Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Das Zerwürfniß wurde immer größer. Estrup wies einen die Ministerver¬ Vorläufig ist nicht abzusehen, wie dieser für das Ausland in mehrfacher things ging von anderen Unterstellungen über die Gefahren aus und schlug
daher Verweigerung des Landheeres sowie Vermehrung der schwimmenden Forts vor; dazu wollte er sogar mehr Geld verwilligen, als die Regierung verlangte, aber es sollte nur von den Wohlhabenden durch eine neue Einkommensteuer aufgebracht werden. Zuvörderst aber wollte er Aufschluß über die Beziehun¬ gen zum Auslande haben. Das Alles sagte der Regierung nicht zu; sie schlug nun Befestigungen auf den Inseln vor und lehnte die Steuer ab. Das Folkething beharrte aber auf seinem Plane; das Ministerium trat zu¬ rück und am 14. Juli 1873 ergriff Estrup das Ruder. Dieser suchte mit größerer Entschiedenheit das Ansehen der Regierung zu wahren und kündigte am 29. Nov. dem Reichstage an, die Regierung wolle mit allen Kräften die Landesvertheidigungsreform durchführen. Die von der Commission des Folke- lhings hierfür wieder vorgeschlagene Bedingung jener neuen Steuer lehnte Estrup mit dem Hinweis ab. daß die vorhandenen Mittel völlig ausreichten. Das Folkething erklärte dann am 8. Febr. d. I. den ganzen Vertheidigungs¬ plan der Regierung für verfehlt, weil er mehr Opfer an Menschen und Geld erheische, als das Land ertragen könne. Mit allen vorhandenen Mitteln ließe sich doch nur ein kleiner Landestheil vertheidigen. Das Hauptgewicht möge auf die Flotte gelegt werden. Ansichten über bestimmte Gefahren würden nur selten öffentlich ausgesprochen; Andrä erklärte z. B. im Landsthing, am wahrscheinlichsten sei Dänemarks Theilung zwischen Deutschland und Schweden. Das Zerwürfniß wurde immer größer. Estrup wies einen die Ministerver¬ Vorläufig ist nicht abzusehen, wie dieser für das Ausland in mehrfacher things ging von anderen Unterstellungen über die Gefahren aus und schlug
daher Verweigerung des Landheeres sowie Vermehrung der schwimmenden Forts vor; dazu wollte er sogar mehr Geld verwilligen, als die Regierung verlangte, aber es sollte nur von den Wohlhabenden durch eine neue Einkommensteuer aufgebracht werden. Zuvörderst aber wollte er Aufschluß über die Beziehun¬ gen zum Auslande haben. Das Alles sagte der Regierung nicht zu; sie schlug nun Befestigungen auf den Inseln vor und lehnte die Steuer ab. Das Folkething beharrte aber auf seinem Plane; das Ministerium trat zu¬ rück und am 14. Juli 1873 ergriff Estrup das Ruder. Dieser suchte mit größerer Entschiedenheit das Ansehen der Regierung zu wahren und kündigte am 29. Nov. dem Reichstage an, die Regierung wolle mit allen Kräften die Landesvertheidigungsreform durchführen. Die von der Commission des Folke- lhings hierfür wieder vorgeschlagene Bedingung jener neuen Steuer lehnte Estrup mit dem Hinweis ab. daß die vorhandenen Mittel völlig ausreichten. Das Folkething erklärte dann am 8. Febr. d. I. den ganzen Vertheidigungs¬ plan der Regierung für verfehlt, weil er mehr Opfer an Menschen und Geld erheische, als das Land ertragen könne. Mit allen vorhandenen Mitteln ließe sich doch nur ein kleiner Landestheil vertheidigen. Das Hauptgewicht möge auf die Flotte gelegt werden. Ansichten über bestimmte Gefahren würden nur selten öffentlich ausgesprochen; Andrä erklärte z. B. im Landsthing, am wahrscheinlichsten sei Dänemarks Theilung zwischen Deutschland und Schweden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135732"/> <note xml:id="FID_40" place="foot"> things ging von anderen Unterstellungen über die Gefahren aus und schlug<lb/> daher Verweigerung des Landheeres sowie Vermehrung der schwimmenden Forts<lb/> vor; dazu wollte er sogar mehr Geld verwilligen, als die Regierung verlangte,<lb/> aber es sollte nur von den Wohlhabenden durch eine neue Einkommensteuer<lb/> aufgebracht werden. Zuvörderst aber wollte er Aufschluß über die Beziehun¬<lb/> gen zum Auslande haben. Das Alles sagte der Regierung nicht zu; sie<lb/> schlug nun Befestigungen auf den Inseln vor und lehnte die Steuer ab.