Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen in das Haupthaus, was es mehrmals wiederholte, und wobei es jedes
Mal etwas länger im Hause blieb. Während der letzten Zwischenzeit flohen
die Kinder und gingen weit ins Land hinein, bis sie an ein Haus kamen,
wo sie ihre Geschichte erzählten und die Nacht über blieben. Die Schwester
aber konnte nicht schlafen, und so hörte sie, wie um Mitternacht jemand sagte:
"Was sie uns erzählen, ist nicht wahr, sie haben selber ihre Hausgenossen
umgebracht, und das Sicherste wird sein, wenn wir sie morgen früh todt¬
schlagen." Sie weckte darauf, als die Andern eingeschlafen waren, ihre Brüder
und flüchtete mit ihnen, bis sie an ein anderes Haus kamen. Hier erging es
ihnen ebenso, aber die Schwester nahm hier, bevor sie sich entfernten, einen
der Stiefel ihrer Brüder, stieß damit mehrmals gegen die Hausthür und
sprach einen Zauber aus, der die Leute drinnen tödtete. Als sie dann weiter
gingen, begegneten sie einem Riesen, der die Hälfte eines Rennthiers auf der
Schulter trug. Sie sagten ihm, weshalb sie hierher gekommen, und er nahm
sie mit nach seinem Hause, dessen Inneres hübsch ausgestattet und an den
Wänden mit Rennthierfellen behängen war. Der Riese setzte ihnen trockenes
Fleisch zum Essen vor. Als sie damit fertig waren, sagte die Schwester:
"Rennthierfleisch ist ein gutes Essen, aber was würde es besser schmecken
lassen?" -- "Wenn man es mit ein paar hübschen Rebhühnern mischte,"
sagte einer der Brüder. "Nun so geh flugs und hole einige." So gingen
sie, und bald hörten sie Geflatter und fingen eine Menge Hühner. Als sie
dabei waren, sie zu verspeisen, sagte die Schwester: "Rebhühner sind wahr¬
haftig ein gutes Essen, aber was würde sie besser schmecken lassen?" -- "Wenn
man sie mit einigen hübschen Hasen mischte", antwortete einer der Brüder,
und sie gingen und holten sich etliche Hasen. So fuhr die Schwester fort,
indem sie immer etwas Besseres wollte. Zuletzt sagte sie: "Junge Serdlernaks
(ein fabelhafter Vogel) sind außerordentlich wohlschmeckend, aber die großen --
oh seid flink, seid flink!" Der Riese aber sagte: "Ich jagte diesen Vogel nie
ohne Angst, denn wenn er seine Eier in Lee von jener Landspitze legt und
Seehunde fängt, ist er gefährlich." Doch liefen sie alle hinaus, um sich den
Serdlernak zu besehen. Als er aber von seinem Felsen nach ihnen schnappte,
fürchteten sie sich und zogen sich zurück. Nur der jüngere Bruder blieb stehen
und wurde verschlungen. Da rief die Schwester: "Jetzt muß ich mich ein¬
mischen", worauf sie ihren Stiefel auszog und den Vogel damit todtschlug.
Sie schnitt ihn dann auf und fand seinen Wanst voll Seehundsknochen, unter
denen auch die ihres Bruders waren. Sie las die letztern heraus und nahm
sie mit sich. Als sie noch auf dem Wege nach Hause war, fühlte sie, wie sie
sich bewegten, und als, sie dieselben vor der Thür hinstellte, wurden sie ganz
lebendig, und ihr Bruder stand unverletzt vor ihr.

Man sagte von Jginarasugsuk, daß er seine Weiber immer nach kurzer


dessen in das Haupthaus, was es mehrmals wiederholte, und wobei es jedes
Mal etwas länger im Hause blieb. Während der letzten Zwischenzeit flohen
die Kinder und gingen weit ins Land hinein, bis sie an ein Haus kamen,
wo sie ihre Geschichte erzählten und die Nacht über blieben. Die Schwester
aber konnte nicht schlafen, und so hörte sie, wie um Mitternacht jemand sagte:
„Was sie uns erzählen, ist nicht wahr, sie haben selber ihre Hausgenossen
umgebracht, und das Sicherste wird sein, wenn wir sie morgen früh todt¬
schlagen." Sie weckte darauf, als die Andern eingeschlafen waren, ihre Brüder
und flüchtete mit ihnen, bis sie an ein anderes Haus kamen. Hier erging es
ihnen ebenso, aber die Schwester nahm hier, bevor sie sich entfernten, einen
der Stiefel ihrer Brüder, stieß damit mehrmals gegen die Hausthür und
sprach einen Zauber aus, der die Leute drinnen tödtete. Als sie dann weiter
gingen, begegneten sie einem Riesen, der die Hälfte eines Rennthiers auf der
Schulter trug. Sie sagten ihm, weshalb sie hierher gekommen, und er nahm
sie mit nach seinem Hause, dessen Inneres hübsch ausgestattet und an den
