Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so weit geht, daß es uns bisweilen vorkommt, als ob er zu aufdringlich und
gebieterisch für unsere die Unabhängigkeit liebende angelsächsische Natur wäre.
Die Art und Weise, wie wir reisen, ist ebenfalls etwas Neues für uns. Du
bemerktest, als Gnu Tann diesen Morgen zu uns kam. wie die Pferde drei
neben einander gespannt waren und prunkende Pfauenfedern auf den Köpfen
und Lederkummete mit klingenden Schellen um den Hals hatten, die mich an
unsre Schlittenfahrten erinnerten. Du wirst Dich auf den Wagen mit seiner
Weißen Leinwandplane, die uns vor der Sonne schützen sollte, und mit dem
ungeheuren Netze von Stricken besinnen, das wie eine Hängematte darunter
ausgespannt war und allerhand Körbe und Schachteln mit unsern Lebens¬
mitteln für eine dreitägige Reise enthielt. Auch auf den komischen schwarz¬
äugigen Knaben, der neben Gnu Tann saß, und der gelegentlich von uns
fortgeschickt wurde, um uns eine seltene wilde Blume zu pflücken, der aber
während der heißen Zeit des Tages in aller Stille unter den Wagen glitt
und sich zu unserm Erstaunen in jenes selbe Netz zwischen die Körbe und
Schachteln legte, wo er, über die heiße, staubige Straße hinschaukelnd, eine
entzückende Siesta hielt.

Wir erreichten Monreale ein paar Minuten nach zehn Uhr und hielten
ein paar Augenblicke auf dem Platze vor der alten normanischen Kathedrale,
um die Pferde von dem steilen Aufstieg ruhen zu lassen. Sofort umgab unsern
Wagen das gewöhnliche Gedränge von Bettlern, und ein solches zerlumptes und
schuftig aussehendes Volk wie dieses habe ich in meinem Leben nicht gesehen.
Aber das Seltsamste dabei war der Augenblick, wie Gnu Tann aus der
Schenke kam, in die er für ein paar Minuten getreten war, und wie er beim
Anblick der Menge, die unser Fuhrwerk umringte (es müssen ihrer wenigstens
dreißig gewesen sein), sich seinen Weg durch sie hindurch bahnte, indem er sie
nach rechts und links fortschob. Dann rief er einen alten Mann herzu, der
nur einen Arm, aber ein Gesicht hatte, daß er zum Bilde eines Banditen-
Patriarchen hätte sitzen können, steckte ihm etwas Geld in die Hand und sagte
ihm, er möge rasch das ganze Gesindel forttreiben, und wunderbar, auf eine
Bewegung seiner Hand hin humpelten sie allesammt ohne das mindeste
Murren weg und nahmen ihre Sitze auf den Steinstufen und Treppenwangen
der Balustrade der Kirche wieder ein. Keiner getraute sich mehr, in unsere
Nähe zu kommen oder um mehr Almosen zu bitten, wie das in Italien ge¬
bräuchlich ist, sondern alle blieben sie da unter der heißen Sonne sitzen, starrten
uns an und warteten, bis andere Retsende kämen, auf die sie sich losstürzen
könnten.

Wir brachen bald darauf wieder auf und betraten, indem wir am Saume
des Berges hinfuhren, ein lang hingestrecktes, ansteigendes Plateau, das im
Hintergrunde neue Berge sehen ließ. Wir begegneten sehr wenigen Menschen


so weit geht, daß es uns bisweilen vorkommt, als ob er zu aufdringlich und
gebieterisch für unsere die Unabhängigkeit liebende angelsächsische Natur wäre.
Die Art und Weise, wie wir reisen, ist ebenfalls etwas Neues für uns. Du
bemerktest, als Gnu Tann diesen Morgen zu uns kam. wie die Pferde drei
neben einander gespannt waren und prunkende Pfauenfedern auf den Köpfen
und Lederkummete mit klingenden Schellen um den Hals hatten, die mich an
unsre Schlittenfahrten erinnerten. Du wirst Dich auf den Wagen mit seiner
Weißen Leinwandplane, die uns vor der Sonne schützen sollte, und mit dem
ungeheuren Netze von Stricken besinnen, das wie eine Hängematte darunter
ausgespannt war und allerhand Körbe und Schachteln mit unsern Lebens¬
mitteln für eine dreitägige Reise enthielt. Auch auf den komischen schwarz¬
äugigen Knaben, der neben Gnu Tann saß, und der gelegentlich von uns
fortgeschickt wurde, um uns eine seltene wilde Blume zu pflücken, der aber
während der heißen Zeit des Tages in aller Stille unter den Wagen glitt
und sich zu unserm Erstaunen in jenes selbe Netz zwischen die Körbe und
Schachteln legte, wo er, über die heiße, staubige Straße hinschaukelnd, eine
entzückende Siesta hielt.

