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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Aus den Elementen Erde, Wasser, Luft, Feuer, Aether sollte alles zu¬
sammengesetzt sein, aber diese Elemente selbst waren hauptsächlich nach Rein¬
heit und Adel verschieden. Der Aether, das fünfte Element, sollte unmittelbar
der himmlischen Region entstammen und deshalb der göttlichen Natur der
Kreisbewegung und Selbstbewegung theilhaftig sein. Luft und Feuer sollten
am meisten des Aethers theilhaftig sein, daher sie auch das aufwärts Steigen,
als Streben zum Himmel, zur Natur haben. Wasser und Erde sollten am
wenigsten Aether enthalten und daher abwärts vom Himmel streben, als
schwer nach unten fallen. Nur in Metallen, besonders im Golde, sagte man,
trete die reine adelnde Natur des Aethers zu Tage. Da nun überdies diese
sog. Elemente, Erde, Wasser, Luft, Feuer nur Repräsentanten der eigentlichen,
unsinnlichen Urelemente sein sollten, denn im Feuer, sagte man, zeigt der
Rauch sofort die verunreinigende Beimischung irdischen Elementes an: so er¬
giebt sich noch mehr, daß bei den Griechen die Materie nur nach ästheti¬
scher Werthschätzung gedacht wurde. Im Gegensatz zur Seele als him¬
melanstrebende Kraft und Reinheit hieß die Materie das schwer und träg
nach unten Fallende, Kraftlose, Unreine.

Nun hätte man denken sollen, daß mit dem Aufkommen des Christen¬
thums die Materie hätte aufhören müssen, als ein Gegenstand ästhetischer
Verachtung gedacht zu werden, da sie als Werk von Gottes Schöpfung, als
Zeichen seiner Macht zu ehren war. Aber grade der Mann, der eben deshalb
Ruhm erwarb wie kein Anderer, weil er wie kein Anderer christliche Ideen
in philosophisches System zu bringen wußte, Augustin, der Kirchenvater des
Mittelalters, trat erst im 30. Lebensjahre zum Christenthum über, nachdem
der wahrheitsbegierige Mann vorher voll Begeisterung in heidnischen, beson¬
ders platonischen Ideen gelebt hatte. Dieser Inhalt platonischer Ideen wirkte
nun avpercipirend verändernd ein, als Augustin die christlichen Ideen auf¬
faßte. Die biblische Idee eines persönlich lebendigen schaffensfrohen Gottes
ward bei Augustin unter dem appercipirenden Einfluß des hellenischen Aesthe-
tisirens zur Idee eines als reine Intelligenz, in harmonischer Ruhe, und so¬
mit weil bewegungslos eigentlich lebenslosen Gottes, der nicht einmal selbst,
sondern durch die Engel Erde und Menschen erschaffen ließ, weil er als
Selbstschöpfer der irdischen Materie seine Reinheit und Ruhe getrübt hätte.
Hiermit setzte sich denn auch ins christliche Mittelalter die ästhetisirende An¬
schauung der Materie fort, und Nebensache ist dabei, wenn im Laufe der
Zeit, an Stelle der Elemente Wasser, Erde u. s. w. andere gesetzt wurden, wie
Schwefel und Quecksilber, oder Säuren, Basen, Salze u. s. w. Denn immer¬
hin hießen die sinnlichen Elemente nur unvollkommne Repräsentanten der
eigentlichen, unsichtbaren Urelemente, und immerhin blieben die Körper Zu-


Aus den Elementen Erde, Wasser, Luft, Feuer, Aether sollte alles zu¬
sammengesetzt sein, aber diese Elemente selbst waren hauptsächlich nach Rein¬
heit und Adel verschieden. Der Aether, das fünfte Element, sollte unmittelbar
der himmlischen Region entstammen und deshalb der göttlichen Natur der
Kreisbewegung und Selbstbewegung theilhaftig sein. Luft und Feuer sollten
am meisten des Aethers theilhaftig sein, daher sie auch das aufwärts Steigen,
als Streben zum Himmel, zur Natur haben. Wasser und Erde sollten am
wenigsten Aether enthalten und daher abwärts vom Himmel streben, als
schwer nach unten fallen. Nur in Metallen, besonders im Golde, sagte man,
trete die reine adelnde Natur des Aethers zu Tage. Da nun überdies diese
sog. Elemente, Erde, Wasser, Luft, Feuer nur Repräsentanten der eigentlichen,
unsinnlichen Urelemente sein sollten, denn im Feuer, sagte man, zeigt der
Rauch sofort die verunreinigende Beimischung irdischen Elementes an: so er¬
giebt sich noch mehr, daß bei den Griechen die Materie nur nach ästheti¬
scher Werthschätzung gedacht wurde. Im Gegensatz zur Seele als him¬
melanstrebende Kraft und Reinheit hieß die Materie das schwer und träg
nach unten Fallende, Kraftlose, Unreine.

