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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Schule gesunde, freie, sittlich hochstrebende Menschen bildet, so vermag sie
das nur in Verbindung mit einer Religion, die aus dem Umfang des Wissens,
welchen die Schule bietet, nicht zu begründen ist, sondern die sich durch ihren
Gehalt, durch ihre Verknüpfung mit Pietät und geschichtlicher Erinnerung
des Gemüths bemeistert." -- Die schärfste Geißel schwingt der Versasser über
die, welche dem gläubigen Protestanten zumuthen, im Namen einer Soli¬
darität der religiösen und conservativen Interessen mit dem Katholicismus
gegen den Staat zusammenzuhalten. "Es gibt sicherlich Standpunkte, sagt
er besonnen, zu welchen der gläubige Protestantismus, auch wenn sie äußer¬
lich auf dem Boden der protestantischen Kirche aufgetreten, nur ein ableh¬
nendes Verhalten beobachten kann. Eine erasse, abscheuliche Verirrung aber
ist es, protestantische Geistesrichtungen, die sich zum Dogma frei stellen, aber
die religiöse Weihe und Kraft in sich tragen, in das Reich Satans zu verweisen,
und dafür den abgöttischen Geist, den Luther so oft als Satans echtes Werk
bezeichnet hat, als Bruder aufnehmen zu wollen." Rechnen solche Leute uns
vor, wieviele Dogmen sie doch mit den Katholiken gemein haben, so ist das
die Gemeinschaft eines Glaubens, der darin besteht sich selbst ein Idol einzu¬
reden, dem Verstände zum Trotz, -- "solcher Art von Gläubigen ziemt es,
unter einander zu streiten, wer die meisten Idole hat!" Einem solchen Pseudo-
protestantismus gegenüber hebt der Verfasser mit Ernst die principielle, funda¬
mentale Verschiedenheit katholischer und evangelischer Religion hervor, der
Religion der endlichen Forderungen und geistigen Knechtschaft, und der Reli¬
gion des unendlichen Ringens und der in Gott freien Persönlichkeit.

Und diese evangelische Religion, fährt der Versasser in diesem Zusammen¬
hange fort, ist die eigentliche Religion des deutschen Geistes. "Die römische
war aus deutschem Boden immer nur eine Fremdherrschaft, und mit der
endlichen Schöpfung ihres politischen Gemeinwesens ist für die deutsche Nation
der Tag angebrochen, wo alle ihre Angehörigen sich entscheiden müssen wohin
sie halten wollen, zu Rom oder zum Vaterland." Treffend wird nachgewiesen,
daß der deutsche Staat und die römische Kirche in ihrem innersten Wesen
unverträglich sind. Denn die römische Kirche nimmt den ganzen Menschen
in Anspruch, nicht blos den inneren, und den inneren macht sie sittlich unfrei;
der deutsche aus dem Protestantismus geborene Staat aber nimmt zunächst
den nach Außen wirksamen Menschen für sich in Anspruch, aber insofern auch
den inneren, als er einen Gehorsam, eine Hingebung fordert, wie sie nur auf
Zutrauen, Einsicht und Gewissen beruhen können. Leider Gottes ist unter
der Connivenz eines unverständigen Paritätsbegriffs jene geistige Fremdherr¬
schaft seit 1840 bei uns förmlich anerkannt worden und hat vermöge der
skeptischen Zersetzung unseres Geisteslebens und des religiösen Iwi-ror vacui,
der dem menschlichen Geiste innewohnt, eine Macht unter uns entfaltet, auf


Schule gesunde, freie, sittlich hochstrebende Menschen bildet, so vermag sie
das nur in Verbindung mit einer Religion, die aus dem Umfang des Wissens,
welchen die Schule bietet, nicht zu begründen ist, sondern die sich durch ihren
Gehalt, durch ihre Verknüpfung mit Pietät und geschichtlicher Erinnerung
des Gemüths bemeistert." — Die schärfste Geißel schwingt der Versasser über
die, welche dem gläubigen Protestanten zumuthen, im Namen einer Soli¬
darität der religiösen und conservativen Interessen mit dem Katholicismus
gegen den Staat zusammenzuhalten. „Es gibt sicherlich Standpunkte, sagt
er besonnen, zu welchen der gläubige Protestantismus, auch wenn sie äußer¬
lich auf dem Boden der protestantischen Kirche aufgetreten, nur ein ableh¬
nendes Verhalten beobachten kann. Eine erasse, abscheuliche Verirrung aber
ist es, protestantische Geistesrichtungen, die sich zum Dogma frei stellen, aber
die religiöse Weihe und Kraft in sich tragen, in das Reich Satans zu verweisen,
und dafür den abgöttischen Geist, den Luther so oft als Satans echtes Werk
bezeichnet hat, als Bruder aufnehmen zu wollen." Rechnen solche Leute uns
vor, wieviele Dogmen sie doch mit den Katholiken gemein haben, so ist das
die Gemeinschaft eines Glaubens, der darin besteht sich selbst ein Idol einzu¬
reden, dem Verstände zum Trotz, — „solcher Art von Gläubigen ziemt es,
unter einander zu streiten, wer die meisten Idole hat!" Einem solchen Pseudo-
protestantismus gegenüber hebt der Verfasser mit Ernst die principielle, funda¬
mentale Verschiedenheit katholischer und evangelischer Religion hervor, der
Religion der endlichen Forderungen und geistigen Knechtschaft, und der Reli¬
gion des unendlichen Ringens und der in Gott freien Persönlichkeit.

