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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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maurische Färbung. Nur unsere Schriftsprache ist das allgemeine Medium,
welches uns ohne solche individuelle Färbung einen Dichter wie Burns ver¬
mitteln kann."

z Ich konnte nicht umhin, in diesem Punkte ihm beizupflichten, und be¬
merkte nur, daß doch vielleicht unter allen unsern Dialekten das nieder¬
sächsische am meisten ein Anrecht daran haben dürfte, Burns im Dialekte
wiederzugeben, da hier auch eine wirkliche Stammesverwandtschaft vorliege.
Ich führte dabei das Beispiel einer theilweisen Übertragung Burns'scher
Lieder (nach meiner Uebersetzung) in die meklenburgische Mundart an.*)

Freiligrath knüpfte hieran Bemerkungen über den sächsischen Typus der
schottischen Bevölkerung, in welchem noch deutlich die deutsche Abstammung
hervortrete.

Dann lenkte sich das Gespräch auf die Form der Burns'schen Lieder.

"Ist Ihnen", fragte er mich, "ein Aufsatz von mir zu Gesichte gekommen,
den ich im Athenäum, ich denke im Jahre 1866 veröffentlicht habe? Ich
habe dort den Zusammenhang nachzuweisen versucht, welcher zwischen einer
Lieblingsstrophe von Burns -- Sie wissen, die in dem Gedichte "An eine
Maus", "An ein Maßlieb" und in so vielen andern begegnet -- und einer
der ältesten Strophenformen der Troubadourpoesie besteht. Der älteste Trou¬
badour, Graf Wilhelm von Poitiers, hat sie genau ebenso in mehreren seiner
Lieder. Hier muß ein Zusammenhang bestehen, und ich denke mir ihn so,
daß diejenigen schottischen Dichter, bei denen jene Strophe zuerst vorkommt,
Dunbar und Sir Richard Maitland, die beide als junge Männer in Frank¬
reich waren, dort mit der altprovenzalischen Poesie bekannt wurden und aus
ihr jene Strophenform entnahmen."

Mir war jener Aufsatz völlig unbekannt geblieben, wie umgekehrt
Freiligrath eine von mir verfaßte kleine Abhandlung in dem Jahrbuche für
romanische und englische Literatur (Bd. XII, S. 1 ff.), welche wenige Jahre
nachher (1869) in ganz gleicher Weise auf die Uebereinstimmung der schot¬
tischen und provenzalischen Strophenform hingewiesen hatte. Ich habe dort, fügte
ich hinzu, das Vorkommen dieser Form auch im Altfranzöstschen und in der
lateinischen Vagantenpoesie des Mtttelalters dargethan. Freilich bezüglich der
Herkunft und des Zusammenhanges bin ich anderer Ansicht. Ich halte die
Strophensorm für eine altvolksthümliche bei den Kelten, und daraus erkläre ich



') Vieruntwintig schöne Lere von Robert Burns'n, denn'n Schottlänner. Nocch Coarl
Barischen to Noschtock sieu hochdütsch Oewersettung in't Mäkelbörg'sah Plattdütsch owerdroage"
von Verndin Prinz'n, Melkenmeicrin to Dannenau. Leipzig 18V9. 12. -- Ungleich besser sind
die unmittelbar nach dem Original gemachten Uebertragungen (ebenfalls in meklenburgischer
Mundart) von Karl Eggers in Tremsen. Plattdeutsche Dichtungen in Meklenburger Mundart
von Friedrich und Karl Eggers. Breslau 187S. 8.

maurische Färbung. Nur unsere Schriftsprache ist das allgemeine Medium,
welches uns ohne solche individuelle Färbung einen Dichter wie Burns ver¬
mitteln kann."

z Ich konnte nicht umhin, in diesem Punkte ihm beizupflichten, und be¬
merkte nur, daß doch vielleicht unter allen unsern Dialekten das nieder¬
sächsische am meisten ein Anrecht daran haben dürfte, Burns im Dialekte
wiederzugeben, da hier auch eine wirkliche Stammesverwandtschaft vorliege.
Ich führte dabei das Beispiel einer theilweisen Übertragung Burns'scher
Lieder (nach meiner Uebersetzung) in die meklenburgische Mundart an.*)

Freiligrath knüpfte hieran Bemerkungen über den sächsischen Typus der
schottischen Bevölkerung, in welchem noch deutlich die deutsche Abstammung
hervortrete.

Dann lenkte sich das Gespräch auf die Form der Burns'schen Lieder.

»Ist Ihnen", fragte er mich, „ein Aufsatz von mir zu Gesichte gekommen,
den ich im Athenäum, ich denke im Jahre 1866 veröffentlicht habe? Ich
habe dort den Zusammenhang nachzuweisen versucht, welcher zwischen einer
Lieblingsstrophe von Burns — Sie wissen, die in dem Gedichte „An eine
Maus", „An ein Maßlieb" und in so vielen andern begegnet — und einer
der ältesten Strophenformen der Troubadourpoesie besteht. Der älteste Trou¬
badour, Graf Wilhelm von Poitiers, hat sie genau ebenso in mehreren seiner
Lieder. Hier muß ein Zusammenhang bestehen, und ich denke mir ihn so,
daß diejenigen schottischen Dichter, bei denen jene Strophe zuerst vorkommt,
Dunbar und Sir Richard Maitland, die beide als junge Männer in Frank¬
reich waren, dort mit der altprovenzalischen Poesie bekannt wurden und aus
ihr jene Strophenform entnahmen."