Nun hätte man denken sollen, daß mit dem Aufkommen des Christen¬
thums die Materie hätte aufhören müssen, als ein Gegenstand ästhetischer
Verachtung gedacht zu werden, da sie als Werk von Gottes Schöpfung, als
Zeichen seiner Macht zu ehren war. Aber grade der Mann, der eben deshalb
Ruhm erwarb wie kein Anderer, weil er wie kein Anderer christliche Ideen
in philosophisches System zu bringen wußte, Augustin, der Kirchenvater des
Mittelalters, trat erst im 30. Lebensjahre zum Christenthum über, nachdem
der wahrheitsbegierige Mann vorher voll Begeisterung in heidnischen, beson¬
ders platonischen Ideen gelebt hatte. Dieser Inhalt platonischer Ideen wirkte
nun avpercipirend verändernd ein, als Augustin die christlichen Ideen auf¬
faßte. Die biblische Idee eines persönlich lebendigen schaffensfrohen Gottes
ward bei Augustin unter dem appercipirenden Einfluß des hellenischen Aesthe-
tisirens zur Idee eines als reine Intelligenz, in harmonischer Ruhe, und so¬
mit weil bewegungslos eigentlich lebenslosen Gottes, der nicht einmal selbst,
sondern durch die Engel Erde und Menschen erschaffen ließ, weil er als
Selbstschöpfer der irdischen Materie seine Reinheit und Ruhe getrübt hätte.
Hiermit setzte sich denn auch ins christliche Mittelalter die ästhetisirende An¬
schauung der Materie fort, und Nebensache ist dabei, wenn im Laufe der
Zeit, an Stelle der Elemente Wasser, Erde u. s. w. andere gesetzt wurden, wie
Schwefel und Quecksilber, oder Säuren, Basen, Salze u. s. w. Denn immer¬
hin hießen die sinnlichen Elemente nur unvollkommne Repräsentanten der
eigentlichen, unsichtbaren Urelemente, und immerhin blieben die Körper Zu-


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[0328] Aus den Elementen Erde, Wasser, Luft, Feuer, Aether sollte alles zu¬ sammengesetzt sein, aber diese Elemente selbst waren hauptsächlich nach Rein¬ heit und Adel verschieden. Der Aether, das fünfte Element, sollte unmittelbar der himmlischen Region entstammen und deshalb der göttlichen Natur der Kreisbewegung und Selbstbewegung theilhaftig sein. Luft und Feuer sollten am meisten des Aethers theilhaftig sein, daher sie auch das aufwärts Steigen, als Streben zum Himmel, zur Natur haben. Wasser und Erde sollten am wenigsten Aether enthalten und daher abwärts vom Himmel streben, als schwer nach unten fallen. Nur in Metallen, besonders im Golde, sagte man, trete die reine adelnde Natur des Aethers zu Tage. Da nun überdies diese sog. Elemente, Erde, Wasser, Luft, Feuer nur Repräsentanten der eigentlichen, unsinnlichen Urelemente sein sollten, denn im Feuer, sagte man, zeigt der Rauch sofort die verunreinigende Beimischung irdischen Elementes an: so er¬ giebt sich noch mehr, daß bei den Griechen die Materie nur nach ästheti¬ scher Werthschätzung gedacht wurde. Im Gegensatz zur Seele als him¬ melanstrebende Kraft und Reinheit hieß die Materie das schwer und träg nach unten Fallende, Kraftlose, Unreine. Nun hätte man denken sollen, daß mit dem Aufkommen des Christen¬ thums die Materie hätte aufhören müssen, als ein Gegenstand ästhetischer Verachtung gedacht zu werden, da sie als Werk von Gottes Schöpfung, als Zeichen seiner Macht zu ehren war. Aber grade der Mann, der eben deshalb Ruhm erwarb wie kein Anderer, weil er wie kein Anderer christliche Ideen in philosophisches System zu bringen wußte, Augustin, der Kirchenvater des Mittelalters, trat erst im 30. Lebensjahre zum Christenthum über, nachdem der wahrheitsbegierige Mann vorher voll Begeisterung in heidnischen, beson¬ ders platonischen Ideen gelebt hatte. Dieser Inhalt platonischer Ideen wirkte nun avpercipirend verändernd ein, als Augustin die christlichen Ideen auf¬ faßte. Die biblische Idee eines persönlich lebendigen schaffensfrohen Gottes ward bei Augustin unter dem appercipirenden Einfluß des hellenischen Aesthe- tisirens zur Idee eines als reine Intelligenz, in harmonischer Ruhe, und so¬ mit weil bewegungslos eigentlich lebenslosen Gottes, der nicht einmal selbst, sondern durch die Engel Erde und Menschen erschaffen ließ, weil er als Selbstschöpfer der irdischen Materie seine Reinheit und Ruhe getrübt hätte. Hiermit setzte sich denn auch ins christliche Mittelalter die ästhetisirende An¬ schauung der Materie fort, und Nebensache ist dabei, wenn im Laufe der Zeit, an Stelle der Elemente Wasser, Erde u. s. w. andere gesetzt wurden, wie Schwefel und Quecksilber, oder Säuren, Basen, Salze u. s. w. Denn immer¬ hin hießen die sinnlichen Elemente nur unvollkommne Repräsentanten der eigentlichen, unsichtbaren Urelemente, und immerhin blieben die Körper Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/328>, abgerufen am 23.11.2024.