Wir erreichten Monreale ein paar Minuten nach zehn Uhr und hielten
ein paar Augenblicke auf dem Platze vor der alten normanischen Kathedrale,
um die Pferde von dem steilen Aufstieg ruhen zu lassen. Sofort umgab unsern
Wagen das gewöhnliche Gedränge von Bettlern, und ein solches zerlumptes und
schuftig aussehendes Volk wie dieses habe ich in meinem Leben nicht gesehen.
Aber das Seltsamste dabei war der Augenblick, wie Gnu Tann aus der
Schenke kam, in die er für ein paar Minuten getreten war, und wie er beim
Anblick der Menge, die unser Fuhrwerk umringte (es müssen ihrer wenigstens
dreißig gewesen sein), sich seinen Weg durch sie hindurch bahnte, indem er sie
nach rechts und links fortschob. Dann rief er einen alten Mann herzu, der
nur einen Arm, aber ein Gesicht hatte, daß er zum Bilde eines Banditen-
Patriarchen hätte sitzen können, steckte ihm etwas Geld in die Hand und sagte
ihm, er möge rasch das ganze Gesindel forttreiben, und wunderbar, auf eine
Bewegung seiner Hand hin humpelten sie allesammt ohne das mindeste
Murren weg und nahmen ihre Sitze auf den Steinstufen und Treppenwangen
der Balustrade der Kirche wieder ein. Keiner getraute sich mehr, in unsere
Nähe zu kommen oder um mehr Almosen zu bitten, wie das in Italien ge¬
bräuchlich ist, sondern alle blieben sie da unter der heißen Sonne sitzen, starrten
uns an und warteten, bis andere Retsende kämen, auf die sie sich losstürzen
könnten.

