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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Form der Lampen war genau diejenige der altrömischen Lampen, selbst das
Brot auf den Tischen vor den Bäckerhäusern war von der Gestalt wie das,
welches in den Backöfen Pompejis verkohlt gefunden wurde; die Oel- und
Wasserkrüge waren ebenfalls dieselben wie im Alterthum.

Das Haus, vor welchem wir Halt machen, ist ein zweistöckiges Gebäude,
das unten nur drei Stuben hat, in welchem eine alte Frau und ihr Sohn
eine Art Speisewirthschaft halten. Oben sind ebenfalls drei Zimmer, von
denen eins sich immer auf das andere öffnet. Sie sind für uns zurecht ge¬
wacht, das mittelste enthält vier Betten für uns, das zweite, in dem ich
schreibe, ist zum Speisesaale bestimmt und das dritte für Gnu Tann selbst.

Nachdem wir hier angekommen, bekamen wir ein vortreffliches Diner:
denn diese Leute verstehen wahrhaftig ihre nationalen Gerichte zu kochen, und
ich bin überzeugt, daß wir nie bessere Maccaroni gekostet haben. Der Sohn
der Wirthin ist ein sehr hübscher Bursch und scheint mit Gnu Tann innig
befreundet zu sein. Er soll uns morgen nach dem Tempel begleiten.

Dienstag früh. Als ich meine Schreiberei vollendete, dachte ich die
"ach außen gehende Thür zu verschließen, aber es gab keinen Schlüssel. Ich
versuchte, sie zu öffnen und nachzusehen, ob er draußen stecke, aber ich fand,
daß wir verbarrikadirt waren. Gnu Tann hatte sein Bett quer vorgeschoben
und schlief wahrscheinlich. Auf das Geräusch, welches ich machte, fragte er,
ob ich etwas wünsche. Ich sagte ihm, daß ich nur die Thür zu verschließen
wünsche. Er erwiderte, es gebe keinen Schlüssel zu ihr, aber wir brauchten
uns deshalb nicht zu ängstigen, er wäre ja da.

Abends. Wir standen mit Tagesanbruch auf und machten uns, nach¬
dem wir eine Tasse Kaffee mit frischer Ziegenmilch und Butterbrot genossen,
nach Calatafimi auf. Der Sohn unserer Wirthin, in seinem besten Staat,
einem funkelnagelneuen Sammetanzug, Massaniello's rother Mütze, einem
grellrothen Bandanna-Halstuch und einer Unzahl von Ringen an seinen
Fingern -- vom Kopf bis zu den Füßen ein flotter, flinker Brigante --
setzte sich zu Gnu Tann aus den Bock, nachdem der schwarzäugige Knabe in sein
Stricknetz unter dem Wagen verschwunden war.

Wir erreichten Calatafimi gegen acht Uhr Morgens und hielten vor
einer Art Gasthaus, welches Miß S. stark an eine spanische Venta erinnerte.
Hier fanden wir sieben Esel gesattelt und bereit, vier für uns Damen,
einen für Gnu Tann, einen andern für seinen Freund, während der letzte,
von einem großen Knaben geführt, die Körbe mit unsern Lebensmitteln
tragen sollte.

Als wir aus Calatafimi hinauszogen, ging die Straße in ein tiefes,
tiefes Thal hinab, und auf der Spitze eines öden, einsamen, zerklüfteten
Felsberges an der andern Thalwand stand der berühmte Tempel von Segeste.


Form der Lampen war genau diejenige der altrömischen Lampen, selbst das
Brot auf den Tischen vor den Bäckerhäusern war von der Gestalt wie das,
welches in den Backöfen Pompejis verkohlt gefunden wurde; die Oel- und
Wasserkrüge waren ebenfalls dieselben wie im Alterthum.

Das Haus, vor welchem wir Halt machen, ist ein zweistöckiges Gebäude,
das unten nur drei Stuben hat, in welchem eine alte Frau und ihr Sohn
eine Art Speisewirthschaft halten. Oben sind ebenfalls drei Zimmer, von
denen eins sich immer auf das andere öffnet. Sie sind für uns zurecht ge¬
wacht, das mittelste enthält vier Betten für uns, das zweite, in dem ich
schreibe, ist zum Speisesaale bestimmt und das dritte für Gnu Tann selbst.

Nachdem wir hier angekommen, bekamen wir ein vortreffliches Diner:
denn diese Leute verstehen wahrhaftig ihre nationalen Gerichte zu kochen, und
ich bin überzeugt, daß wir nie bessere Maccaroni gekostet haben. Der Sohn
der Wirthin ist ein sehr hübscher Bursch und scheint mit Gnu Tann innig
befreundet zu sein. Er soll uns morgen nach dem Tempel begleiten.

Dienstag früh. Als ich meine Schreiberei vollendete, dachte ich die
«ach außen gehende Thür zu verschließen, aber es gab keinen Schlüssel. Ich
versuchte, sie zu öffnen und nachzusehen, ob er draußen stecke, aber ich fand,
daß wir verbarrikadirt waren. Gnu Tann hatte sein Bett quer vorgeschoben
und schlief wahrscheinlich. Auf das Geräusch, welches ich machte, fragte er,
ob ich etwas wünsche. Ich sagte ihm, daß ich nur die Thür zu verschließen
wünsche. Er erwiderte, es gebe keinen Schlüssel zu ihr, aber wir brauchten
uns deshalb nicht zu ängstigen, er wäre ja da.