Wänden mit Rennthierfellen behängen war. Der Riese setzte ihnen trockenes
Fleisch zum Essen vor. Als sie damit fertig waren, sagte die Schwester:
„Rennthierfleisch ist ein gutes Essen, aber was würde es besser schmecken
lassen?" — „Wenn man es mit ein paar hübschen Rebhühnern mischte,"
sagte einer der Brüder. „Nun so geh flugs und hole einige." So gingen
sie, und bald hörten sie Geflatter und fingen eine Menge Hühner. Als sie
dabei waren, sie zu verspeisen, sagte die Schwester: „Rebhühner sind wahr¬
haftig ein gutes Essen, aber was würde sie besser schmecken lassen?" — „Wenn
man sie mit einigen hübschen Hasen mischte", antwortete einer der Brüder,
und sie gingen und holten sich etliche Hasen. So fuhr die Schwester fort,
indem sie immer etwas Besseres wollte. Zuletzt sagte sie: „Junge Serdlernaks
(ein fabelhafter Vogel) sind außerordentlich wohlschmeckend, aber die großen —
oh seid flink, seid flink!" Der Riese aber sagte: „Ich jagte diesen Vogel nie
ohne Angst, denn wenn er seine Eier in Lee von jener Landspitze legt und
Seehunde fängt, ist er gefährlich." Doch liefen sie alle hinaus, um sich den
Serdlernak zu besehen. Als er aber von seinem Felsen nach ihnen schnappte,
fürchteten sie sich und zogen sich zurück. Nur der jüngere Bruder blieb stehen
und wurde verschlungen. Da rief die Schwester: „Jetzt muß ich mich ein¬
mischen", worauf sie ihren Stiefel auszog und den Vogel damit todtschlug.
Sie schnitt ihn dann auf und fand seinen Wanst voll Seehundsknochen, unter
denen auch die ihres Bruders waren. Sie las die letztern heraus und nahm
sie mit sich. Als sie noch auf dem Wege nach Hause war, fühlte sie, wie sie
sich bewegten, und als, sie dieselben vor der Thür hinstellte, wurden sie ganz
lebendig, und ihr Bruder stand unverletzt vor ihr.

Man sagte von Jginarasugsuk, daß er seine Weiber immer nach kurzer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135755"/>
          <p xml:id="ID_592" prev="#ID_591"> dessen in das Haupthaus, was es mehrmals wiederholte, und wobei es jedes<lb/>
Mal etwas länger im Hause blieb. Während der letzten Zwischenzeit flohen<lb/>
die Kinder und gingen weit ins Land hinein, bis sie an ein Haus kamen,<lb/>
wo sie ihre Geschichte erzählten und die Nacht über blieben. Die Schwester<lb/>
aber konnte nicht schlafen, und so hörte sie, wie um Mitternacht jemand sagte:<lb/>
&#x201E;Was sie uns erzählen, ist nicht wahr, sie haben selber ihre Hausgenossen<lb/>
umgebracht, und das Sicherste wird sein, wenn wir sie morgen früh todt¬<lb/>
schlagen." Sie weckte darauf, als die Andern eingeschlafen waren, ihre Brüder<lb/>
und flüchtete mit ihnen, bis sie an ein anderes Haus kamen. Hier erging es<lb/>
ihnen ebenso, aber die Schwester nahm hier, bevor sie sich entfernten, einen<lb/>
der Stiefel ihrer Brüder, stieß damit mehrmals gegen die Hausthür und<lb/>
sprach einen Zauber aus, der die Leute drinnen tödtete. Als sie dann weiter<lb/>
gingen, begegneten sie einem Riesen, der die Hälfte eines Rennthiers auf der<lb/>
Schulter trug. Sie sagten ihm, weshalb sie hierher gekommen, und er nahm<lb/>
sie mit nach seinem Hause, dessen Inneres hübsch ausgestattet und an den<lb/>
Wänden mit Rennthierfellen behängen war. Der Riese setzte ihnen trockenes<lb/>
Fleisch zum Essen vor. Als sie damit fertig waren, sagte die Schwester:<lb/>
&#x201E;Rennthierfleisch ist ein gutes Essen, aber was würde es besser schmecken<lb/>
lassen?" &#x2014; &#x201E;Wenn man es mit ein paar hübschen Rebhühnern mischte,"<lb/>
sagte einer der Brüder. &#x201E;Nun so geh flugs und hole einige." So gingen<lb/>
sie, und bald hörten sie Geflatter und fingen eine Menge Hühner. Als sie<lb/>
dabei waren, sie zu verspeisen, sagte die Schwester: &#x201E;Rebhühner sind wahr¬<lb/>
haftig ein gutes Essen, aber was würde sie besser schmecken lassen?" &#x2014; &#x201E;Wenn<lb/>
man sie mit einigen hübschen Hasen mischte", antwortete einer der Brüder,<lb/>
und sie gingen und holten sich etliche Hasen. So fuhr die Schwester fort,<lb/>
indem sie immer etwas Besseres wollte. Zuletzt sagte sie: &#x201E;Junge Serdlernaks<lb/>
(ein fabelhafter Vogel) sind außerordentlich wohlschmeckend, aber die großen &#x2014;<lb/>
