sei, er¬<lb/> achte ich Lazarus' Gesetz der Apperception für den bedeutendsten Grundstein<lb/> Ma Aufbau des Lebens der Seele. An seiner Nichtberücksichtigung ist aber<lb/> außer der hindernden Wirkung der appercipirenden falschen Vorstellungsmasse<lb/> über die Freiheit, auch die Vorstellungsmasse über die Seele selbst schuld.<lb/> Nach Kant's Zuversicht ist die Seele eine unsterbliche, Wahrheit erwerbende,<lb/> also eine geistigen Besitz sich aneignende Kraft. Herbart und Lazarus<lb/> stehen auf dem Boden dieser Vorstellung, und beide verstehen daher unter<lb/> Apperception die Aneignung einer neuen Borstellung durch die vorhandene;<lb/> nur hat Lazarus das Wesen der Apperception naturgemäßer erfaßt und<lb/> namentlich mehr die freithätige, umgestaltende Kraft der appercipirenden<lb/> Seele erkannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1095" next="#ID_1096"> Nach materialistischen Vorstellungen dagegen ist die Seele nur das Resultat<lb/> von Bewegungserscheinungen, die an den zum Gehirn vereinigten Atomen ge¬<lb/> schehen. Die Seele, die hiernach kein selbständiges Wesen ist, kann hiernach<lb/> auch kein e aneignende Kraft sein. Daher werden materialistische Vor¬<lb/> stellungsmassen an Lazarus' Gesetz verachtend vorbeigehen. Aber auch die<lb/> Moderne Spielart des Materialismus, der sog. Idealismus, weil er<lb/> die materialistische Vorstellung von der Entstehung der Seele festhält, ver¬<lb/> wirft Lazarus' Gesetz. So sagt W. Wundt in seinen 1874 erschienenen<lb/> Grundzügen physiologischer Psychologie, indem er dem Begriff der Apper¬<lb/> zeption eine andere Fassung giebt, daß (S. 798) der Grundirrthum der<lb/> Herbart'schen Psychologie in ihrem Begriff der Apperception liege, wonach eine<lb/> Aneignung -stattfinde. Und er erwähnt (S. 857) mißbilligend, daß Lazarus<lb/> sich dieser Herbart'schen Fassung angeschlossen habe. Interessant ist daher zu<lb/> vergleichen, daß Lazarus (II. S. 28.) sagt: „die Seele ist keine bloße theoretische<lb/> Spiegelfläche", während Wundt seine wissenschaftlich ernste, gründlich fleißige<lb/> Untersuchung schließt (S. 863) mit den Worten von Leibnitz: „die Seele ist<lb/> ein Spiegel der Welt." Aber wahrlich, wenn ich an die Seele eines Schinder-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
möglich sei bei der Treue zum Sittengesetz, so blieb die ähnliche Vorstellung
nicht aus, daß auch die Seele, obgleich eine Kraft der Freiheit, eine gesetzliche
Natur ihres Bestandes und ihrer Entwicklung besitze. Und so begann denn
seit Kant das Streben, diese gesetzliche Natur und Entwicklung der Seele
zu erforschen. An Hegel's Phänomenologie des Geistes, an Herbart's, Fechner's
psychologische Forschungen ist hier zu erinnern, aber im allgemeinen herrscht
noch das Vorurtheil, daß der Seele, weil sie Freiheit sei, keine gesetzliche
Natur zur Seite gehen könne; hält doch sogar unsre Zeit, trotz Ausklärung
und Kant, in ihrem Eifer gegen das Christenthum immer noch fest an der
mittelalterlichen Vorstellung eines Gottes, der bei seiner Freiheit schranken¬
lose Willkür sei.
Neben Kant's Beweis, daß die Seele eine Kraft der Wahrheit sei, er¬
achte ich Lazarus' Gesetz der Apperception für den bedeutendsten Grundstein
Ma Aufbau des Lebens der Seele. An seiner Nichtberücksichtigung ist aber
außer der hindernden Wirkung der appercipirenden falschen Vorstellungsmasse
über die Freiheit, auch die Vorstellungsmasse über die Seele selbst schuld.
Nach Kant's Zuversicht ist die Seele eine unsterbliche, Wahrheit erwerbende,
also eine geistigen Besitz sich aneignende Kraft. Herbart und Lazarus
stehen auf dem Boden dieser Vorstellung, und beide verstehen daher unter
Apperception die Aneignung einer neuen Borstellung durch die vorhandene;
nur hat Lazarus das Wesen der Apperception naturgemäßer erfaßt und
namentlich mehr die freithätige, umgestaltende Kraft der appercipirenden
Seele erkannt.
Nach materialistischen Vorstellungen dagegen ist die Seele nur das Resultat
von Bewegungserscheinungen, die an den zum Gehirn vereinigten Atomen ge¬
schehen. Die Seele, die hiernach kein selbständiges Wesen ist, kann hiernach
auch kein e aneignende Kraft sein. Daher werden materialistische Vor¬
stellungsmassen an Lazarus' Gesetz verachtend vorbeigehen. Aber auch die
Moderne Spielart des Materialismus, der sog. Idealismus, weil er
die materialistische Vorstellung von der Entstehung der Seele festhält, ver¬
wirft Lazarus' Gesetz. So sagt W. Wundt in seinen 1874 erschienenen
Grundzügen physiologischer Psychologie, indem er dem Begriff der Apper¬
zeption eine andere Fassung giebt, daß (S. 798) der Grundirrthum der
Herbart'schen Psychologie in ihrem Begriff der Apperception liege, wonach eine
Aneignung -stattfinde. Und er erwähnt (S. 857) mißbilligend, daß Lazarus
sich dieser Herbart'schen Fassung angeschlossen habe. Interessant ist daher zu
vergleichen, daß Lazarus (II. S. 28.) sagt: „die Seele ist keine bloße theoretische
Spiegelfläche", während Wundt seine wissenschaftlich ernste, gründlich fleißige
Untersuchung schließt (S. 863) mit den Worten von Leibnitz: „die Seele ist
ein Spiegel der Welt." Aber wahrlich, wenn ich an die Seele eines Schinder-
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