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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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das letztere betrifft, so hat es den Vorzug, wie die Schweiz, gegen die etwaigen
Folgen der eigenen Thorheit durch die Bürgschaft der fremden Mächte ge¬
schützt zu sein. Was aber England betrifft, so wissen wir alle, daß in Folge
höchst eigenthümlicher Verhältnisse die parlamentarische Regierung sich dort
gestaltet hat als alternirende Parteiregierung zweier Adelseoterien. Man
kann die parlamentarische Regierung tausendmal auf einen andern Boden
verpflanzen wollen, sie wird nicht ein einziges Mal die alternirende Partei¬
regierung zweier in ihrem Grundverhältniß zum Staat vollständig überein¬
stimmender Familiencliquen herbeiführen. Gebt uns erst die Bedingungen
der alternirenden Parteiregierung, so können wir allenfalls die parlamentarische
Regierung, d. h. das Parlament als scheinbaren Regulator der Ablösung der
Parteien uns gefallen lassen. Das umgekehrte Experiment wäre knabenhaft
und verbrecherisch.

Wir sind sehr ernsthaft geworden und haben es doch mit einer sehr
spaßhaften Figur zu thun. Karlchen Mießnik hat sich die dramatischen
Scenen der parlamentarischen Regierung, als deren Helden er sich denkt, mit
der Don Quixotischer Lebhaftigkeit in den Kopf gesetzt und ist nun Gift und
Galle, daß im deutschen Reich diese Bühne nicht zu finden ist, auf der er
folglich nicht als Held agiren kann. So schreibt denn Karlchen ein Pamphlet.
Aber nicht bloß Gelächter empfängt ihn, sondern stürmischer Beifall, nicht
allgemein, aber aus einer bestimmten Region, aus den Reihen der Fortschritts¬
partei. Diese Partei, und das gereicht ihr zur großen Ehre, steht ganz und
gar nicht auf dem Standpunkt von Karlchen Mießnik, sie glaubt ganz und
gar nicht an das parlamentarische Junkerthum mit der obligaten Garnitur
erheuchelter Institutionen vom wesenlosen Königthum, und wesenlosen Ober¬
haus. Das geheime Ideal dieser Partei ist die demokratische Bundesrepublik
mit unmittelbarer Entscheidung aller wichtigen Staatsfragen durch das Volk
(Referendum). Aber die Fortschrittspartei jubelt, und wer will ihr das ver¬
denken, wenn ein Karlchen Mießnik auftritt, vernarrt in das romantische Ideal
des Parlamentarismus, und im Ingrimm über die Wirklichkeit, welche diesem
Ideal nicht widerspricht, die Wirklichkeit grausam lästert und anschwärzt.
Die Berufung an die Wähler durch Auflösung des Reichstags nennt Karl¬
chen Mießnik einen "Axxel s,u xeuxle nach Art der scheußlichen napoleonischen
Regierung". Kann so etwas ein Fortschrittsmann anhören? Wir sehen ihn
nicht bloß hören, wir hören ihn sogar jubeln, denn dieses Karlchen Mießnik
ist von einer ingrimmigen Wuth gegen den Reichskanzler beseelt, den es als
den Hauptstörer und Hauptverderber der parlamentarischen Regierung ansieht.
Nach Karlchen Mießnik soll die nationalliberale Partei, welche nach ihm ein¬
gestandenermaßen dazu da ist. das romantische Ideal der parlamentarischen
Regierung zu verwirklichen, dem Kanzler den allerkürzesten Prozeß machen.

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das letztere betrifft, so hat es den Vorzug, wie die Schweiz, gegen die etwaigen
Folgen der eigenen Thorheit durch die Bürgschaft der fremden Mächte ge¬
schützt zu sein. Was aber England betrifft, so wissen wir alle, daß in Folge
höchst eigenthümlicher Verhältnisse die parlamentarische Regierung sich dort
gestaltet hat als alternirende Parteiregierung zweier Adelseoterien. Man
kann die parlamentarische Regierung tausendmal auf einen andern Boden
verpflanzen wollen, sie wird nicht ein einziges Mal die alternirende Partei¬
regierung zweier in ihrem Grundverhältniß zum Staat vollständig überein¬
stimmender Familiencliquen herbeiführen. Gebt uns erst die Bedingungen
der alternirenden Parteiregierung, so können wir allenfalls die parlamentarische
Regierung, d. h. das Parlament als scheinbaren Regulator der Ablösung der
Parteien uns gefallen lassen. Das umgekehrte Experiment wäre knabenhaft
und verbrecherisch.

Wir sind sehr ernsthaft geworden und haben es doch mit einer sehr
spaßhaften Figur zu thun. Karlchen Mießnik hat sich die dramatischen
Scenen der parlamentarischen Regierung, als deren Helden er sich denkt, mit
der Don Quixotischer Lebhaftigkeit in den Kopf gesetzt und ist nun Gift und
Galle, daß im deutschen Reich diese Bühne nicht zu finden ist, auf der er
folglich nicht als Held agiren kann. So schreibt denn Karlchen ein Pamphlet.
Aber nicht bloß Gelächter empfängt ihn, sondern stürmischer Beifall, nicht
allgemein, aber aus einer bestimmten Region, aus den Reihen der Fortschritts¬
partei. Diese Partei, und das gereicht ihr zur großen Ehre, steht ganz und
gar nicht auf dem Standpunkt von Karlchen Mießnik, sie glaubt ganz und
gar nicht an das parlamentarische Junkerthum mit der obligaten Garnitur
erheuchelter Institutionen vom wesenlosen Königthum, und wesenlosen Ober¬
haus. Das geheime Ideal dieser Partei ist die demokratische Bundesrepublik
mit unmittelbarer Entscheidung aller wichtigen Staatsfragen durch das Volk
(Referendum). Aber die Fortschrittspartei jubelt, und wer will ihr das ver¬
denken, wenn ein Karlchen Mießnik auftritt, vernarrt in das romantische Ideal
des Parlamentarismus, und im Ingrimm über die Wirklichkeit, welche diesem
Ideal nicht widerspricht, die Wirklichkeit grausam lästert und anschwärzt.
Die Berufung an die Wähler durch Auflösung des Reichstags nennt Karl¬
chen Mießnik einen „Axxel s,u xeuxle nach Art der scheußlichen napoleonischen
Regierung". Kann so etwas ein Fortschrittsmann anhören? Wir sehen ihn
nicht bloß hören, wir hören ihn sogar jubeln, denn dieses Karlchen Mießnik
ist von einer ingrimmigen Wuth gegen den Reichskanzler beseelt, den es als
den Hauptstörer und Hauptverderber der parlamentarischen Regierung ansieht.
Nach Karlchen Mießnik soll die nationalliberale Partei, welche nach ihm ein¬
gestandenermaßen dazu da ist. das romantische Ideal der parlamentarischen
Regierung zu verwirklichen, dem Kanzler den allerkürzesten Prozeß machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/198>, abgerufen am 27.11.2024.