Abends. Wir standen mit Tagesanbruch auf und machten uns, nach¬
dem wir eine Tasse Kaffee mit frischer Ziegenmilch und Butterbrot genossen,
nach Calatafimi auf. Der Sohn unserer Wirthin, in seinem besten Staat,
einem funkelnagelneuen Sammetanzug, Massaniello's rother Mütze, einem
grellrothen Bandanna-Halstuch und einer Unzahl von Ringen an seinen
Fingern — vom Kopf bis zu den Füßen ein flotter, flinker Brigante —
setzte sich zu Gnu Tann aus den Bock, nachdem der schwarzäugige Knabe in sein
Stricknetz unter dem Wagen verschwunden war.

Wir erreichten Calatafimi gegen acht Uhr Morgens und hielten vor
einer Art Gasthaus, welches Miß S. stark an eine spanische Venta erinnerte.
Hier fanden wir sieben Esel gesattelt und bereit, vier für uns Damen,
einen für Gnu Tann, einen andern für seinen Freund, während der letzte,
von einem großen Knaben geführt, die Körbe mit unsern Lebensmitteln
tragen sollte.

Als wir aus Calatafimi hinauszogen, ging die Straße in ein tiefes,
tiefes Thal hinab, und auf der Spitze eines öden, einsamen, zerklüfteten
Felsberges an der andern Thalwand stand der berühmte Tempel von Segeste.


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[0147] Form der Lampen war genau diejenige der altrömischen Lampen, selbst das Brot auf den Tischen vor den Bäckerhäusern war von der Gestalt wie das, welches in den Backöfen Pompejis verkohlt gefunden wurde; die Oel- und Wasserkrüge waren ebenfalls dieselben wie im Alterthum. Das Haus, vor welchem wir Halt machen, ist ein zweistöckiges Gebäude, das unten nur drei Stuben hat, in welchem eine alte Frau und ihr Sohn eine Art Speisewirthschaft halten. Oben sind ebenfalls drei Zimmer, von denen eins sich immer auf das andere öffnet. Sie sind für uns zurecht ge¬ wacht, das mittelste enthält vier Betten für uns, das zweite, in dem ich schreibe, ist zum Speisesaale bestimmt und das dritte für Gnu Tann selbst. Nachdem wir hier angekommen, bekamen wir ein vortreffliches Diner: denn diese Leute verstehen wahrhaftig ihre nationalen Gerichte zu kochen, und ich bin überzeugt, daß wir nie bessere Maccaroni gekostet haben. Der Sohn der Wirthin ist ein sehr hübscher Bursch und scheint mit Gnu Tann innig befreundet zu sein. Er soll uns morgen nach dem Tempel begleiten. Dienstag früh. Als ich meine Schreiberei vollendete, dachte ich die «ach außen gehende Thür zu verschließen, aber es gab keinen Schlüssel. Ich versuchte, sie zu öffnen und nachzusehen, ob er draußen stecke, aber ich fand, daß wir verbarrikadirt waren. Gnu Tann hatte sein Bett quer vorgeschoben und schlief wahrscheinlich. Auf das Geräusch, welches ich machte, fragte er, ob ich etwas wünsche. Ich sagte ihm, daß ich nur die Thür zu verschließen wünsche. Er erwiderte, es gebe keinen Schlüssel zu ihr, aber wir brauchten uns deshalb nicht zu ängstigen, er wäre ja da. Abends. Wir standen mit Tagesanbruch auf und machten uns, nach¬ dem wir eine Tasse Kaffee mit frischer Ziegenmilch und Butterbrot genossen, nach Calatafimi auf. Der Sohn unserer Wirthin, in seinem besten Staat, einem funkelnagelneuen Sammetanzug, Massaniello's rother Mütze, einem grellrothen Bandanna-Halstuch und einer Unzahl von Ringen an seinen Fingern — vom Kopf bis zu den Füßen ein flotter, flinker Brigante — setzte sich zu Gnu Tann aus den Bock, nachdem der schwarzäugige Knabe in sein Stricknetz unter dem Wagen verschwunden war. Wir erreichten Calatafimi gegen acht Uhr Morgens und hielten vor einer Art Gasthaus, welches Miß S. stark an eine spanische Venta erinnerte. Hier fanden wir sieben Esel gesattelt und bereit, vier für uns Damen, einen für Gnu Tann, einen andern für seinen Freund, während der letzte, von einem großen Knaben geführt, die Körbe mit unsern Lebensmitteln tragen sollte. Als wir aus Calatafimi hinauszogen, ging die Straße in ein tiefes, tiefes Thal hinab, und auf der Spitze eines öden, einsamen, zerklüfteten Felsberges an der andern Thalwand stand der berühmte Tempel von Segeste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/147>, abgerufen am 27.07.2024.