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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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kein Mangel, wie das Spottgedicht bezeugt, das am 1. Mai 1793 in einem
öffentlichen Lokale gesungen ward:


"Es leb' die Municipalität
Die hinten und vorn nichts versteht
Es leb' des Königs Sohn
Der bald besteigt den Thron."

So mochten einzelne "Legitimisten" fingen, auf der großen Menge des
Volkes aber lastete der furchtbarste Terrorismus, der alle stumm und willen¬
los erhielt; ganz Frankreich erlitt ja damals die große Wahrheit, welche Robes¬
pierre gesprochen: ,,-se suis 1'sselg.ok as Iidert6I"

Gleichwohl blieben der Stadt wenigstens die schweren politischen Morde
erspart, welche die Guillotine an anderen Orten vollzog, wir aber halten es
für eine Ehrenpflicht, ihr dies Zeugniß zu gewähren. Der Rückschlag blieb
nicht aus und den welterschütternden Stürmen folgten wieder die stillen ein¬
tönigen Tage des bürgerlichen Lebens: das Bild der stillen friedlichen Klein¬
stadt entfaltet sich von neuem vor unserm Blick.

Doch wahrlich, diese Kleinstadt, wie wir sie heute finden, hat mehr ge¬
schichtlichen und malerischen Reiz, als viele andere Städte, die nur durch
Ziffern überlegen sind. So mancher hervorragende Mann, der selbst im
Ausland berühmt geworden, ging aus den Mauern der Stadt hervor und in
diesen Mauern selber steht immer noch so manches Haus, aus das wir be¬
wundernd schauen.

Das alte Schloß von Zabern, welches einst den Bischöfen als Residenz
gedient, ward durch eine furchtbare Feuersbrunst im Jahre 1779 fast völlig
zerstört, wenige Tage nachdem der Cardinal es eben bezogen. Erst als die
Facade schon in hellen Flammen stand, und jede Hilfe unmöglich schien, ver¬
ließ Rohan die Stadt und begab sich auf eines feiner benachbarten Schlösser.
Den seidenen Beutel mit 1000 Thalern, den ihm die Bürgerschaft zur Ent¬
schädigung geboten, wies er dankend zurück, aber dennoch konnte er die hellen
Thränen nicht verbergen, als er darauf zum erstenmale wieder nach Zabern
kam und die Ruinen seines Palastes fand. Es war derselbe Fürst von
Rohan. dessen Name im Halsbandproeeß so berüchtigt wurde.

Der Neubau, der durch jenen Brand veranlaßt war, ist im Style von
Versailles gehalten, die eine Fayade blickt auf die Stadt, die hier ihren statt¬
lichsten Platz entfaltet, während die Hauptsatzade nach dem Schloßgarten hin¬
ausgeht. Alle Pracht, mit der solche Gärten einst überlastet waren -- grüne
Taxushecken und weiße Marmorbilder, rauschende Bronnen und versteckte
Laubgewinde schmückten einst diese Stätte, wo im rothen Seidengewand der
Cardinal vorüberzog.

Mit der neuen Zeit kamen bescheidenere Gäste. Die Bestimmung, die


kein Mangel, wie das Spottgedicht bezeugt, das am 1. Mai 1793 in einem
öffentlichen Lokale gesungen ward:


„Es leb' die Municipalität
Die hinten und vorn nichts versteht
Es leb' des Königs Sohn
Der bald besteigt den Thron."

So mochten einzelne „Legitimisten" fingen, auf der großen Menge des
Volkes aber lastete der furchtbarste Terrorismus, der alle stumm und willen¬
los erhielt; ganz Frankreich erlitt ja damals die große Wahrheit, welche Robes¬
pierre gesprochen: ,,-se suis 1'sselg.ok as Iidert6I"

Gleichwohl blieben der Stadt wenigstens die schweren politischen Morde
erspart, welche die Guillotine an anderen Orten vollzog, wir aber halten es
für eine Ehrenpflicht, ihr dies Zeugniß zu gewähren. Der Rückschlag blieb
nicht aus und den welterschütternden Stürmen folgten wieder die stillen ein¬
tönigen Tage des bürgerlichen Lebens: das Bild der stillen friedlichen Klein¬
stadt entfaltet sich von neuem vor unserm Blick.

Doch wahrlich, diese Kleinstadt, wie wir sie heute finden, hat mehr ge¬
schichtlichen und malerischen Reiz, als viele andere Städte, die nur durch
Ziffern überlegen sind. So mancher hervorragende Mann, der selbst im
Ausland berühmt geworden, ging aus den Mauern der Stadt hervor und in
diesen Mauern selber steht immer noch so manches Haus, aus das wir be¬
wundernd schauen.

Das alte Schloß von Zabern, welches einst den Bischöfen als Residenz
gedient, ward durch eine furchtbare Feuersbrunst im Jahre 1779 fast völlig
zerstört, wenige Tage nachdem der Cardinal es eben bezogen. Erst als die
Facade schon in hellen Flammen stand, und jede Hilfe unmöglich schien, ver¬
ließ Rohan die Stadt und begab sich auf eines feiner benachbarten Schlösser.
Den seidenen Beutel mit 1000 Thalern, den ihm die Bürgerschaft zur Ent¬
schädigung geboten, wies er dankend zurück, aber dennoch konnte er die hellen
Thränen nicht verbergen, als er darauf zum erstenmale wieder nach Zabern
kam und die Ruinen seines Palastes fand. Es war derselbe Fürst von
Rohan. dessen Name im Halsbandproeeß so berüchtigt wurde.

Der Neubau, der durch jenen Brand veranlaßt war, ist im Style von
Versailles gehalten, die eine Fayade blickt auf die Stadt, die hier ihren statt¬
lichsten Platz entfaltet, während die Hauptsatzade nach dem Schloßgarten hin¬
ausgeht. Alle Pracht, mit der solche Gärten einst überlastet waren — grüne
Taxushecken und weiße Marmorbilder, rauschende Bronnen und versteckte
Laubgewinde schmückten einst diese Stätte, wo im rothen Seidengewand der
Cardinal vorüberzog.

Mit der neuen Zeit kamen bescheidenere Gäste. Die Bestimmung, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/310>, abgerufen am 28.07.2024.