Mir war jener Aufsatz völlig unbekannt geblieben, wie umgekehrt
Freiligrath eine von mir verfaßte kleine Abhandlung in dem Jahrbuche für
romanische und englische Literatur (Bd. XII, S. 1 ff.), welche wenige Jahre
nachher (1869) in ganz gleicher Weise auf die Uebereinstimmung der schot¬
tischen und provenzalischen Strophenform hingewiesen hatte. Ich habe dort, fügte
ich hinzu, das Vorkommen dieser Form auch im Altfranzöstschen und in der
lateinischen Vagantenpoesie des Mtttelalters dargethan. Freilich bezüglich der
Herkunft und des Zusammenhanges bin ich anderer Ansicht. Ich halte die
Strophensorm für eine altvolksthümliche bei den Kelten, und daraus erkläre ich



') Vieruntwintig schöne Lere von Robert Burns'n, denn'n Schottlänner. Nocch Coarl
Barischen to Noschtock sieu hochdütsch Oewersettung in't Mäkelbörg'sah Plattdütsch owerdroage»
von Verndin Prinz'n, Melkenmeicrin to Dannenau. Leipzig 18V9. 12. — Ungleich besser sind
die unmittelbar nach dem Original gemachten Uebertragungen (ebenfalls in meklenburgischer
Mundart) von Karl Eggers in Tremsen. Plattdeutsche Dichtungen in Meklenburger Mundart
von Friedrich und Karl Eggers. Breslau 187S. 8.
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[0278] maurische Färbung. Nur unsere Schriftsprache ist das allgemeine Medium, welches uns ohne solche individuelle Färbung einen Dichter wie Burns ver¬ mitteln kann." z Ich konnte nicht umhin, in diesem Punkte ihm beizupflichten, und be¬ merkte nur, daß doch vielleicht unter allen unsern Dialekten das nieder¬ sächsische am meisten ein Anrecht daran haben dürfte, Burns im Dialekte wiederzugeben, da hier auch eine wirkliche Stammesverwandtschaft vorliege. Ich führte dabei das Beispiel einer theilweisen Übertragung Burns'scher Lieder (nach meiner Uebersetzung) in die meklenburgische Mundart an.*) Freiligrath knüpfte hieran Bemerkungen über den sächsischen Typus der schottischen Bevölkerung, in welchem noch deutlich die deutsche Abstammung hervortrete. Dann lenkte sich das Gespräch auf die Form der Burns'schen Lieder. »Ist Ihnen", fragte er mich, „ein Aufsatz von mir zu Gesichte gekommen, den ich im Athenäum, ich denke im Jahre 1866 veröffentlicht habe? Ich habe dort den Zusammenhang nachzuweisen versucht, welcher zwischen einer Lieblingsstrophe von Burns — Sie wissen, die in dem Gedichte „An eine Maus", „An ein Maßlieb" und in so vielen andern begegnet — und einer der ältesten Strophenformen der Troubadourpoesie besteht. Der älteste Trou¬ badour, Graf Wilhelm von Poitiers, hat sie genau ebenso in mehreren seiner Lieder. Hier muß ein Zusammenhang bestehen, und ich denke mir ihn so, daß diejenigen schottischen Dichter, bei denen jene Strophe zuerst vorkommt, Dunbar und Sir Richard Maitland, die beide als junge Männer in Frank¬ reich waren, dort mit der altprovenzalischen Poesie bekannt wurden und aus ihr jene Strophenform entnahmen." Mir war jener Aufsatz völlig unbekannt geblieben, wie umgekehrt Freiligrath eine von mir verfaßte kleine Abhandlung in dem Jahrbuche für romanische und englische Literatur (Bd. XII, S. 1 ff.), welche wenige Jahre nachher (1869) in ganz gleicher Weise auf die Uebereinstimmung der schot¬ tischen und provenzalischen Strophenform hingewiesen hatte. Ich habe dort, fügte ich hinzu, das Vorkommen dieser Form auch im Altfranzöstschen und in der lateinischen Vagantenpoesie des Mtttelalters dargethan. Freilich bezüglich der Herkunft und des Zusammenhanges bin ich anderer Ansicht. Ich halte die Strophensorm für eine altvolksthümliche bei den Kelten, und daraus erkläre ich ') Vieruntwintig schöne Lere von Robert Burns'n, denn'n Schottlänner. Nocch Coarl Barischen to Noschtock sieu hochdütsch Oewersettung in't Mäkelbörg'sah Plattdütsch owerdroage» von Verndin Prinz'n, Melkenmeicrin to Dannenau. Leipzig 18V9. 12. — Ungleich besser sind die unmittelbar nach dem Original gemachten Uebertragungen (ebenfalls in meklenburgischer Mundart) von Karl Eggers in Tremsen. Plattdeutsche Dichtungen in Meklenburger Mundart von Friedrich und Karl Eggers. Breslau 187S. 8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/278>, abgerufen am 27.07.2024.