Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

langung Nordschleswigs zu erhalten, in den Vordergrund aber drängte sich
seit 1871 die Sorge um die Vertheidigung des nun dauernd sehr reducirten
Reichs. Es ist das Eigenthümliche dieser auf dem Gefühl der Schwäche be¬
ruhenden Lage, daH man keinen bestimmten Gegner für künftig fürchtet, son¬
dern eine solche Gestaltung der europäischen Verhältnisse, welche den traditions¬
mäßig befreundeten Mächten grade so wie den zuletzt feindlichen bei Gelegenheit
den Fortbestand des Dänenreichs am Ende gleichgültig erscheinen lassen könnten.

Regierung wie Bevölkerung ist demgemäß seit 6 Jahren unablässig auf
Anstalten zur besseren Landesvertheidigung bedacht, seit ebenso langer Zeit
gehen aber die Ansichten über die Art der letzteren so weit auseinander
wie die über künftig von Außen drohenden Gefahren. Warum es aber
bisher zu nichts hat kommen können, das ist der fortwährende Streit einer
in der Mehrheit der Volksvertretung herrschenden Partei mit der Regierung
um das Ruder des Staates? Das starke Ueberwuchern dieser eine ruhige Ent¬
wicklung hemmenden Partei, unter deren Fittigen sich auch der Socialismus
sehr breit zu machen beginnt, ist eine Folge des Umstandes, daß die Regierung
früher für ihr Verhalten gegen die Herzogthümer eine Stütze in diesen Ele¬
menten suchte. Jetzt kommt die Nemesis: der Staat kann selbst Mit seinen
gegen Außen nöthig erscheinenden Einrichtungen nicht fertig werden, weil er
im Innern tiefkrank ist. Das Faule im Staate Dänemark hat eine Krisis
hervorgerufen, welche vorläufig in den Schicksalen der Landesvertheidigungs¬
frage Ausdruck findet.

Was letztere betrifft, so hatte die Regierung schon 1871 das Militär¬
budget erhöhen wollen, das Folkething ging aber nicht darauf ein. 1872
sprach der König in der Thronrede den Wunsch nach möglichst starker Orga-
nisirung der Vertheidigung aus, die im Jan. 1873 erfolgte Vorlage kam aber
nicht zur Erledigung, weil das Folkething sich in wiederholten Mißtrauens¬
voten abmühte, das Ministerium des Grafen Holstein zu stürzen. Es ging
bis zur Ablehnung des Budgets und wurde aufgelöst, aber das neugewählte
Folkething begann im Dec. 1873 wieder mit einer Mißtrauenserklärung und
setzte gegen den widerstrebenden König den Rücktritt des Ministeriums am
14. Juli 1874 durch. Da aber das neue Ministerium Fonnesbach nicht
aus der Linken genommen war, so trat diese den Vorschlägen desselben mit
Uebelwollen entgegen. Der König sprach in der Thronrede vom Oel. 1874
den Wunsch nach Beseitigung der Zwietracht aus und betonte nochmals die
Reform der Vertheidigung. Während nach obiger Vorlage die Flotte ver¬
mehrt und Befestigungen an verschiedenen Landestheilen errichtet werden sollten,
schlug die Regierung jetzt die Verstärkung der Befestigungen Kopenhagens,
den Bau von Forts an den Belten und eine Marinestation am Agarsösunde
vor, letztere zum Verhindern von Landungs versuchen. Der Ausschuß des Folle-


langung Nordschleswigs zu erhalten, in den Vordergrund aber drängte sich
seit 1871 die Sorge um die Vertheidigung des nun dauernd sehr reducirten
Reichs. Es ist das Eigenthümliche dieser auf dem Gefühl der Schwäche be¬
ruhenden Lage, daH man keinen bestimmten Gegner für künftig fürchtet, son¬
dern eine solche Gestaltung der europäischen Verhältnisse, welche den traditions¬
mäßig befreundeten Mächten grade so wie den zuletzt feindlichen bei Gelegenheit
den Fortbestand des Dänenreichs am Ende gleichgültig erscheinen lassen könnten.

Regierung wie Bevölkerung ist demgemäß seit 6 Jahren unablässig auf
Anstalten zur besseren Landesvertheidigung bedacht, seit ebenso langer Zeit
gehen aber die Ansichten über die Art der letzteren so weit auseinander
wie die über künftig von Außen drohenden Gefahren. Warum es aber
bisher zu nichts hat kommen können, das ist der fortwährende Streit einer
in der Mehrheit der Volksvertretung herrschenden Partei mit der Regierung
um das Ruder des Staates? Das starke Ueberwuchern dieser eine ruhige Ent¬
wicklung hemmenden Partei, unter deren Fittigen sich auch der Socialismus
sehr breit zu machen beginnt, ist eine Folge des Umstandes, daß die Regierung
früher für ihr Verhalten gegen die Herzogthümer eine Stütze in diesen Ele¬
menten suchte. Jetzt kommt die Nemesis: der Staat kann selbst Mit seinen
gegen Außen nöthig erscheinenden Einrichtungen nicht fertig werden, weil er
im Innern tiefkrank ist. Das Faule im Staate Dänemark hat eine Krisis
hervorgerufen, welche vorläufig in den Schicksalen der Landesvertheidigungs¬
frage Ausdruck findet.

