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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Die Sage vom Don Juan.

Seit Mozart's unsterblichem Werke ist Don Juan der unsrige geworden.
Wir dürfen ihn mit viel mehr Recht in Anspruch nehmen, als die Franzosen
sich den "Faust" unseres Goethe aneignen, seit Gounot ihn in eine Oper
verwandelt hat. Denn der Goethe'sche "Faust" ist ein von jener musikalischen
Handlung so grundverschiedener, daß man, wie Paul Lindau mit Recht sagt,
an der Gounot'schen Partitur nur dann wahrhaftes Behagen finden kann,
wenn man das Talent besitzt, Goethe dabei völlig zu vergessen. Bei Don Juan
ist das Verhältniß ein anderes: Faust ist deutsch und ist deutsch geblieben,
"Don Juan" ist spanisch und ist deutsch geworden. Er hat, nach Mozart's
musikalischer That, eine Anzahl dramatischer Bearbeiter erhalten, in Deutsch¬
land wie in seiner ursprünglichen Heimath, und gerade hier, in Spanien, hat
zuletzt Zorilla die Sage dramatisch und in ganz modernem Sinn und Geist
gestaltet. Schwerlich ist es aber weder ihm, noch den frühern Bearbeitern
nach Mozart, einem Grabbe oder Byron oder Lenau oder wer sie sonst noch
sein mögen, eingefallen, dem deutschen Tondichter Concurrenz zu machen; mit
dem Namen Don Juan ist und bleibt einstweilen der Mozart's in der Er¬
innerung der Gebildeten aller Nationen gerade so unzertrennlich und gleich¬
em typisch verknüpft, wie der Faust mit Goethe, und der Gedanke an eine
Rivalität kann höchstens in dem an Nationaleitelkeit schon längst erkrankten,
und seit dem letzten Kriege vollends zerrütteten Gehirn eines Alexander Du-
"6 (junior) phosphoresziren, das heißt desjenigen Gallomanen, der ohne
^n Wort deutsch zu verstehen, den deutschen Goethe einen "polisson v6n6ra,d1s"
Zu nennen sich erdreistet hat. Es wäre eine müssige, vielleicht auch fruchtlose
Untersuchung, ob die Dichter und Schriftsteller, welche nach Mozart die Sage
vom Don Juan künstlerisch gestaltet haben, durch die Mozart'sche Composition
zur Wahl dieses Stoffes angeregt worden seien, weil ja doch unläugbar die
Pracht und der Glanz jener Schöpfung auch auf die Sage zurückstrahlte und
diese zu höherer Bedeutung erhob; so viel ist jedenfalls sicher, daß weder
Tirso von Molina, der erste poetische Darsteller des Don Juan, noch irgend
ein Nachfolger, der Sage den Reiz und das Interesse zu verleihen gewußt


Grcnzl'oder II. 187". 16
Die Sage vom Don Juan.

