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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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zu Grunde. Die Häuptlinge sammeln, wenn sie sich vorgenommen haben,
einen Reisenden zu überfallen und auszuplündern oder einen reichen Guts-
besitzer aus seinem Hause wegzuführen, um ihm ein Lösegeld abzupressen, eine
zur Ausführung der ins Auge gefaßten Operation genügende Anzahl ihrer
Getreuen, und sobald die That geschehen ist, geht die Gesellschaft auseinander,
und die Theilnehmer an derselben widmen sich wieder ihren gewöhnlichen Ge¬
schäften in der Stadt und auf dem Felde, als ob sie die rechtschaffensten und
achtbarsten Arbeiter von der Welt wären. Wegelagerer vom Handwerk, be¬
rufsmäßige Buschklepper, die nur von Raub und Diebstahl leben, sind die
Mafiust nicht. Im Gegentheile, sie traten wiederholt als Beschützer der von
solchen Uebelthätern Bedrohten auf. Sie erheben von dem wohlhabenden
Theile der Bevölkerung einen gewissen Tribut, der ihnen seit unvordenklichen
Zeiten willig gewährt wurde und noch heute gewährt wird, da er eigentlich
nur ein Schutzgeld darstellt. Denn dafür verbürgt die Mafia den Besteuerten
ihr Leben und ihr Hab und Gut, und sie versteht sie darin besser zu schützen,
als dies bisher die Regierung verstand.

"Wenn solche unter der Protection der Mafia stehende Personen ihre
Quote bezahlt haben, die in der Regel ihren Verhältnissen angemessen und
man möchte fast sagen nach Grundsätzen der Billigkeit festgestellt ist, so be¬
trachten es die Mafiusi als Ehrensache, sie in ihren Schutz zu nehmen, und
wehe dem nicht zum Bunde Gehörigen, der sich untersteht, ihre Schützlinge
zu berauben oder auch nur zu belästigen. Die Mafiusi betrachten ein solches
Verfahren als eine ihnen selbst angethane Beleidigung, und ihre Vendetta
erreicht dann ganz sicher binnen Kurzem den Spitzbuben, der in ihrer Provinz
zu plündern gewagt hat. Auf dem Lande haben sie in gewissen Beziehungen
Aehnlichkeit mit jener Menschenklasse in den schottischen Hochlanden, die man
in den Tagen Rob Roy Maegregor's "prete^-neu" nannte, und die ur¬
sprüngliche Ursache ihrer Existenz und Macht ist fast dieselbe wie dort, näm¬
lich Haß gegen das Regiment der Fremden, welches Sicilien in den letzten
beiden Jahrhunderten unterdrückte. In den Städten dagegen gleichen sie
mehr den englischen Iraäss umons.

Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo Sicilien mit Neapel ver¬
eint wurde, und mit demselben das Königreich beider Sicilien bildete, welches
geschaffen wurde, damit der spanische Zweig der Bourbonen noch einen Thron
hätte, hatte die Insel unter der Regierung oder besser Mißregierung von
Vieekönigen gestanden. Nur die wenigen Jahre, wo Frankreich .seine erste
Republik und dann sein erstes Kaiserreich sah, machten hiervon eine Aus-
nahme. Während dieser kurzen Periode suchte der Hof von Neapel, von
Napoleon vertrieben, in Sicilien Zuflucht. England schützte ihn mit einem


zu Grunde. Die Häuptlinge sammeln, wenn sie sich vorgenommen haben,
einen Reisenden zu überfallen und auszuplündern oder einen reichen Guts-
besitzer aus seinem Hause wegzuführen, um ihm ein Lösegeld abzupressen, eine
zur Ausführung der ins Auge gefaßten Operation genügende Anzahl ihrer
Getreuen, und sobald die That geschehen ist, geht die Gesellschaft auseinander,
und die Theilnehmer an derselben widmen sich wieder ihren gewöhnlichen Ge¬
schäften in der Stadt und auf dem Felde, als ob sie die rechtschaffensten und
achtbarsten Arbeiter von der Welt wären. Wegelagerer vom Handwerk, be¬
rufsmäßige Buschklepper, die nur von Raub und Diebstahl leben, sind die
Mafiust nicht. Im Gegentheile, sie traten wiederholt als Beschützer der von
solchen Uebelthätern Bedrohten auf. Sie erheben von dem wohlhabenden
Theile der Bevölkerung einen gewissen Tribut, der ihnen seit unvordenklichen
Zeiten willig gewährt wurde und noch heute gewährt wird, da er eigentlich
nur ein Schutzgeld darstellt. Denn dafür verbürgt die Mafia den Besteuerten
ihr Leben und ihr Hab und Gut, und sie versteht sie darin besser zu schützen,
als dies bisher die Regierung verstand.

„Wenn solche unter der Protection der Mafia stehende Personen ihre
Quote bezahlt haben, die in der Regel ihren Verhältnissen angemessen und
man möchte fast sagen nach Grundsätzen der Billigkeit festgestellt ist, so be¬
trachten es die Mafiusi als Ehrensache, sie in ihren Schutz zu nehmen, und
wehe dem nicht zum Bunde Gehörigen, der sich untersteht, ihre Schützlinge
zu berauben oder auch nur zu belästigen. Die Mafiusi betrachten ein solches
Verfahren als eine ihnen selbst angethane Beleidigung, und ihre Vendetta
erreicht dann ganz sicher binnen Kurzem den Spitzbuben, der in ihrer Provinz
zu plündern gewagt hat. Auf dem Lande haben sie in gewissen Beziehungen
Aehnlichkeit mit jener Menschenklasse in den schottischen Hochlanden, die man
in den Tagen Rob Roy Maegregor's „prete^-neu" nannte, und die ur¬
sprüngliche Ursache ihrer Existenz und Macht ist fast dieselbe wie dort, näm¬
lich Haß gegen das Regiment der Fremden, welches Sicilien in den letzten
beiden Jahrhunderten unterdrückte. In den Städten dagegen gleichen sie
mehr den englischen Iraäss umons.

Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo Sicilien mit Neapel ver¬
eint wurde, und mit demselben das Königreich beider Sicilien bildete, welches
geschaffen wurde, damit der spanische Zweig der Bourbonen noch einen Thron
hätte, hatte die Insel unter der Regierung oder besser Mißregierung von
Vieekönigen gestanden. Nur die wenigen Jahre, wo Frankreich .seine erste
Republik und dann sein erstes Kaiserreich sah, machten hiervon eine Aus-
nahme. Während dieser kurzen Periode suchte der Hof von Neapel, von
Napoleon vertrieben, in Sicilien Zuflucht. England schützte ihn mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/15>, abgerufen am 27.11.2024.