Was letztere betrifft, so hatte die Regierung schon 1871 das Militär¬
budget erhöhen wollen, das Folkething ging aber nicht darauf ein. 1872
sprach der König in der Thronrede den Wunsch nach möglichst starker Orga-
nisirung der Vertheidigung aus, die im Jan. 1873 erfolgte Vorlage kam aber
nicht zur Erledigung, weil das Folkething sich in wiederholten Mißtrauens¬
voten abmühte, das Ministerium des Grafen Holstein zu stürzen. Es ging
bis zur Ablehnung des Budgets und wurde aufgelöst, aber das neugewählte
Folkething begann im Dec. 1873 wieder mit einer Mißtrauenserklärung und
setzte gegen den widerstrebenden König den Rücktritt des Ministeriums am
14. Juli 1874 durch. Da aber das neue Ministerium Fonnesbach nicht
aus der Linken genommen war, so trat diese den Vorschlägen desselben mit
Uebelwollen entgegen. Der König sprach in der Thronrede vom Oel. 1874
den Wunsch nach Beseitigung der Zwietracht aus und betonte nochmals die
Reform der Vertheidigung. Während nach obiger Vorlage die Flotte ver¬
mehrt und Befestigungen an verschiedenen Landestheilen errichtet werden sollten,
schlug die Regierung jetzt die Verstärkung der Befestigungen Kopenhagens,
den Bau von Forts an den Belten und eine Marinestation am Agarsösunde
vor, letztere zum Verhindern von Landungs versuchen. Der Ausschuß des Folle-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135731"/>
          <p xml:id="ID_521" prev="#ID_520"> langung Nordschleswigs zu erhalten, in den Vordergrund aber drängte sich<lb/>
seit 1871 die Sorge um die Vertheidigung des nun dauernd sehr reducirten<lb/>
Reichs. Es ist das Eigenthümliche dieser auf dem Gefühl der Schwäche be¬<lb/>
ruhenden Lage, daH man keinen bestimmten Gegner für künftig fürchtet, son¬<lb/>
dern eine solche Gestaltung der europäischen Verhältnisse, welche den traditions¬<lb/>
mäßig befreundeten Mächten grade so wie den zuletzt feindlichen bei Gelegenheit<lb/>
den Fortbestand des Dänenreichs am Ende gleichgültig erscheinen lassen könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_522"> Regierung wie Bevölkerung ist demgemäß seit 6 Jahren unablässig auf<lb/>
Anstalten zur besseren Landesvertheidigung bedacht, seit ebenso langer Zeit<lb/>
gehen aber die Ansichten über die Art der letzteren so weit auseinander<lb/>
wie die über künftig von Außen drohenden Gefahren. Warum es aber<lb/>
bisher zu nichts hat kommen können, das ist der fortwährende Streit einer<lb/>
in der Mehrheit der Volksvertretung herrschenden Partei mit der Regierung<lb/>
um das Ruder des Staates? Das starke Ueberwuchern dieser eine ruhige Ent¬<lb/>
wicklung hemmenden Partei, unter deren Fittigen sich auch der Socialismus<lb/>
sehr breit zu machen beginnt, ist eine Folge des Umstandes, daß die Regierung<lb/>
früher für ihr Verhalten gegen die Herzogthümer eine Stütze in diesen Ele¬<lb/>
menten suchte. Jetzt kommt die Nemesis: der Staat kann selbst Mit seinen<lb/>
gegen Außen nöthig erscheinenden Einrichtungen nicht fertig werden, weil er<lb/>
im Innern tiefkrank ist. Das Faule im Staate Dänemark hat eine Krisis<lb/>
hervorgerufen, welche vorläufig in den Schicksalen der Landesvertheidigungs¬<lb/>
frage Ausdruck findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_523"> Was letztere betrifft, so hatte die Regierung schon 1871 das Militär¬<lb/>
budget erhöhen wollen, das Folkething ging aber nicht darauf ein. 1872<lb/>
sprach der König in der Thronrede den Wunsch nach möglichst starker Orga-<lb/>
nisirung der Vertheidigung aus, die im Jan. 1873 erfolgte Vorlage kam aber<lb/>
nicht zur Erledigung, weil das Folkething sich in wiederholten Mißtrauens¬<lb/>
voten abmühte, das Ministerium des Grafen Holstein zu stürzen. Es ging<lb/>
bis zur Ablehnung des Budgets und wurde aufgelöst, aber das neugewählte<lb/>
Folkething begann im Dec. 1873 wieder mit einer Mißtrauenserklärung und<lb/>