<lb/> Das Folkething beharrte aber auf seinem Plane; das Ministerium trat zu¬<lb/> rück und am 14. Juli 1873 ergriff Estrup das Ruder. Dieser suchte mit<lb/> größerer Entschiedenheit das Ansehen der Regierung zu wahren und kündigte<lb/> am 29. Nov. dem Reichstage an, die Regierung wolle mit allen Kräften die<lb/> Landesvertheidigungsreform durchführen. Die von der Commission des Folke-<lb/> lhings hierfür wieder vorgeschlagene Bedingung jener neuen Steuer lehnte<lb/> Estrup mit dem Hinweis ab. daß die vorhandenen Mittel völlig ausreichten.<lb/> Das Folkething erklärte dann am 8. Febr. d. I. den ganzen Vertheidigungs¬<lb/> plan der Regierung für verfehlt, weil er mehr Opfer an Menschen und Geld<lb/> erheische, als das Land ertragen könne. Mit allen vorhandenen Mitteln ließe<lb/> sich doch nur ein kleiner Landestheil vertheidigen. Das Hauptgewicht möge auf<lb/> die Flotte gelegt werden. Ansichten über bestimmte Gefahren würden nur<lb/> selten öffentlich ausgesprochen; Andrä erklärte z. B. im Landsthing, am<lb/> wahrscheinlichsten sei Dänemarks Theilung zwischen Deutschland und Schweden.</note><lb/> <p xml:id="ID_524"> Das Zerwürfniß wurde immer größer. Estrup wies einen die Ministerver¬<lb/> antwortlichkeit betreffenden Gesetzentwurf des Folkethings schroff ab und dieses<lb/> versagte die Zustimmung der Regierungsvorlagen wegen Zollerleichterungen und<lb/> wegen der Kosten für neue Feldgeschütze an Stelle der gänzlich unbrauchbar ge¬<lb/> wordenen. Den Entwurf wegen der Heeresorganisatton gestaltete das Thing in<lb/> einer Weise um, welche der Kriegsminister zuvor als völlig unzureichend be¬<lb/> zeichnet hatte. So kam es am 29. März zur Auflösung der Volksvertretung.</p><lb/> <p xml:id="ID_525" next="#ID_526"> Vorläufig ist nicht abzusehen, wie dieser für das Ausland in mehrfacher<lb/> Hinsicht interessante Streit enden wird. Tauchte plötzlich eine bestimmte Ge¬<lb/> fahr von Außen auf, so würde man aus den Zweifeln über die beste Art<lb/> der Vertheidigungsmittel erlöst sein, ohne diese noch zu besitzen; andernfalls ist<lb/> der Aufschub unabsehbar, nachdem schon 3 Jahre verflossen sind, ohne daß<lb/> etwas zur Abwehr unternommen wurde. Wäre die Regierung von der be¬<lb/> stimmten Feindschaft einer auswärtigen Macht so fest überzeugt wie die preu¬<lb/> ßische seit den 60er Jahren es von der Frankreichs war, so würde dem jetzigen<lb/> Ministerium ein einseitiges Vorgehen wie einst in Preußen hinsichtlich der<lb/> Armeeorganisation zugetraut werden können; doch auch ohne dies hat ein<lb/> Freund Estrup's, Scavenius, am 10. Febr. d. I. im Folkething angedeutet,<lb/> die Mehrheit müsse durch fortgesetzte Auflösungen gebeugt werden, weil sonst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Das Zerwürfniß wurde immer größer. Estrup wies einen die Ministerver¬
antwortlichkeit betreffenden Gesetzentwurf des Folkethings schroff ab und dieses
versagte die Zustimmung der Regierungsvorlagen wegen Zollerleichterungen und
wegen der Kosten für neue Feldgeschütze an Stelle der gänzlich unbrauchbar ge¬
wordenen. Den Entwurf wegen der Heeresorganisatton gestaltete das Thing in
einer Weise um, welche der Kriegsminister zuvor als völlig unzureichend be¬
zeichnet hatte. So kam es am 29. März zur Auflösung der Volksvertretung.
