Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man aus Mißachtung der Seelenlehre Lazarus' Schrift unbeachtet ließ. Ich
rede vielmehr von den falschen appercipirenden Vorstellungsmassen, die seinen
Worten keinen Werth beilegen ließen. Bei einer falschen Vorstellung von
Freiheit kann man z, B. meinen, daß die Seele als Princip der Freiheit
außerhalb der gesetzlichen Natur stehe, so daß man in ihr nicht ein Gesetz
der Entwicklung annehmen könne. Es wiederholt sich hier nur, was die ge¬
schichtliche Entwicklung der Vorstellung vom Ebenbild der Seele, von der
Gottheit, zeigt. Aus der Griechenzeit setzt sich in das Mittelalter hinein
jene abstracte Vorstellung von der Freiheit fort, wonach man sagte, Gott
könne an kein Gesetz gebunden sein, weil er sonst nicht wahrhaft frei sei.
So ward eigentlich unter Freiheit Gottes seine eigene Gesetzlosigkeit verstanden,
und es wuchs in der christlichen Kirche, aus dem Eifer, die Macht und freie
Gnade Gottes groß genug zu denken, eine Vorstellung von Gott hervor, die
grade das Gegentheil der Vorstellung war, welche den Grundton der Bibel
bildet. An die Stelle der Idee eines Gottes, der aus freiem Willen die Treue
zur Heiligkeit und Güte sich zum Gesetz machte, trat die Vorstellung von
Gottes unbeschränkter Willkür. Noch die Reformatoren blieben in dieser
falschen Freiheitsvorstellung befangen, und erst im Zeitalter der Aufklärung
ward die klare Erkenntniß erkämpft, daß es würdevoller sei, einen Gott zu
denken, der aus freiem Willen in der Treue zur väterlichen Güte und Liebe
verharre, als einen Gott voll unbegrenzter Willkür. Geschah nun hierdurch
auch eine Losreißung von mittelalterlicher Vorstellung, und geschah damit,
wenn auch unbewußt, eine Wiedererweckung positiv christlicher Anschauung,
so ging diesen Vortheilen doch der Nachtheil zur Seite, daß die Aufklärer
mit der humaneren Fassung der Gottesidee auch eine laxere Betrachtung des
Verhältnisses der Menschen zu Gott verbanden. Nicht nach absolutem Gesetz,
sondern nach individuellen Umständen sollte es bestimmt sein. Da ist es denn
Kant's Verdienst, diesem Fehler der Aufklärer vermieden zu haben. Nach ihm
ist ein Gott, der aus freiem Willen in der Treue des Guten verharrt, das
absolute Sittengesetz verwirklicht; es ist in ihm das Vernünftige als das seinem
Wesen Entsprechende, zugleich das Nothwendige. Der Mensch aber, für den
nach Kant die Thatsache des Gewissens der Beweis seiner Freiheit ist, ist als
freies, selbstverantwortliches Wesen diesem absoluten Sittengesetz verpflichtet;
er soll das Gute und Vernünftige als das seinem Wesen nothwendige in
Treue bethätigen.

Aus solcher Anschauung konnte Kant's Trieb erwachsen, ein Copernicus
im geistigen Leben sein zu wollen, indem er lehrte, daß die Seele eine Kraft
der Wahrheit sei. Aber nur als Vermögen zur Wahrheit tritt die Seele
ins Dasein; sie muß in der Erwerbung derselben sich entfalten und ent¬
wickeln. Da nun die Vorstellung erwacht war, daß die Freiheit Gottes


man aus Mißachtung der Seelenlehre Lazarus' Schrift unbeachtet ließ. Ich
rede vielmehr von den falschen appercipirenden Vorstellungsmassen, die seinen
Worten keinen Werth beilegen ließen. Bei einer falschen Vorstellung von
Freiheit kann man z, B. meinen, daß die Seele als Princip der Freiheit
außerhalb der gesetzlichen Natur stehe, so daß man in ihr nicht ein Gesetz
der Entwicklung annehmen könne. Es wiederholt sich hier nur, was die ge¬
schichtliche Entwicklung der Vorstellung vom Ebenbild der Seele, von der
Gottheit, zeigt. Aus der Griechenzeit setzt sich in das Mittelalter hinein
jene abstracte Vorstellung von der Freiheit fort, wonach man sagte, Gott
könne an kein Gesetz gebunden sein, weil er sonst nicht wahrhaft frei sei.
