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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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hören, nach der Anschauung der neueren Chemie bei ihrem atombindenden
Werth dynamischer Natur sind. Die Atome bei ihrer wechselseitigen An¬
ziehung gruppiren sich selbst, wie die Planetenmassen und Milchstraßheere.
Ist hier ein bloßes Aggregat? Ist hier eine rohe Vorstellung dabei? Die
Atome sollen überdies nicht absolut einfache, untheilbare, unausgedehnte Dinge
sein, sondern Wesen, die man ihrer einheitlichen Wirkungsgröße untheilbar,
also Atome nennt, wie selbst Lazarus sagt.

Aber die Gegner der Atome sagen, mit atomistischer Materie gelange
man bloß zum Ausbau mechanischer Massen. Das ist richtig; es beweist dies
aber doch nur, daß diese atomistische Materie, welche für die thatsächlich
existirende mechanische Welt ausreicht, nicht als Urgrund aller Daseinsformen
gelten kann. Es sei denn, daß man die laxe, ins Aesthetisirende schweifende
Vorstellung von der Materie zu Grund lege, die der Materialismus an¬
wendet. Thatsächlich existirt eine mechanische Welt, thatsächlich existiren Leben
und Seele. Da ist denn nicht die Frage: ist es roh und gemein aus
gravitirender Materie Leben und Seele entstehen zu lassen? Sondern
die Frage ist: Ist es möglich, daß die im Gesetz der Gravitation wirkende
Materie sich erhebe zur Bethätigung von Aeußerungen des Lebens und der
Seele? Ich beantworte diese Frage wie Kant in seinen metaphysischen An¬
fangsgründen der Naturwissenschaft; wobei er indeß zwischen Leben und Seele
nicht unterscheidet.

Er sagt: die Körper der gravierenden Materie sind an das Gesetz der
Trägheit gebunden, d. h. nur äußere Umstände können ihren jeweiligen Zu¬
stand verändern. Leben aber (ich sage Seele) heißt das Vermögen, aus einem
inneren Princip sich zum Handeln zu bestimmen. Wenn nun solches Ver¬
mögen existirt, so fordert die Thatsache des Gesetzes der Trägheit für das
Leben eine andere, von der Materie verschiedene, obzwar mit
ihr verbundene, Substanz. Kant setzt hinzu: ohne das Gesetz der
Trägheit wäre keine Wissenschaft möglich, nur Hylozoismus. Kant macht
hiermit Front sowohl gegen den falschen Monismus des Materialismus,
wie den des Pantheismus. Und ich sage, Kant, der mit der frohen Zuver¬
sicht der Reformatoren an der Treue zum Ewigen, als dem Einigen, persönlich
lebendigen Schöpfer Himmels und der Erde, festhielt, konnte wohl die Schei¬
dung der Substanz der Gravitation von der des Sittengesetzes aussprechen.
Denn Gott, wie er der Grund des Sittengesetzes ist, kann auch der Grund
des Naturgesetzes sein, und die verschiedenen "obzwar mit einander verbundenen
Substanzen" verwirklichen alsdann nur die einheitlichen Glieder und Stufen
der Idee der Schöpfung.

So sahen wir denn wie letzten Endes die Vorstellung von der Materie
abhängig ist von der appercipirenden Vorstellungsmasse über den Urgrund


hören, nach der Anschauung der neueren Chemie bei ihrem atombindenden
Werth dynamischer Natur sind. Die Atome bei ihrer wechselseitigen An¬
ziehung gruppiren sich selbst, wie die Planetenmassen und Milchstraßheere.
Ist hier ein bloßes Aggregat? Ist hier eine rohe Vorstellung dabei? Die
Atome sollen überdies nicht absolut einfache, untheilbare, unausgedehnte Dinge
sein, sondern Wesen, die man ihrer einheitlichen Wirkungsgröße untheilbar,
also Atome nennt, wie selbst Lazarus sagt.

Aber die Gegner der Atome sagen, mit atomistischer Materie gelange
man bloß zum Ausbau mechanischer Massen. Das ist richtig; es beweist dies
aber doch nur, daß diese atomistische Materie, welche für die thatsächlich
existirende mechanische Welt ausreicht, nicht als Urgrund aller Daseinsformen
gelten kann. Es sei denn, daß man die laxe, ins Aesthetisirende schweifende
Vorstellung von der Materie zu Grund lege, die der Materialismus an¬
wendet. Thatsächlich existirt eine mechanische Welt, thatsächlich existiren Leben
und Seele. Da ist denn nicht die Frage: ist es roh und gemein aus
gravitirender Materie Leben und Seele entstehen zu lassen? Sondern
die Frage ist: Ist es möglich, daß die im Gesetz der Gravitation wirkende
Materie sich erhebe zur Bethätigung von Aeußerungen des Lebens und der
Seele? Ich beantworte diese Frage wie Kant in seinen metaphysischen An¬
fangsgründen der Naturwissenschaft; wobei er indeß zwischen Leben und Seele
nicht unterscheidet.

