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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Heere unter Lord Bentinck und noch mehr durch eine gewaltige Kriegsflotte
unter Nelson gegen eine Landung der Franzosen.

Zu jener Zeit existirte auf der Insel eine sehr zahlreiche Klasse bewaff¬
neter Hintersassen, Diener oder Vasallen, welche der Feudaladel, die Geistlich¬
keit und andere Grundeigenthümer zum Schutz ihrer Person und ihres Besitz¬
standes verwendeten. Diese von Manzoni in seinem Roman "die Verlobten"
so trefflich geschilderte Menschenklasse, welche mit dem Fortschreiten der Ge-
sittung im übrigen Italien verschwunden war, erhielt sich in Sieilten bis zur
Mitte des vorigen Jahrhunderts völlig unverändert. Sie beschützte die
Schlösser und Güter ihrer Herren, aber unter der Bedingung, daß diese ihrer¬
seits ihr Schutz gewähre, wenn die öffentliche Behörde wegen Missethaten,
Ueberschreitung ihrer Befugniß oder anderer Verbrechen gegen sie einzuschreiten
im Begriff wäre. Solche Verbrechen kamen sehr häufig vor, und sie wurden
oft für eigne Rechnung dieser Leute, ebenso oft aber auch für Rechnung ihrer
Herren verübt. Die letzteren bedienten sich dann zu Gunsten der bedrohten
Vasallen ihrer feudalen Rechte, Privilegien und Richterbefugnisse oder der
Immunitäten der Kirchen und Klöster.

Während nun der König von Neapel unter dem Schutze Englands auf
Sicilien residirte, verlieh er auf den Rath, oder auf den ausdrücklichen Befehl
Englands dem Lande eine Verfassung, welche ein Abklatsch der englischen war,
und rief ein Parlament zusammen, unter dessen ersten Beschlüssen sich die Auf¬
hebung der sämmtlichen Feudalrechte befand.

So wurden den feudalen Herren weltlichen und geistlichen Standes alle
Rechte genommen, welche sie auf die Dienste ihrer Vasallen bisher besessen
hatten, und so sahen sich dieselben genöthigt, ihre bewaffneten Diener zu
entlassen. Die Folge war. daß diese wilden Gesellen, die von Natur aus zu
allerlei Gewaltthaten und rücksichtslosem Blutvergießen geneigt waren, fast
Mann für Mann zu Räubern wurden. Die bourbonische Regierung, aus¬
schließlich auf den politischen Besitz der Insel als eines Trtttbretes zum
Wiederbesteigen des Thrones von Neapel bedacht und bei allen Verschwörungen
der alten Monarchie gegen Frankreich und Napoleon betheiligt, hatte weder
die Zeit, noch den Wunsch, noch das Geld, welche zur Unterdrückung dieser
gesetzverachtenden Schurken erforderlich waren. Aber um wenigstens eine ge¬
wisse Sicherheit herzustellen, nahm sie ihre Zuflucht zu einem sehr unge¬
wöhnlichen Auskunftsmittel, welches darin bestand, daß sie die Hauptleute
dieser selben Räuber in ihre Dienste nahm, die Banditen unter dem Namen
"Compagnie Ä'g.rmi" zu einer förmlichen Landpolizei oder Gendarmerie or-
ganisirte und sie mit der Handhabung der Sicherheitsmaßregeln im Innern
der Insel beauftragte. Der Teufel sollte durch den Teufel ausgetrieben


Heere unter Lord Bentinck und noch mehr durch eine gewaltige Kriegsflotte
unter Nelson gegen eine Landung der Franzosen.

Zu jener Zeit existirte auf der Insel eine sehr zahlreiche Klasse bewaff¬
neter Hintersassen, Diener oder Vasallen, welche der Feudaladel, die Geistlich¬
keit und andere Grundeigenthümer zum Schutz ihrer Person und ihres Besitz¬
standes verwendeten. Diese von Manzoni in seinem Roman „die Verlobten"
so trefflich geschilderte Menschenklasse, welche mit dem Fortschreiten der Ge-
sittung im übrigen Italien verschwunden war, erhielt sich in Sieilten bis zur
Mitte des vorigen Jahrhunderts völlig unverändert. Sie beschützte die
Schlösser und Güter ihrer Herren, aber unter der Bedingung, daß diese ihrer¬
seits ihr Schutz gewähre, wenn die öffentliche Behörde wegen Missethaten,
Ueberschreitung ihrer Befugniß oder anderer Verbrechen gegen sie einzuschreiten
im Begriff wäre. Solche Verbrechen kamen sehr häufig vor, und sie wurden
oft für eigne Rechnung dieser Leute, ebenso oft aber auch für Rechnung ihrer
Herren verübt. Die letzteren bedienten sich dann zu Gunsten der bedrohten
Vasallen ihrer feudalen Rechte, Privilegien und Richterbefugnisse oder der
Immunitäten der Kirchen und Klöster.

Während nun der König von Neapel unter dem Schutze Englands auf
Sicilien residirte, verlieh er auf den Rath, oder auf den ausdrücklichen Befehl
Englands dem Lande eine Verfassung, welche ein Abklatsch der englischen war,
und rief ein Parlament zusammen, unter dessen ersten Beschlüssen sich die Auf¬
hebung der sämmtlichen Feudalrechte befand.

So wurden den feudalen Herren weltlichen und geistlichen Standes alle
Rechte genommen, welche sie auf die Dienste ihrer Vasallen bisher besessen
hatten, und so sahen sich dieselben genöthigt, ihre bewaffneten Diener zu
entlassen. Die Folge war. daß diese wilden Gesellen, die von Natur aus zu
allerlei Gewaltthaten und rücksichtslosem Blutvergießen geneigt waren, fast
Mann für Mann zu Räubern wurden. Die bourbonische Regierung, aus¬
schließlich auf den politischen Besitz der Insel als eines Trtttbretes zum
Wiederbesteigen des Thrones von Neapel bedacht und bei allen Verschwörungen
der alten Monarchie gegen Frankreich und Napoleon betheiligt, hatte weder
die Zeit, noch den Wunsch, noch das Geld, welche zur Unterdrückung dieser
gesetzverachtenden Schurken erforderlich waren. Aber um wenigstens eine ge¬
wisse Sicherheit herzustellen, nahm sie ihre Zuflucht zu einem sehr unge¬
wöhnlichen Auskunftsmittel, welches darin bestand, daß sie die Hauptleute
dieser selben Räuber in ihre Dienste nahm, die Banditen unter dem Namen
„Compagnie Ä'g.rmi" zu einer förmlichen Landpolizei oder Gendarmerie or-
ganisirte und sie mit der Handhabung der Sicherheitsmaßregeln im Innern
der Insel beauftragte. Der Teufel sollte durch den Teufel ausgetrieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/16>, abgerufen am 27.11.2024.