Seit Mozart's unsterblichem Werke ist Don Juan der unsrige geworden.
Wir dürfen ihn mit viel mehr Recht in Anspruch nehmen, als die Franzosen
sich den „Faust" unseres Goethe aneignen, seit Gounot ihn in eine Oper
verwandelt hat. Denn der Goethe'sche „Faust" ist ein von jener musikalischen
Handlung so grundverschiedener, daß man, wie Paul Lindau mit Recht sagt,
an der Gounot'schen Partitur nur dann wahrhaftes Behagen finden kann,
wenn man das Talent besitzt, Goethe dabei völlig zu vergessen. Bei Don Juan
ist das Verhältniß ein anderes: Faust ist deutsch und ist deutsch geblieben,
„Don Juan" ist spanisch und ist deutsch geworden. Er hat, nach Mozart's
musikalischer That, eine Anzahl dramatischer Bearbeiter erhalten, in Deutsch¬
land wie in seiner ursprünglichen Heimath, und gerade hier, in Spanien, hat
zuletzt Zorilla die Sage dramatisch und in ganz modernem Sinn und Geist
gestaltet. Schwerlich ist es aber weder ihm, noch den frühern Bearbeitern
nach Mozart, einem Grabbe oder Byron oder Lenau oder wer sie sonst noch
sein mögen, eingefallen, dem deutschen Tondichter Concurrenz zu machen; mit
dem Namen Don Juan ist und bleibt einstweilen der Mozart's in der Er¬
innerung der Gebildeten aller Nationen gerade so unzertrennlich und gleich¬
em typisch verknüpft, wie der Faust mit Goethe, und der Gedanke an eine
Rivalität kann höchstens in dem an Nationaleitelkeit schon längst erkrankten,
und seit dem letzten Kriege vollends zerrütteten Gehirn eines Alexander Du-
"6 (junior) phosphoresziren, das heißt desjenigen Gallomanen, der ohne
^n Wort deutsch zu verstehen, den deutschen Goethe einen „polisson v6n6ra,d1s"
Zu nennen sich erdreistet hat. Es wäre eine müssige, vielleicht auch fruchtlose
Untersuchung, ob die Dichter und Schriftsteller, welche nach Mozart die Sage
vom Don Juan künstlerisch gestaltet haben, durch die Mozart'sche Composition
zur Wahl dieses Stoffes angeregt worden seien, weil ja doch unläugbar die
Pracht und der Glanz jener Schöpfung auch auf die Sage zurückstrahlte und
diese zu höherer Bedeutung erhob; so viel ist jedenfalls sicher, daß weder
Tirso von Molina, der erste poetische Darsteller des Don Juan, noch irgend
ein Nachfolger, der Sage den Reiz und das Interesse zu verleihen gewußt


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[0125] Die Sage vom Don Juan. Seit Mozart's unsterblichem Werke ist Don Juan der unsrige geworden. Wir dürfen ihn mit viel mehr Recht in Anspruch nehmen, als die Franzosen sich den „Faust" unseres Goethe aneignen, seit Gounot ihn in eine Oper verwandelt hat. Denn der Goethe'sche „Faust" ist ein von jener musikalischen Handlung so grundverschiedener, daß man, wie Paul Lindau mit Recht sagt, an der Gounot'schen Partitur nur dann wahrhaftes Behagen finden kann, wenn man das Talent besitzt, Goethe dabei völlig zu vergessen. Bei Don Juan ist das Verhältniß ein anderes: Faust ist deutsch und ist deutsch geblieben, „Don Juan" ist spanisch und ist deutsch geworden. Er hat, nach Mozart's musikalischer That, eine Anzahl dramatischer Bearbeiter erhalten, in Deutsch¬ land wie in seiner ursprünglichen Heimath, und gerade hier, in Spanien, hat zuletzt Zorilla die Sage dramatisch und in ganz modernem Sinn und Geist gestaltet. Schwerlich ist es aber weder ihm, noch den frühern Bearbeitern nach Mozart, einem Grabbe oder Byron oder Lenau oder wer sie sonst noch sein mögen, eingefallen, dem deutschen Tondichter Concurrenz zu machen; mit dem Namen Don Juan ist und bleibt einstweilen der Mozart's in der Er¬ innerung der Gebildeten aller Nationen gerade so unzertrennlich und gleich¬ em typisch verknüpft, wie der Faust mit Goethe, und der Gedanke an eine Rivalität kann höchstens in dem an Nationaleitelkeit schon längst erkrankten, und seit dem letzten Kriege vollends zerrütteten Gehirn eines Alexander Du- "6 (junior) phosphoresziren, das heißt desjenigen Gallomanen, der ohne ^n Wort deutsch zu verstehen, den deutschen Goethe einen „polisson v6n6ra,d1s" Zu nennen sich erdreistet hat. Es wäre eine müssige, vielleicht auch fruchtlose Untersuchung, ob die Dichter und Schriftsteller, welche nach Mozart die Sage vom Don Juan künstlerisch gestaltet haben, durch die Mozart'sche Composition zur Wahl dieses Stoffes angeregt worden seien, weil ja doch unläugbar die Pracht und der Glanz jener Schöpfung auch auf die Sage zurückstrahlte und diese zu höherer Bedeutung erhob; so viel ist jedenfalls sicher, daß weder Tirso von Molina, der erste poetische Darsteller des Don Juan, noch irgend ein Nachfolger, der Sage den Reiz und das Interesse zu verleihen gewußt Grcnzl'oder II. 187». 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/125>, abgerufen am 27.11.2024.