setzte gegen den widerstrebenden König den Rücktritt des Ministeriums am<lb/>
14. Juli 1874 durch. Da aber das neue Ministerium Fonnesbach nicht<lb/>
aus der Linken genommen war, so trat diese den Vorschlägen desselben mit<lb/>
Uebelwollen entgegen. Der König sprach in der Thronrede vom Oel. 1874<lb/>
den Wunsch nach Beseitigung der Zwietracht aus und betonte nochmals die<lb/>
Reform der Vertheidigung. Während nach obiger Vorlage die Flotte ver¬<lb/>
mehrt und Befestigungen an verschiedenen Landestheilen errichtet werden sollten,<lb/>
schlug die Regierung jetzt die Verstärkung der Befestigungen Kopenhagens,<lb/>
den Bau von Forts an den Belten und eine Marinestation am Agarsösunde<lb/>
vor, letztere zum Verhindern von Landungs versuchen. Der Ausschuß des Folle-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] langung Nordschleswigs zu erhalten, in den Vordergrund aber drängte sich seit 1871 die Sorge um die Vertheidigung des nun dauernd sehr reducirten Reichs. Es ist das Eigenthümliche dieser auf dem Gefühl der Schwäche be¬ ruhenden Lage, daH man keinen bestimmten Gegner für künftig fürchtet, son¬ dern eine solche Gestaltung der europäischen Verhältnisse, welche den traditions¬ mäßig befreundeten Mächten grade so wie den zuletzt feindlichen bei Gelegenheit den Fortbestand des Dänenreichs am Ende gleichgültig erscheinen lassen könnten. Regierung wie Bevölkerung ist demgemäß seit 6 Jahren unablässig auf Anstalten zur besseren Landesvertheidigung bedacht, seit ebenso langer Zeit gehen aber die Ansichten über die Art der letzteren so weit auseinander wie die über künftig von Außen drohenden Gefahren. Warum es aber bisher zu nichts hat kommen können, das ist der fortwährende Streit einer in der Mehrheit der Volksvertretung herrschenden Partei mit der Regierung um das Ruder des Staates? Das starke Ueberwuchern dieser eine ruhige Ent¬ wicklung hemmenden Partei, unter deren Fittigen sich auch der Socialismus sehr breit zu machen beginnt, ist eine Folge des Umstandes, daß die Regierung früher für ihr Verhalten gegen die Herzogthümer eine Stütze in diesen Ele¬ menten suchte. Jetzt kommt die Nemesis: der Staat kann selbst Mit seinen gegen Außen nöthig erscheinenden Einrichtungen nicht fertig werden, weil er im Innern tiefkrank ist. Das Faule im Staate Dänemark hat eine Krisis hervorgerufen, welche vorläufig in den Schicksalen der Landesvertheidigungs¬ frage Ausdruck findet. Was letztere betrifft, so hatte die Regierung schon 1871 das Militär¬ budget erhöhen wollen, das Folkething ging aber nicht darauf ein. 1872 sprach der König in der Thronrede den Wunsch nach möglichst starker Orga- nisirung der Vertheidigung aus, die im Jan. 1873 erfolgte Vorlage kam aber nicht zur Erledigung, weil das Folkething sich in wiederholten Mißtrauens¬ voten abmühte, das Ministerium des Grafen Holstein zu stürzen. Es ging bis zur Ablehnung des Budgets und wurde aufgelöst, aber das neugewählte Folkething begann im Dec. 1873 wieder mit einer Mißtrauenserklärung und setzte gegen den widerstrebenden König den Rücktritt des Ministeriums am 14. Juli 1874 durch. Da aber das neue Ministerium Fonnesbach nicht aus der Linken genommen war, so trat diese den Vorschlägen desselben mit Uebelwollen entgegen. Der König sprach in der Thronrede vom Oel. 1874 den Wunsch nach Beseitigung der Zwietracht aus und betonte nochmals die Reform der Vertheidigung. Während nach obiger Vorlage die Flotte ver¬ mehrt und Befestigungen an verschiedenen Landestheilen errichtet werden sollten, schlug die Regierung jetzt die Verstärkung der Befestigungen Kopenhagens, den Bau von Forts an den Belten und eine Marinestation am Agarsösunde vor, letztere zum Verhindern von Landungs versuchen. Der Ausschuß des Folle-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/150>, abgerufen am 27.07.2024.