Und diese evangelische Religion, fährt der Versasser in diesem Zusammen¬
hange fort, ist die eigentliche Religion des deutschen Geistes. „Die römische
war aus deutschem Boden immer nur eine Fremdherrschaft, und mit der
endlichen Schöpfung ihres politischen Gemeinwesens ist für die deutsche Nation
der Tag angebrochen, wo alle ihre Angehörigen sich entscheiden müssen wohin
sie halten wollen, zu Rom oder zum Vaterland." Treffend wird nachgewiesen,
daß der deutsche Staat und die römische Kirche in ihrem innersten Wesen
unverträglich sind. Denn die römische Kirche nimmt den ganzen Menschen
in Anspruch, nicht blos den inneren, und den inneren macht sie sittlich unfrei;
der deutsche aus dem Protestantismus geborene Staat aber nimmt zunächst
den nach Außen wirksamen Menschen für sich in Anspruch, aber insofern auch
den inneren, als er einen Gehorsam, eine Hingebung fordert, wie sie nur auf
Zutrauen, Einsicht und Gewissen beruhen können. Leider Gottes ist unter
der Connivenz eines unverständigen Paritätsbegriffs jene geistige Fremdherr¬
schaft seit 1840 bei uns förmlich anerkannt worden und hat vermöge der
skeptischen Zersetzung unseres Geisteslebens und des religiösen Iwi-ror vacui,
der dem menschlichen Geiste innewohnt, eine Macht unter uns entfaltet, auf


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[0210] Schule gesunde, freie, sittlich hochstrebende Menschen bildet, so vermag sie das nur in Verbindung mit einer Religion, die aus dem Umfang des Wissens, welchen die Schule bietet, nicht zu begründen ist, sondern die sich durch ihren Gehalt, durch ihre Verknüpfung mit Pietät und geschichtlicher Erinnerung des Gemüths bemeistert." — Die schärfste Geißel schwingt der Versasser über die, welche dem gläubigen Protestanten zumuthen, im Namen einer Soli¬ darität der religiösen und conservativen Interessen mit dem Katholicismus gegen den Staat zusammenzuhalten. „Es gibt sicherlich Standpunkte, sagt er besonnen, zu welchen der gläubige Protestantismus, auch wenn sie äußer¬ lich auf dem Boden der protestantischen Kirche aufgetreten, nur ein ableh¬ nendes Verhalten beobachten kann. Eine erasse, abscheuliche Verirrung aber ist es, protestantische Geistesrichtungen, die sich zum Dogma frei stellen, aber die religiöse Weihe und Kraft in sich tragen, in das Reich Satans zu verweisen, und dafür den abgöttischen Geist, den Luther so oft als Satans echtes Werk bezeichnet hat, als Bruder aufnehmen zu wollen." Rechnen solche Leute uns vor, wieviele Dogmen sie doch mit den Katholiken gemein haben, so ist das die Gemeinschaft eines Glaubens, der darin besteht sich selbst ein Idol einzu¬ reden, dem Verstände zum Trotz, — „solcher Art von Gläubigen ziemt es, unter einander zu streiten, wer die meisten Idole hat!" Einem solchen Pseudo- protestantismus gegenüber hebt der Verfasser mit Ernst die principielle, funda¬ mentale Verschiedenheit katholischer und evangelischer Religion hervor, der Religion der endlichen Forderungen und geistigen Knechtschaft, und der Reli¬ gion des unendlichen Ringens und der in Gott freien Persönlichkeit. Und diese evangelische Religion, fährt der Versasser in diesem Zusammen¬ hange fort, ist die eigentliche Religion des deutschen Geistes. „Die römische war aus deutschem Boden immer nur eine Fremdherrschaft, und mit der endlichen Schöpfung ihres politischen Gemeinwesens ist für die deutsche Nation der Tag angebrochen, wo alle ihre Angehörigen sich entscheiden müssen wohin sie halten wollen, zu Rom oder zum Vaterland." Treffend wird nachgewiesen, daß der deutsche Staat und die römische Kirche in ihrem innersten Wesen unverträglich sind. Denn die römische Kirche nimmt den ganzen Menschen in Anspruch, nicht blos den inneren, und den inneren macht sie sittlich unfrei; der deutsche aus dem Protestantismus geborene Staat aber nimmt zunächst den nach Außen wirksamen Menschen für sich in Anspruch, aber insofern auch den inneren, als er einen Gehorsam, eine Hingebung fordert, wie sie nur auf Zutrauen, Einsicht und Gewissen beruhen können. Leider Gottes ist unter der Connivenz eines unverständigen Paritätsbegriffs jene geistige Fremdherr¬ schaft seit 1840 bei uns förmlich anerkannt worden und hat vermöge der skeptischen Zersetzung unseres Geisteslebens und des religiösen Iwi-ror vacui, der dem menschlichen Geiste innewohnt, eine Macht unter uns entfaltet, auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/210>, abgerufen am 27.07.2024.