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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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liebes Resultat angelegt ist, oder nicht, hat die denkende Menschheit schon im
Alterthum beschäftigt, und zwar wurde sie von Socrates in der Weise bejaht,
daß er ziemlich oberflächlich den Zweck der Natur im Wohlsein des Menschen
erblickte. In großartigerer Weise führte Aristoteles den Nachweis, daß der
Mensch der letzte Zweck der Natur und die Ursache der Schöpfung sei. Bei
den Stoikern trat wieder jene äußere Zweckbeziehung auf, nach welcher "die
Pflanzen zur Nahrung der Thiere, die Thiere zur Nahrung und zum Dienste
des Menschen, die ganze Welt um der Menschen und der Götter willen da
ist." Im alten Testamente begegnet uns die Ansicht, daß der Mensch Zweck
der Schöpfung ist, schon in der Genesis und vielfach in den Psalmen, Diese
teleologische Anschauung pflanzte sich auch im neuen Testamente fort und war
in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche die allein herrschende. Die
Hauprfeindin dieser Betrachtungsweise ist nun die Naturforschung, da diese
innerhalb ihres Gebietes nichts von Zwecken, sondern nur von blindwalten¬
den Kräften weiß und kein Streben nach Vollendung, sondern nur eine Ver¬
kettung von Ursache und Wirkung kennt. Gegen die Lehre von einer imma¬
nenten Zweckmäßigkeit vermögen die Naturforscher nichts; wohl aber wird
jener niederen teleologischen Anschauung durch die exacten Wissenschaften immer
mehr der Boden entzogen. Den ersten Stoß erhielt sie durch den Sieg des
copernikanischen Systems. Denn wenn bewiesen war, daß die Erde nicht der
Punkt war, um den die ganze übrige Welt mit ihren Sternen sich drehte,
daß sie vielmehr nur ein kleiner Planet war, der sich um die Sonne bewegte,
welche selbst wieder nur als ein Glied anderer ungeheurer Weltsysteme aufge¬
faßt werden mußte, so war schlechterdings nicht zu begreifen, warum Alles
um der Bewohner jenes verhältnißmäßig nur unbedeutenden Planeten willen
geschaffen sein sollte, und warum nicht vielmehr der Zweck der Welt in den
Bewohnern des mittelsten und größten aller Himmelskörper zu suchen wäre.
Ein anderer gefährlicher Angriff auf jene teleologische Betrachtungsweise
basirte sich darauf, daß die neuere Naturforschung die Ueberlegenheit des
Menschen über die Thierwelt sehr eingeschränkt hat. In den letzten Jahren
hat namentlich der Darwinismus den Nachweis zu führen versucht, daß der
Mensch sich im Kampfe um das Dasein aus dem Thierreiche entwickelt habe,
daß also in den Thieren potentiell die Kräfte des Menschen liegen. Gelänge
es, diese Hypothese (mehr ist sie bis jetzt noch nicht) zu wissenschaftlicher Evi¬
denz zu bringen, so würde die Erhabenheit des Menschen über die Thiere
nur noch eine sehr relative sein, und wenn der Kampf um das Dasein zum
ausschließlichen Prinzip der Naturerklärung gemacht wird, ist eine Erschaffung
aller Dinge um des Menschen willen selbstverständlich beseitigt.

Der Gedanke aber, mittelst einer möglichst großen Gleichstellung der
Thiere mit dem Menschen die populäre Teleologie zu widerlegen, ist, wie

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liebes Resultat angelegt ist, oder nicht, hat die denkende Menschheit schon im
Alterthum beschäftigt, und zwar wurde sie von Socrates in der Weise bejaht,
daß er ziemlich oberflächlich den Zweck der Natur im Wohlsein des Menschen
erblickte. In großartigerer Weise führte Aristoteles den Nachweis, daß der
Mensch der letzte Zweck der Natur und die Ursache der Schöpfung sei. Bei
den Stoikern trat wieder jene äußere Zweckbeziehung auf, nach welcher „die
Pflanzen zur Nahrung der Thiere, die Thiere zur Nahrung und zum Dienste
des Menschen, die ganze Welt um der Menschen und der Götter willen da
ist." Im alten Testamente begegnet uns die Ansicht, daß der Mensch Zweck
der Schöpfung ist, schon in der Genesis und vielfach in den Psalmen, Diese
teleologische Anschauung pflanzte sich auch im neuen Testamente fort und war
in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche die allein herrschende. Die
Hauprfeindin dieser Betrachtungsweise ist nun die Naturforschung, da diese
innerhalb ihres Gebietes nichts von Zwecken, sondern nur von blindwalten¬
den Kräften weiß und kein Streben nach Vollendung, sondern nur eine Ver¬
kettung von Ursache und Wirkung kennt. Gegen die Lehre von einer imma¬
nenten Zweckmäßigkeit vermögen die Naturforscher nichts; wohl aber wird
jener niederen teleologischen Anschauung durch die exacten Wissenschaften immer
mehr der Boden entzogen. Den ersten Stoß erhielt sie durch den Sieg des
copernikanischen Systems. Denn wenn bewiesen war, daß die Erde nicht der
Punkt war, um den die ganze übrige Welt mit ihren Sternen sich drehte,
daß sie vielmehr nur ein kleiner Planet war, der sich um die Sonne bewegte,
welche selbst wieder nur als ein Glied anderer ungeheurer Weltsysteme aufge¬
faßt werden mußte, so war schlechterdings nicht zu begreifen, warum Alles
um der Bewohner jenes verhältnißmäßig nur unbedeutenden Planeten willen
geschaffen sein sollte, und warum nicht vielmehr der Zweck der Welt in den
Bewohnern des mittelsten und größten aller Himmelskörper zu suchen wäre.
Ein anderer gefährlicher Angriff auf jene teleologische Betrachtungsweise
basirte sich darauf, daß die neuere Naturforschung die Ueberlegenheit des
Menschen über die Thierwelt sehr eingeschränkt hat. In den letzten Jahren
hat namentlich der Darwinismus den Nachweis zu führen versucht, daß der
Mensch sich im Kampfe um das Dasein aus dem Thierreiche entwickelt habe,
daß also in den Thieren potentiell die Kräfte des Menschen liegen. Gelänge
es, diese Hypothese (mehr ist sie bis jetzt noch nicht) zu wissenschaftlicher Evi¬
denz zu bringen, so würde die Erhabenheit des Menschen über die Thiere
nur noch eine sehr relative sein, und wenn der Kampf um das Dasein zum
ausschließlichen Prinzip der Naturerklärung gemacht wird, ist eine Erschaffung
aller Dinge um des Menschen willen selbstverständlich beseitigt.

