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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die ohne alle erbauliche Färbung und selbst mit Disputationen verbunden,
die ganze wissenschaftliche Bildung der Zeit umfassen und im Zusammenhang
mit den höchsten Problemen wie mit den praktisch-sittlichen Aufgaben behan¬
deln sollen. Daß hiemit eine Studienreform umfassendster Art, ja eine Reform
der größtentheils in zusammenhangslose Specialitäten untergegangenen Wis¬
senschaft selbst gefordert werde, verbirgt sich der Verfasser nicht; aber er ver¬
traut, daß dieselbe dann auch nicht ausbleiben werde; -- "die Nothwendigkeit
diese Jünger zu bilden soll uns die wahren Meister wiedergeben." "Welch
ein Triumph für die Kirche, ruft er bei diesem Gedanken begeistert aus, wenn
sie, die im Namen der Wissenschaft entthront worden und die Entthronung
der Wissenschaft auf dem Fuße folgen sah, nun die Ursach wird, daß die
Wissenschaft ihren Thron wiedererlangt! -- die Wissenschaft, d. h. die philo¬
sophische Wissenschaft im Gegensatz zur PseudoWissenschaft, denn Pseudowissen-
schaft ist die unkritische Vermischung von Beobachtung und Metaphysik,
welche den Charakter der heutigen Naturwissenschaft ausmacht. Die Religion
allein kann uns den höheren Verstand zurückgeben und erhalten, weil sie
allein den Menschen zu einer Höhe der Bestimmung, zu einer Freiheit und
Selbstthätigkett des Wirkens erhebt, die zu begreifen und zu erhalten die
niederen Verstandesfunctionen nicht ausreichen." Indem der Verfasser ande¬
rerseits auf die staatlich-kirchliche Aufgabe des Jugendunterrichts eingeht, redet
er goldene Worte wider die confessionslose, d. h. religionslose Schule. "Die
Religion ist entweder nichts, höchstens ein lichtscheues Mysterium, oder sie ist
der Mittelpunkt alles Erkennens und Handelns. Es ist widersinnig, der
Jugend Bruchstücke des Wissens zu geben, und sie zu entlassen mit dem Zu¬
ruf: Nun sucht euch das Ganze! Wie könnte man wohl anders der Jugend
die Vorstellung, den Glauben einer Einheit des Lebens und des Wissens
geben, als durch die Religion? Man giebt vielerorten doch noch zu, daß das
Ziel des Lebenskampfes die Aufrechterhaltung der moralischen Persönlichkeit
ist; nun wohl, -- das will man durch die sogenannte freie Schule erreichen?
Man will sittliche Charaktere heranziehen, ohne die Gemüther einzuführen in
die Heiligthümer der Menschheit und der Nation?" Der Verfasser denkt sich
auch die paritätische Schule nur als Ausnahme, die katholische Volksschule als
unter staatlichen Forderungen und Bedingungen zugelassene kirchliche Anstalt,
die Staatsschule aber geleitet von evangelischen Lehrgeistlichen, Männern
akademischer Bildung, die von dieser ersten Staffel ihrer Berufsthätigkeit
dann zu höheren aufsteigen könnten. -- Einen andern großen Berufszweig
soll der Staat der Kirche eröffnen in der "Heilung der Sitten". Die Armen¬
pflege, die Fürsorge für die Sträflinge, die Rettung der Verwahrlosten, die
Vermittelung in den socialen Mißständen soll einer anderen Gattung evan¬
gelischer Kleriker, einem hiezu entsprechend vorgebildeten Diaeonat übergeben


die ohne alle erbauliche Färbung und selbst mit Disputationen verbunden,
die ganze wissenschaftliche Bildung der Zeit umfassen und im Zusammenhang
mit den höchsten Problemen wie mit den praktisch-sittlichen Aufgaben behan¬
deln sollen. Daß hiemit eine Studienreform umfassendster Art, ja eine Reform
der größtentheils in zusammenhangslose Specialitäten untergegangenen Wis¬
senschaft selbst gefordert werde, verbirgt sich der Verfasser nicht; aber er ver¬
traut, daß dieselbe dann auch nicht ausbleiben werde; — „die Nothwendigkeit
diese Jünger zu bilden soll uns die wahren Meister wiedergeben." „Welch
ein Triumph für die Kirche, ruft er bei diesem Gedanken begeistert aus, wenn
sie, die im Namen der Wissenschaft entthront worden und die Entthronung
der Wissenschaft auf dem Fuße folgen sah, nun die Ursach wird, daß die
Wissenschaft ihren Thron wiedererlangt! — die Wissenschaft, d. h. die philo¬
sophische Wissenschaft im Gegensatz zur PseudoWissenschaft, denn Pseudowissen-
schaft ist die unkritische Vermischung von Beobachtung und Metaphysik,
welche den Charakter der heutigen Naturwissenschaft ausmacht. Die Religion
allein kann uns den höheren Verstand zurückgeben und erhalten, weil sie
allein den Menschen zu einer Höhe der Bestimmung, zu einer Freiheit und
Selbstthätigkett des Wirkens erhebt, die zu begreifen und zu erhalten die
niederen Verstandesfunctionen nicht ausreichen." Indem der Verfasser ande¬
rerseits auf die staatlich-kirchliche Aufgabe des Jugendunterrichts eingeht, redet
er goldene Worte wider die confessionslose, d. h. religionslose Schule. „Die
Religion ist entweder nichts, höchstens ein lichtscheues Mysterium, oder sie ist
der Mittelpunkt alles Erkennens und Handelns. Es ist widersinnig, der
Jugend Bruchstücke des Wissens zu geben, und sie zu entlassen mit dem Zu¬
ruf: Nun sucht euch das Ganze! Wie könnte man wohl anders der Jugend
die Vorstellung, den Glauben einer Einheit des Lebens und des Wissens
geben, als durch die Religion? Man giebt vielerorten doch noch zu, daß das
Ziel des Lebenskampfes die Aufrechterhaltung der moralischen Persönlichkeit
ist; nun wohl, — das will man durch die sogenannte freie Schule erreichen?
Man will sittliche Charaktere heranziehen, ohne die Gemüther einzuführen in
die Heiligthümer der Menschheit und der Nation?" Der Verfasser denkt sich
auch die paritätische Schule nur als Ausnahme, die katholische Volksschule als
unter staatlichen Forderungen und Bedingungen zugelassene kirchliche Anstalt,
die Staatsschule aber geleitet von evangelischen Lehrgeistlichen, Männern
akademischer Bildung, die von dieser ersten Staffel ihrer Berufsthätigkeit
dann zu höheren aufsteigen könnten. — Einen andern großen Berufszweig
soll der Staat der Kirche eröffnen in der „Heilung der Sitten". Die Armen¬
pflege, die Fürsorge für die Sträflinge, die Rettung der Verwahrlosten, die
Vermittelung in den socialen Mißständen soll einer anderen Gattung evan¬
gelischer Kleriker, einem hiezu entsprechend vorgebildeten Diaeonat übergeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/256>, abgerufen am 27.11.2024.