So ward eigentlich unter Freiheit Gottes seine eigene Gesetzlosigkeit verstanden,
und es wuchs in der christlichen Kirche, aus dem Eifer, die Macht und freie
Gnade Gottes groß genug zu denken, eine Vorstellung von Gott hervor, die
grade das Gegentheil der Vorstellung war, welche den Grundton der Bibel
bildet. An die Stelle der Idee eines Gottes, der aus freiem Willen die Treue
zur Heiligkeit und Güte sich zum Gesetz machte, trat die Vorstellung von
Gottes unbeschränkter Willkür. Noch die Reformatoren blieben in dieser
falschen Freiheitsvorstellung befangen, und erst im Zeitalter der Aufklärung
ward die klare Erkenntniß erkämpft, daß es würdevoller sei, einen Gott zu
denken, der aus freiem Willen in der Treue zur väterlichen Güte und Liebe
verharre, als einen Gott voll unbegrenzter Willkür. Geschah nun hierdurch
auch eine Losreißung von mittelalterlicher Vorstellung, und geschah damit,
wenn auch unbewußt, eine Wiedererweckung positiv christlicher Anschauung,
so ging diesen Vortheilen doch der Nachtheil zur Seite, daß die Aufklärer
mit der humaneren Fassung der Gottesidee auch eine laxere Betrachtung des
Verhältnisses der Menschen zu Gott verbanden. Nicht nach absolutem Gesetz,
sondern nach individuellen Umständen sollte es bestimmt sein. Da ist es denn
Kant's Verdienst, diesem Fehler der Aufklärer vermieden zu haben. Nach ihm
ist ein Gott, der aus freiem Willen in der Treue des Guten verharrt, das
absolute Sittengesetz verwirklicht; es ist in ihm das Vernünftige als das seinem
Wesen Entsprechende, zugleich das Nothwendige. Der Mensch aber, für den
nach Kant die Thatsache des Gewissens der Beweis seiner Freiheit ist, ist als
freies, selbstverantwortliches Wesen diesem absoluten Sittengesetz verpflichtet;
er soll das Gute und Vernünftige als das seinem Wesen nothwendige in
Treue bethätigen.

Aus solcher Anschauung konnte Kant's Trieb erwachsen, ein Copernicus
im geistigen Leben sein zu wollen, indem er lehrte, daß die Seele eine Kraft
der Wahrheit sei. Aber nur als Vermögen zur Wahrheit tritt die Seele
ins Dasein; sie muß in der Erwerbung derselben sich entfalten und ent¬
wickeln. Da nun die Vorstellung erwacht war, daß die Freiheit Gottes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135915"/>
          <p xml:id="ID_1091" prev="#ID_1090"> man aus Mißachtung der Seelenlehre Lazarus' Schrift unbeachtet ließ. Ich<lb/>
rede vielmehr von den falschen appercipirenden Vorstellungsmassen, die seinen<lb/>
Worten keinen Werth beilegen ließen. Bei einer falschen Vorstellung von<lb/>
Freiheit kann man z, B. meinen, daß die Seele als Princip der Freiheit<lb/>
außerhalb der gesetzlichen Natur stehe, so daß man in ihr nicht ein Gesetz<lb/>
der Entwicklung annehmen könne. Es wiederholt sich hier nur, was die ge¬<lb/>
schichtliche Entwicklung der Vorstellung vom Ebenbild der Seele, von der<lb/>
Gottheit, zeigt. Aus der Griechenzeit setzt sich in das Mittelalter hinein<lb/>
jene abstracte Vorstellung von der Freiheit fort, wonach man sagte, Gott<lb/>
könne an kein Gesetz gebunden sein, weil er sonst nicht wahrhaft frei sei.<lb/>
So ward eigentlich unter Freiheit Gottes seine eigene Gesetzlosigkeit verstanden,<lb/>
und es wuchs in der christlichen Kirche, aus dem Eifer, die Macht und freie<lb/>
Gnade Gottes groß genug zu denken, eine Vorstellung von Gott hervor, die<lb/>
grade das Gegentheil der Vorstellung war, welche den Grundton der Bibel<lb/>
bildet. An die Stelle der Idee eines Gottes, der aus freiem Willen die Treue<lb/>
zur Heiligkeit und Güte sich zum Gesetz machte, trat die Vorstellung von<lb/>
Gottes unbeschränkter Willkür. Noch die Reformatoren blieben in dieser<lb/>
falschen Freiheitsvorstellung befangen, und erst im Zeitalter der Aufklärung<lb/>
ward die klare Erkenntniß erkämpft, daß es würdevoller sei, einen Gott zu<lb/>
denken, der aus freiem Willen in der Treue zur väterlichen Güte und Liebe<lb/>
verharre, als einen Gott voll unbegrenzter Willkür. Geschah nun hierdurch<lb/>
auch eine Losreißung von mittelalterlicher Vorstellung, und geschah damit,<lb/>
wenn auch unbewußt, eine Wiedererweckung positiv christlicher Anschauung,<lb/>
so ging diesen Vortheilen doch der Nachtheil zur Seite, daß die Aufklärer<lb/>
mit der humaneren Fassung der Gottesidee auch eine laxere Betrachtung des<lb/>