Der Gedanke aber, mittelst einer möglichst großen Gleichstellung der
Thiere mit dem Menschen die populäre Teleologie zu widerlegen, ist, wie

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[0162] liebes Resultat angelegt ist, oder nicht, hat die denkende Menschheit schon im Alterthum beschäftigt, und zwar wurde sie von Socrates in der Weise bejaht, daß er ziemlich oberflächlich den Zweck der Natur im Wohlsein des Menschen erblickte. In großartigerer Weise führte Aristoteles den Nachweis, daß der Mensch der letzte Zweck der Natur und die Ursache der Schöpfung sei. Bei den Stoikern trat wieder jene äußere Zweckbeziehung auf, nach welcher „die Pflanzen zur Nahrung der Thiere, die Thiere zur Nahrung und zum Dienste des Menschen, die ganze Welt um der Menschen und der Götter willen da ist." Im alten Testamente begegnet uns die Ansicht, daß der Mensch Zweck der Schöpfung ist, schon in der Genesis und vielfach in den Psalmen, Diese teleologische Anschauung pflanzte sich auch im neuen Testamente fort und war in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche die allein herrschende. Die Hauprfeindin dieser Betrachtungsweise ist nun die Naturforschung, da diese innerhalb ihres Gebietes nichts von Zwecken, sondern nur von blindwalten¬ den Kräften weiß und kein Streben nach Vollendung, sondern nur eine Ver¬ kettung von Ursache und Wirkung kennt. Gegen die Lehre von einer imma¬ nenten Zweckmäßigkeit vermögen die Naturforscher nichts; wohl aber wird jener niederen teleologischen Anschauung durch die exacten Wissenschaften immer mehr der Boden entzogen. Den ersten Stoß erhielt sie durch den Sieg des copernikanischen Systems. Denn wenn bewiesen war, daß die Erde nicht der Punkt war, um den die ganze übrige Welt mit ihren Sternen sich drehte, daß sie vielmehr nur ein kleiner Planet war, der sich um die Sonne bewegte, welche selbst wieder nur als ein Glied anderer ungeheurer Weltsysteme aufge¬ faßt werden mußte, so war schlechterdings nicht zu begreifen, warum Alles um der Bewohner jenes verhältnißmäßig nur unbedeutenden Planeten willen geschaffen sein sollte, und warum nicht vielmehr der Zweck der Welt in den Bewohnern des mittelsten und größten aller Himmelskörper zu suchen wäre. Ein anderer gefährlicher Angriff auf jene teleologische Betrachtungsweise basirte sich darauf, daß die neuere Naturforschung die Ueberlegenheit des Menschen über die Thierwelt sehr eingeschränkt hat. In den letzten Jahren hat namentlich der Darwinismus den Nachweis zu führen versucht, daß der Mensch sich im Kampfe um das Dasein aus dem Thierreiche entwickelt habe, daß also in den Thieren potentiell die Kräfte des Menschen liegen. Gelänge es, diese Hypothese (mehr ist sie bis jetzt noch nicht) zu wissenschaftlicher Evi¬ denz zu bringen, so würde die Erhabenheit des Menschen über die Thiere nur noch eine sehr relative sein, und wenn der Kampf um das Dasein zum ausschließlichen Prinzip der Naturerklärung gemacht wird, ist eine Erschaffung aller Dinge um des Menschen willen selbstverständlich beseitigt. Der Gedanke aber, mittelst einer möglichst großen Gleichstellung der Thiere mit dem Menschen die populäre Teleologie zu widerlegen, ist, wie >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/162>, abgerufen am 27.07.2024.