oh seid flink, seid flink!" Der Riese aber sagte: &#x201E;Ich jagte diesen Vogel nie<lb/>
ohne Angst, denn wenn er seine Eier in Lee von jener Landspitze legt und<lb/>
Seehunde fängt, ist er gefährlich." Doch liefen sie alle hinaus, um sich den<lb/>
Serdlernak zu besehen. Als er aber von seinem Felsen nach ihnen schnappte,<lb/>
fürchteten sie sich und zogen sich zurück. Nur der jüngere Bruder blieb stehen<lb/>
und wurde verschlungen. Da rief die Schwester: &#x201E;Jetzt muß ich mich ein¬<lb/>
mischen", worauf sie ihren Stiefel auszog und den Vogel damit todtschlug.<lb/>
Sie schnitt ihn dann auf und fand seinen Wanst voll Seehundsknochen, unter<lb/>
denen auch die ihres Bruders waren. Sie las die letztern heraus und nahm<lb/>
sie mit sich. Als sie noch auf dem Wege nach Hause war, fühlte sie, wie sie<lb/>
sich bewegten, und als, sie dieselben vor der Thür hinstellte, wurden sie ganz<lb/>
lebendig, und ihr Bruder stand unverletzt vor ihr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_593" next="#ID_594"> Man sagte von Jginarasugsuk, daß er seine Weiber immer nach kurzer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] dessen in das Haupthaus, was es mehrmals wiederholte, und wobei es jedes Mal etwas länger im Hause blieb. Während der letzten Zwischenzeit flohen die Kinder und gingen weit ins Land hinein, bis sie an ein Haus kamen, wo sie ihre Geschichte erzählten und die Nacht über blieben. Die Schwester aber konnte nicht schlafen, und so hörte sie, wie um Mitternacht jemand sagte: „Was sie uns erzählen, ist nicht wahr, sie haben selber ihre Hausgenossen umgebracht, und das Sicherste wird sein, wenn wir sie morgen früh todt¬ schlagen." Sie weckte darauf, als die Andern eingeschlafen waren, ihre Brüder und flüchtete mit ihnen, bis sie an ein anderes Haus kamen. Hier erging es ihnen ebenso, aber die Schwester nahm hier, bevor sie sich entfernten, einen der Stiefel ihrer Brüder, stieß damit mehrmals gegen die Hausthür und sprach einen Zauber aus, der die Leute drinnen tödtete. Als sie dann weiter gingen, begegneten sie einem Riesen, der die Hälfte eines Rennthiers auf der Schulter trug. Sie sagten ihm, weshalb sie hierher gekommen, und er nahm sie mit nach seinem Hause, dessen Inneres hübsch ausgestattet und an den Wänden mit Rennthierfellen behängen war. Der Riese setzte ihnen trockenes Fleisch zum Essen vor. Als sie damit fertig waren, sagte die Schwester: „Rennthierfleisch ist ein gutes Essen, aber was würde es besser schmecken lassen?" — „Wenn man es mit ein paar hübschen Rebhühnern mischte," sagte einer der Brüder. „Nun so geh flugs und hole einige." So gingen sie, und bald hörten sie Geflatter und fingen eine Menge Hühner. Als sie dabei waren, sie zu verspeisen, sagte die Schwester: „Rebhühner sind wahr¬ haftig ein gutes Essen, aber was würde sie besser schmecken lassen?" — „Wenn man sie mit einigen hübschen Hasen mischte", antwortete einer der Brüder, und sie gingen und holten sich etliche Hasen. So fuhr die Schwester fort, indem sie immer etwas Besseres wollte. Zuletzt sagte sie: „Junge Serdlernaks (ein fabelhafter Vogel) sind außerordentlich wohlschmeckend, aber die großen — oh seid flink, seid flink!" Der Riese aber sagte: „Ich jagte diesen Vogel nie ohne Angst, denn wenn er seine Eier in Lee von jener Landspitze legt und Seehunde fängt, ist er gefährlich." Doch liefen sie alle hinaus, um sich den Serdlernak zu besehen. Als er aber von seinem Felsen nach ihnen schnappte, fürchteten sie sich und zogen sich zurück. Nur der jüngere Bruder blieb stehen und wurde verschlungen. Da rief die Schwester: „Jetzt muß ich mich ein¬ mischen", worauf sie ihren Stiefel auszog und den Vogel damit todtschlug. Sie schnitt ihn dann auf und fand seinen Wanst voll Seehundsknochen, unter denen auch die ihres Bruders waren. Sie las die letztern heraus und nahm sie mit sich. Als sie noch auf dem Wege nach Hause war, fühlte sie, wie sie sich bewegten, und als, sie dieselben vor der Thür hinstellte, wurden sie ganz lebendig, und ihr Bruder stand unverletzt vor ihr. Man sagte von Jginarasugsuk, daß er seine Weiber immer nach kurzer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/174>, abgerufen am 27.07.2024.