Verhältnisses der Menschen zu Gott verbanden. Nicht nach absolutem Gesetz,<lb/>
sondern nach individuellen Umständen sollte es bestimmt sein. Da ist es denn<lb/>
Kant's Verdienst, diesem Fehler der Aufklärer vermieden zu haben. Nach ihm<lb/>
ist ein Gott, der aus freiem Willen in der Treue des Guten verharrt, das<lb/>
absolute Sittengesetz verwirklicht; es ist in ihm das Vernünftige als das seinem<lb/>
Wesen Entsprechende, zugleich das Nothwendige. Der Mensch aber, für den<lb/>
nach Kant die Thatsache des Gewissens der Beweis seiner Freiheit ist, ist als<lb/>
freies, selbstverantwortliches Wesen diesem absoluten Sittengesetz verpflichtet;<lb/>
er soll das Gute und Vernünftige als das seinem Wesen nothwendige in<lb/>
Treue bethätigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Aus solcher Anschauung konnte Kant's Trieb erwachsen, ein Copernicus<lb/>
im geistigen Leben sein zu wollen, indem er lehrte, daß die Seele eine Kraft<lb/>
der Wahrheit sei. Aber nur als Vermögen zur Wahrheit tritt die Seele<lb/>
ins Dasein; sie muß in der Erwerbung derselben sich entfalten und ent¬<lb/>
wickeln.  Da nun die Vorstellung erwacht war, daß die Freiheit Gottes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] man aus Mißachtung der Seelenlehre Lazarus' Schrift unbeachtet ließ. Ich rede vielmehr von den falschen appercipirenden Vorstellungsmassen, die seinen Worten keinen Werth beilegen ließen. Bei einer falschen Vorstellung von Freiheit kann man z, B. meinen, daß die Seele als Princip der Freiheit außerhalb der gesetzlichen Natur stehe, so daß man in ihr nicht ein Gesetz der Entwicklung annehmen könne. Es wiederholt sich hier nur, was die ge¬ schichtliche Entwicklung der Vorstellung vom Ebenbild der Seele, von der Gottheit, zeigt. Aus der Griechenzeit setzt sich in das Mittelalter hinein jene abstracte Vorstellung von der Freiheit fort, wonach man sagte, Gott könne an kein Gesetz gebunden sein, weil er sonst nicht wahrhaft frei sei. So ward eigentlich unter Freiheit Gottes seine eigene Gesetzlosigkeit verstanden, und es wuchs in der christlichen Kirche, aus dem Eifer, die Macht und freie Gnade Gottes groß genug zu denken, eine Vorstellung von Gott hervor, die grade das Gegentheil der Vorstellung war, welche den Grundton der Bibel bildet. An die Stelle der Idee eines Gottes, der aus freiem Willen die Treue zur Heiligkeit und Güte sich zum Gesetz machte, trat die Vorstellung von Gottes unbeschränkter Willkür. Noch die Reformatoren blieben in dieser falschen Freiheitsvorstellung befangen, und erst im Zeitalter der Aufklärung ward die klare Erkenntniß erkämpft, daß es würdevoller sei, einen Gott zu denken, der aus freiem Willen in der Treue zur väterlichen Güte und Liebe verharre, als einen Gott voll unbegrenzter Willkür. Geschah nun hierdurch auch eine Losreißung von mittelalterlicher Vorstellung, und geschah damit, wenn auch unbewußt, eine Wiedererweckung positiv christlicher Anschauung, so ging diesen Vortheilen doch der Nachtheil zur Seite, daß die Aufklärer mit der humaneren Fassung der Gottesidee auch eine laxere Betrachtung des Verhältnisses der Menschen zu Gott verbanden. Nicht nach absolutem Gesetz, sondern nach individuellen Umständen sollte es bestimmt sein. Da ist es denn Kant's Verdienst, diesem Fehler der Aufklärer vermieden zu haben. Nach ihm ist ein Gott, der aus freiem Willen in der Treue des Guten verharrt, das absolute Sittengesetz verwirklicht; es ist in ihm das Vernünftige als das seinem Wesen Entsprechende, zugleich das Nothwendige. Der Mensch aber, für den nach Kant die Thatsache des Gewissens der Beweis seiner Freiheit ist, ist als freies, selbstverantwortliches Wesen diesem absoluten Sittengesetz verpflichtet; er soll das Gute und Vernünftige als das seinem Wesen nothwendige in Treue bethätigen. Aus solcher Anschauung konnte Kant's Trieb erwachsen, ein Copernicus im geistigen Leben sein zu wollen, indem er lehrte, daß die Seele eine Kraft der Wahrheit sei. Aber nur als Vermögen zur Wahrheit tritt die Seele ins Dasein; sie muß in der Erwerbung derselben sich entfalten und ent¬ wickeln. Da nun die Vorstellung erwacht war, daß die Freiheit Gottes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/334>, abgerufen am 27.07.2024.