Er sagt: die Körper der gravierenden Materie sind an das Gesetz der
Trägheit gebunden, d. h. nur äußere Umstände können ihren jeweiligen Zu¬
stand verändern. Leben aber (ich sage Seele) heißt das Vermögen, aus einem
inneren Princip sich zum Handeln zu bestimmen. Wenn nun solches Ver¬
mögen existirt, so fordert die Thatsache des Gesetzes der Trägheit für das
Leben eine andere, von der Materie verschiedene, obzwar mit
ihr verbundene, Substanz. Kant setzt hinzu: ohne das Gesetz der
Trägheit wäre keine Wissenschaft möglich, nur Hylozoismus. Kant macht
hiermit Front sowohl gegen den falschen Monismus des Materialismus,
wie den des Pantheismus. Und ich sage, Kant, der mit der frohen Zuver¬
sicht der Reformatoren an der Treue zum Ewigen, als dem Einigen, persönlich
lebendigen Schöpfer Himmels und der Erde, festhielt, konnte wohl die Schei¬
dung der Substanz der Gravitation von der des Sittengesetzes aussprechen.
Denn Gott, wie er der Grund des Sittengesetzes ist, kann auch der Grund
des Naturgesetzes sein, und die verschiedenen „obzwar mit einander verbundenen
Substanzen" verwirklichen alsdann nur die einheitlichen Glieder und Stufen
der Idee der Schöpfung.

So sahen wir denn wie letzten Endes die Vorstellung von der Materie
abhängig ist von der appercipirenden Vorstellungsmasse über den Urgrund


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[0332] hören, nach der Anschauung der neueren Chemie bei ihrem atombindenden Werth dynamischer Natur sind. Die Atome bei ihrer wechselseitigen An¬ ziehung gruppiren sich selbst, wie die Planetenmassen und Milchstraßheere. Ist hier ein bloßes Aggregat? Ist hier eine rohe Vorstellung dabei? Die Atome sollen überdies nicht absolut einfache, untheilbare, unausgedehnte Dinge sein, sondern Wesen, die man ihrer einheitlichen Wirkungsgröße untheilbar, also Atome nennt, wie selbst Lazarus sagt. Aber die Gegner der Atome sagen, mit atomistischer Materie gelange man bloß zum Ausbau mechanischer Massen. Das ist richtig; es beweist dies aber doch nur, daß diese atomistische Materie, welche für die thatsächlich existirende mechanische Welt ausreicht, nicht als Urgrund aller Daseinsformen gelten kann. Es sei denn, daß man die laxe, ins Aesthetisirende schweifende Vorstellung von der Materie zu Grund lege, die der Materialismus an¬ wendet. Thatsächlich existirt eine mechanische Welt, thatsächlich existiren Leben und Seele. Da ist denn nicht die Frage: ist es roh und gemein aus gravitirender Materie Leben und Seele entstehen zu lassen? Sondern die Frage ist: Ist es möglich, daß die im Gesetz der Gravitation wirkende Materie sich erhebe zur Bethätigung von Aeußerungen des Lebens und der Seele? Ich beantworte diese Frage wie Kant in seinen metaphysischen An¬ fangsgründen der Naturwissenschaft; wobei er indeß zwischen Leben und Seele nicht unterscheidet. Er sagt: die Körper der gravierenden Materie sind an das Gesetz der Trägheit gebunden, d. h. nur äußere Umstände können ihren jeweiligen Zu¬ stand verändern. Leben aber (ich sage Seele) heißt das Vermögen, aus einem inneren Princip sich zum Handeln zu bestimmen. Wenn nun solches Ver¬ mögen existirt, so fordert die Thatsache des Gesetzes der Trägheit für das Leben eine andere, von der Materie verschiedene, obzwar mit ihr verbundene, Substanz. Kant setzt hinzu: ohne das Gesetz der Trägheit wäre keine Wissenschaft möglich, nur Hylozoismus. Kant macht hiermit Front sowohl gegen den falschen Monismus des Materialismus, wie den des Pantheismus. Und ich sage, Kant, der mit der frohen Zuver¬ sicht der Reformatoren an der Treue zum Ewigen, als dem Einigen, persönlich lebendigen Schöpfer Himmels und der Erde, festhielt, konnte wohl die Schei¬ dung der Substanz der Gravitation von der des Sittengesetzes aussprechen. Denn Gott, wie er der Grund des Sittengesetzes ist, kann auch der Grund des Naturgesetzes sein, und die verschiedenen „obzwar mit einander verbundenen Substanzen" verwirklichen alsdann nur die einheitlichen Glieder und Stufen der Idee der Schöpfung. So sahen wir denn wie letzten Endes die Vorstellung von der Materie abhängig ist von der appercipirenden Vorstellungsmasse über den Urgrund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/332>, abgerufen am 24.11.2024.