Vorläufig ist nicht abzusehen, wie dieser für das Ausland in mehrfacher
Hinsicht interessante Streit enden wird. Tauchte plötzlich eine bestimmte Ge¬
fahr von Außen auf, so würde man aus den Zweifeln über die beste Art
der Vertheidigungsmittel erlöst sein, ohne diese noch zu besitzen; andernfalls ist
der Aufschub unabsehbar, nachdem schon 3 Jahre verflossen sind, ohne daß
etwas zur Abwehr unternommen wurde. Wäre die Regierung von der be¬
stimmten Feindschaft einer auswärtigen Macht so fest überzeugt wie die preu¬
ßische seit den 60er Jahren es von der Frankreichs war, so würde dem jetzigen
Ministerium ein einseitiges Vorgehen wie einst in Preußen hinsichtlich der
Armeeorganisation zugetraut werden können; doch auch ohne dies hat ein
Freund Estrup's, Scavenius, am 10. Febr. d. I. im Folkething angedeutet,
die Mehrheit müsse durch fortgesetzte Auflösungen gebeugt werden, weil sonst
things ging von anderen Unterstellungen über die Gefahren aus und schlug
daher Verweigerung des Landheeres sowie Vermehrung der schwimmenden Forts
vor; dazu wollte er sogar mehr Geld verwilligen, als die Regierung verlangte,
aber es sollte nur von den Wohlhabenden durch eine neue Einkommensteuer
aufgebracht werden. Zuvörderst aber wollte er Aufschluß über die Beziehun¬
gen zum Auslande haben. Das Alles sagte der Regierung nicht zu; sie
schlug nun Befestigungen auf den Inseln vor und lehnte die Steuer ab.
Das Folkething beharrte aber auf seinem Plane; das Ministerium trat zu¬
rück und am 14. Juli 1873 ergriff Estrup das Ruder. Dieser suchte mit
größerer Entschiedenheit das Ansehen der Regierung zu wahren und kündigte
am 29. Nov. dem Reichstage an, die Regierung wolle mit allen Kräften die
Landesvertheidigungsreform durchführen. Die von der Commission des Folke-
lhings hierfür wieder vorgeschlagene Bedingung jener neuen Steuer lehnte
Estrup mit dem Hinweis ab. daß die vorhandenen Mittel völlig ausreichten.
Das Folkething erklärte dann am 8. Febr. d. I. den ganzen Vertheidigungs¬
plan der Regierung für verfehlt, weil er mehr Opfer an Menschen und Geld
erheische, als das Land ertragen könne. Mit allen vorhandenen Mitteln ließe
sich doch nur ein kleiner Landestheil vertheidigen. Das Hauptgewicht möge auf
die Flotte gelegt werden. Ansichten über bestimmte Gefahren würden nur
selten öffentlich ausgesprochen; Andrä erklärte z. B. im Landsthing, am
wahrscheinlichsten sei Dänemarks Theilung zwischen Deutschland und Schweden.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |