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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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unsere Schrift ausführlich nachweist, keineswegs neu, sondern schon vor sieb¬
enhundert Jahren unternahm es Celsus, der geistesmächtige Bekämpfer des
Christenthums, auf Grund einer Höherstellung der Thiere die in der alten
Kirche herrschende Ansicht, daß der Mensch Zweck der Schöpfung sei, zu be¬
freiten. In dem "Wahren Worte" jenes heidnischen Philosophen treffen wir
bisweilen Argumente an, welche die Vertreter des Darwinismus auch heute
noch verwerthen, und die damals gleichfalls großes Aufsehen machten. Nun
begegnen wir, wenn wir die von Origenes gegen Celsus ins Feld geführten
Argumente betrachten, der merkwürdigen Thatsache, daß das, womit dieser
seine Theorie stützt, von jenem im Interesse seiner Anschauung geltend gemacht
wird, daß das, worin Celsus einen Beweis für die naturalistische Auffassung
erblickt, Origenes als Material zu Stützung seiner ideologischen Ansicht dient,
und daß letzterer triumphirend von seinem Gegner ausruft: Je mehr er die
unvernünftigen Thiere lobt, um so mehr preist er das Werk der Alles treff¬
lich einrichtenden göttlichen Vernunft, und desto mehr erweist er die Geschick-
lichkeit des Menschen, welche die Gaben, die den Thieren von der Natur ver¬
gehen sind, zu immer größerer Vollkommenheit bringen kann. Diese Verwerthung
der gleichen Thatsachen in entgegengesetzter Weise ist aber leicht zu erklären.
Die Betrachtung der Natur liefert uns einzelne Erscheinungen, welche wir
wie einander zu verknüpfen und auf ein einheitliches Princip zurückzuführen
versuchen. Zunächst sucht die Naturwissenschaft die Gesetze, nach denen die
verschiedenen Erscheinungen auf einander folgen, und bemüht sich dann, aus
diesen Gesetzen eine Theorie zu gewinnen, mit der sie alle Vorgänge in der
Natur erklärt. Da aber die inductive Methode stets an dem Mangel leidet,
daß die Beobachtung doch nur einen Theil und zwar einen verhältnißmäßig
sehr kleinen Theil, nie aber die Gesammtheit der Erscheinungen umfassen kann,
so läuft jede rein inductive Forschung Gefahr, sich der Einseitigkeit schuldig
Zu machen und Thatsachen, welche der aufgestellten Theorie widersprechen, un¬
beachtet zu lassen. Die Erklärung solcher Thatsachen erfordert ein neues
Princip, welches aber die andern schon bekannten Erscheinungen gleichermaßen
berücksichtigen und aus sich erläutern muß, und so müssen sich eben dieselben
Thatsachen auch den verschiedenen Standpunkten anbequemen. So aber sehen
wir uns genöthigt, auf ein höheres Princip zurückzugreifen -- wir appelliren
von Celsus und Darwin und ebenso von Origines und andern Theologen an
die Philosophie. Der hier in Rede stehende Cardinalpunkt jeder Naturbe¬
trachtung ist durch die Naturwissenschaft als solche nicht zu entscheiden; denn
Zwecke sind freilich in der Natur physikalisch nicht nachzuweisen, aber ebenso
Wenig läßt sich auf diesem Wege darthun, daß es in der Natur keine Zwecke
giebt. Andrerseits aber darf auch die Theologie nicht glauben, dieses Räthsel
wissenschaftlich zu lösen; denn sie hat ja den Begriff eines zweckmäßig


unsere Schrift ausführlich nachweist, keineswegs neu, sondern schon vor sieb¬
enhundert Jahren unternahm es Celsus, der geistesmächtige Bekämpfer des
Christenthums, auf Grund einer Höherstellung der Thiere die in der alten
Kirche herrschende Ansicht, daß der Mensch Zweck der Schöpfung sei, zu be¬
freiten. In dem „Wahren Worte" jenes heidnischen Philosophen treffen wir
bisweilen Argumente an, welche die Vertreter des Darwinismus auch heute
noch verwerthen, und die damals gleichfalls großes Aufsehen machten. Nun
begegnen wir, wenn wir die von Origenes gegen Celsus ins Feld geführten
Argumente betrachten, der merkwürdigen Thatsache, daß das, womit dieser
seine Theorie stützt, von jenem im Interesse seiner Anschauung geltend gemacht
wird, daß das, worin Celsus einen Beweis für die naturalistische Auffassung
erblickt, Origenes als Material zu Stützung seiner ideologischen Ansicht dient,
und daß letzterer triumphirend von seinem Gegner ausruft: Je mehr er die
unvernünftigen Thiere lobt, um so mehr preist er das Werk der Alles treff¬
lich einrichtenden göttlichen Vernunft, und desto mehr erweist er die Geschick-
lichkeit des Menschen, welche die Gaben, die den Thieren von der Natur ver¬
gehen sind, zu immer größerer Vollkommenheit bringen kann. Diese Verwerthung
der gleichen Thatsachen in entgegengesetzter Weise ist aber leicht zu erklären.
Die Betrachtung der Natur liefert uns einzelne Erscheinungen, welche wir
wie einander zu verknüpfen und auf ein einheitliches Princip zurückzuführen
versuchen. Zunächst sucht die Naturwissenschaft die Gesetze, nach denen die
verschiedenen Erscheinungen auf einander folgen, und bemüht sich dann, aus
diesen Gesetzen eine Theorie zu gewinnen, mit der sie alle Vorgänge in der
Natur erklärt. Da aber die inductive Methode stets an dem Mangel leidet,
daß die Beobachtung doch nur einen Theil und zwar einen verhältnißmäßig
sehr kleinen Theil, nie aber die Gesammtheit der Erscheinungen umfassen kann,
so läuft jede rein inductive Forschung Gefahr, sich der Einseitigkeit schuldig
Zu machen und Thatsachen, welche der aufgestellten Theorie widersprechen, un¬
beachtet zu lassen. Die Erklärung solcher Thatsachen erfordert ein neues
Princip, welches aber die andern schon bekannten Erscheinungen gleichermaßen
berücksichtigen und aus sich erläutern muß, und so müssen sich eben dieselben
Thatsachen auch den verschiedenen Standpunkten anbequemen. So aber sehen
wir uns genöthigt, auf ein höheres Princip zurückzugreifen — wir appelliren
von Celsus und Darwin und ebenso von Origines und andern Theologen an
die Philosophie. Der hier in Rede stehende Cardinalpunkt jeder Naturbe¬
trachtung ist durch die Naturwissenschaft als solche nicht zu entscheiden; denn
Zwecke sind freilich in der Natur physikalisch nicht nachzuweisen, aber ebenso
Wenig läßt sich auf diesem Wege darthun, daß es in der Natur keine Zwecke
giebt. Andrerseits aber darf auch die Theologie nicht glauben, dieses Räthsel
wissenschaftlich zu lösen; denn sie hat ja den Begriff eines zweckmäßig


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[0163] unsere Schrift ausführlich nachweist, keineswegs neu, sondern schon vor sieb¬ enhundert Jahren unternahm es Celsus, der geistesmächtige Bekämpfer des Christenthums, auf Grund einer Höherstellung der Thiere die in der alten Kirche herrschende Ansicht, daß der Mensch Zweck der Schöpfung sei, zu be¬ freiten. In dem „Wahren Worte" jenes heidnischen Philosophen treffen wir bisweilen Argumente an, welche die Vertreter des Darwinismus auch heute noch verwerthen, und die damals gleichfalls großes Aufsehen machten. Nun begegnen wir, wenn wir die von Origenes gegen Celsus ins Feld geführten Argumente betrachten, der merkwürdigen Thatsache, daß das, womit dieser seine Theorie stützt, von jenem im Interesse seiner Anschauung geltend gemacht wird, daß das, worin Celsus einen Beweis für die naturalistische Auffassung erblickt, Origenes als Material zu Stützung seiner ideologischen Ansicht dient, und daß letzterer triumphirend von seinem Gegner ausruft: Je mehr er die unvernünftigen Thiere lobt, um so mehr preist er das Werk der Alles treff¬ lich einrichtenden göttlichen Vernunft, und desto mehr erweist er die Geschick- lichkeit des Menschen, welche die Gaben, die den Thieren von der Natur ver¬ gehen sind, zu immer größerer Vollkommenheit bringen kann. Diese Verwerthung der gleichen Thatsachen in entgegengesetzter Weise ist aber leicht zu erklären. Die Betrachtung der Natur liefert uns einzelne Erscheinungen, welche wir wie einander zu verknüpfen und auf ein einheitliches Princip zurückzuführen versuchen. Zunächst sucht die Naturwissenschaft die Gesetze, nach denen die verschiedenen Erscheinungen auf einander folgen, und bemüht sich dann, aus diesen Gesetzen eine Theorie zu gewinnen, mit der sie alle Vorgänge in der Natur erklärt. Da aber die inductive Methode stets an dem Mangel leidet, daß die Beobachtung doch nur einen Theil und zwar einen verhältnißmäßig sehr kleinen Theil, nie aber die Gesammtheit der Erscheinungen umfassen kann, so läuft jede rein inductive Forschung Gefahr, sich der Einseitigkeit schuldig Zu machen und Thatsachen, welche der aufgestellten Theorie widersprechen, un¬ beachtet zu lassen. Die Erklärung solcher Thatsachen erfordert ein neues Princip, welches aber die andern schon bekannten Erscheinungen gleichermaßen berücksichtigen und aus sich erläutern muß, und so müssen sich eben dieselben Thatsachen auch den verschiedenen Standpunkten anbequemen. So aber sehen wir uns genöthigt, auf ein höheres Princip zurückzugreifen — wir appelliren von Celsus und Darwin und ebenso von Origines und andern Theologen an die Philosophie. Der hier in Rede stehende Cardinalpunkt jeder Naturbe¬ trachtung ist durch die Naturwissenschaft als solche nicht zu entscheiden; denn Zwecke sind freilich in der Natur physikalisch nicht nachzuweisen, aber ebenso Wenig läßt sich auf diesem Wege darthun, daß es in der Natur keine Zwecke giebt. Andrerseits aber darf auch die Theologie nicht glauben, dieses Räthsel wissenschaftlich zu lösen; denn sie hat ja den Begriff eines zweckmäßig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/163>, abgerufen am 27.07.2024.