Wir brachen bald darauf wieder auf und betraten, indem wir am Saume
des Berges hinfuhren, ein lang hingestrecktes, ansteigendes Plateau, das im
Hintergrunde neue Berge sehen ließ. Wir begegneten sehr wenigen Menschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135726"/>
          <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> so weit geht, daß es uns bisweilen vorkommt, als ob er zu aufdringlich und<lb/>
gebieterisch für unsere die Unabhängigkeit liebende angelsächsische Natur wäre.<lb/>
Die Art und Weise, wie wir reisen, ist ebenfalls etwas Neues für uns. Du<lb/>
bemerktest, als Gnu Tann diesen Morgen zu uns kam. wie die Pferde drei<lb/>
neben einander gespannt waren und prunkende Pfauenfedern auf den Köpfen<lb/>
und Lederkummete mit klingenden Schellen um den Hals hatten, die mich an<lb/>
unsre Schlittenfahrten erinnerten. Du wirst Dich auf den Wagen mit seiner<lb/>
Weißen Leinwandplane, die uns vor der Sonne schützen sollte, und mit dem<lb/>
ungeheuren Netze von Stricken besinnen, das wie eine Hängematte darunter<lb/>
ausgespannt war und allerhand Körbe und Schachteln mit unsern Lebens¬<lb/>
mitteln für eine dreitägige Reise enthielt. Auch auf den komischen schwarz¬<lb/>
äugigen Knaben, der neben Gnu Tann saß, und der gelegentlich von uns<lb/>
fortgeschickt wurde, um uns eine seltene wilde Blume zu pflücken, der aber<lb/>
während der heißen Zeit des Tages in aller Stille unter den Wagen glitt<lb/>
und sich zu unserm Erstaunen in jenes selbe Netz zwischen die Körbe und<lb/>
Schachteln legte, wo er, über die heiße, staubige Straße hinschaukelnd, eine<lb/>
entzückende Siesta hielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500"> Wir erreichten Monreale ein paar Minuten nach zehn Uhr und hielten<lb/>
ein paar Augenblicke auf dem Platze vor der alten normanischen Kathedrale,<lb/>
um die Pferde von dem steilen Aufstieg ruhen zu lassen. Sofort umgab unsern<lb/>
Wagen das gewöhnliche Gedränge von Bettlern, und ein solches zerlumptes und<lb/>
schuftig aussehendes Volk wie dieses habe ich in meinem Leben nicht gesehen.<lb/>
Aber das Seltsamste dabei war der Augenblick, wie Gnu Tann aus der<lb/>
Schenke kam, in die er für ein paar Minuten getreten war, und wie er beim<lb/>
Anblick der Menge, die unser Fuhrwerk umringte (es müssen ihrer wenigstens<lb/>
dreißig gewesen sein), sich seinen Weg durch sie hindurch bahnte, indem er sie<lb/>
nach rechts und links fortschob. Dann rief er einen alten Mann herzu, der<lb/>
nur einen Arm, aber ein Gesicht hatte, daß er zum Bilde eines Banditen-<lb/>
Patriarchen hätte sitzen können, steckte ihm etwas Geld in die Hand und sagte<lb/>
ihm, er möge rasch das ganze Gesindel forttreiben, und wunderbar, auf eine<lb/>
Bewegung seiner Hand hin humpelten sie allesammt ohne das mindeste<lb/>
Murren weg und nahmen ihre Sitze auf den Steinstufen und Treppenwangen<lb/>
der Balustrade der Kirche wieder ein. Keiner getraute sich mehr, in unsere<lb/>
Nähe zu kommen oder um mehr Almosen zu bitten, wie das in Italien ge¬<lb/>
bräuchlich ist, sondern alle blieben sie da unter der heißen Sonne sitzen, starrten<lb/>
uns an und warteten, bis andere Retsende kämen, auf die sie sich losstürzen<lb/>
könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_501" next="#ID_502"> Wir brachen bald darauf wieder auf und betraten, indem wir am Saume<lb/>
des Berges hinfuhren, ein lang hingestrecktes, ansteigendes Plateau, das im<lb/>
Hintergrunde neue Berge sehen ließ. Wir begegneten sehr wenigen Menschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] so weit geht, daß es uns bisweilen vorkommt, als ob er zu aufdringlich und gebieterisch für unsere die Unabhängigkeit liebende angelsächsische Natur wäre. Die Art und Weise, wie wir reisen, ist ebenfalls etwas Neues für uns. Du bemerktest, als Gnu Tann diesen Morgen zu uns kam. wie die Pferde drei neben einander gespannt waren und prunkende Pfauenfedern auf den Köpfen und Lederkummete mit klingenden Schellen um den Hals hatten, die mich an unsre Schlittenfahrten erinnerten. Du wirst Dich auf den Wagen mit seiner Weißen Leinwandplane, die uns vor der Sonne schützen sollte, und mit dem ungeheuren Netze von Stricken besinnen, das wie eine Hängematte darunter ausgespannt war und allerhand Körbe und Schachteln mit unsern Lebens¬ mitteln für eine dreitägige Reise enthielt. Auch auf den komischen schwarz¬ äugigen Knaben, der neben Gnu Tann saß, und der gelegentlich von uns fortgeschickt wurde, um uns eine seltene wilde Blume zu pflücken, der aber während der heißen Zeit des Tages in aller Stille unter den Wagen glitt und sich zu unserm Erstaunen in jenes selbe Netz zwischen die Körbe und Schachteln legte, wo er, über die heiße, staubige Straße hinschaukelnd, eine entzückende Siesta hielt. Wir erreichten Monreale ein paar Minuten nach zehn Uhr und hielten ein paar Augenblicke auf dem Platze vor der alten normanischen Kathedrale, um die Pferde von dem steilen Aufstieg ruhen zu lassen. Sofort umgab unsern Wagen das gewöhnliche Gedränge von Bettlern, und ein solches zerlumptes und schuftig aussehendes Volk wie dieses habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Aber das Seltsamste dabei war der Augenblick, wie Gnu Tann aus der Schenke kam, in die er für ein paar Minuten getreten war, und wie er beim Anblick der Menge, die unser Fuhrwerk umringte (es müssen ihrer wenigstens dreißig gewesen sein), sich seinen Weg durch sie hindurch bahnte, indem er sie nach rechts und links fortschob. Dann rief er einen alten Mann herzu, der nur einen Arm, aber ein Gesicht hatte, daß er zum Bilde eines Banditen- Patriarchen hätte sitzen können, steckte ihm etwas Geld in die Hand und sagte ihm, er möge rasch das ganze Gesindel forttreiben, und wunderbar, auf eine Bewegung seiner Hand hin humpelten sie allesammt ohne das mindeste Murren weg und nahmen ihre Sitze auf den Steinstufen und Treppenwangen der Balustrade der Kirche wieder ein. Keiner getraute sich mehr, in unsere Nähe zu kommen oder um mehr Almosen zu bitten, wie das in Italien ge¬ bräuchlich ist, sondern alle blieben sie da unter der heißen Sonne sitzen, starrten uns an und warteten, bis andere Retsende kämen, auf die sie sich losstürzen könnten. Wir brachen bald darauf wieder auf und betraten, indem wir am Saume des Berges hinfuhren, ein lang hingestrecktes, ansteigendes Plateau, das im Hintergrunde neue Berge sehen ließ. Wir begegneten sehr wenigen Menschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/145>, abgerufen am 27.07.2024.