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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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hochtrabend, einfacher und natürlicher, sie würde mehr Liebhaber finden. Aber
dasselbe Pathos, welches in dem obigen Gesänge herrscht, finden wir, mit
seltenen Ausnahmen in all seinen Gedichten wieder. Aber Vorbei sagt von
seinem Lucifer, dessen Stil wohl reichlich die Würde und den Prunk erfordert,
von denen der Dichter spricht:


Omne Korns sorixti Kravitato l'i'ÄSosäig, vinoit.

Aber was an der nöthigen Höhe des Stils schir, wird vielleicht der
Bühnenstoff, der Titel und Name und die Erhabenheit der Person vergüten?
In der Richtung der Zeit Vorbei's lag es, im schwülstigen die wahre Poesie
zu suchen, das Natürliche war unpoetisch. Hätte Vorbei sich von diesem Zeit¬
geiste losreißen können, dann hätte er gewiß Dichtwerke geliefert, die für alle
Zeiten mustergültig gewesen wären. Aber er suchte geflissentlich das Hoch¬
trabende und die nach selner Meinung angewiesene Form war das Drama.
Wir besitzen einige kleinere Lieder von ihm, die unter dem immerdauernden,
betäubenden Wortschwall einen wohlthuenden Eindruck machen. Wir fügen
eines derselben hier ein.


K i n d e r l e i es e.
Constantinchen*), das selige Kindchen,
Das Cherubinchen da droben,
Das die Eitelkeiten hienieden,
Mit fröhlichem Auge auslacht:
"Mutter!" ruft es, "warum weinst Du?
Warum trauerst Du über meiner Leiche?
Droben leb' ich, droben schwed' ich,
Ein Engelein im Himmelreich;
Und ich glänze, und ich trinke
Was der Schenker alles Guten
schenkt den Seelen, die da schwärmen,
Fröhlich bei so viel Ueberfluß.
Lern' dann steigen, in Gedanken,
Nach Palästen, aus dem Schmutz
Dieser Welt, die so wirbelt**);
Die Ewigkeit ist mehr als der Augenblick."

Irdisches Dichten und Trachten, irdische Liebe, menschliche Gefühle kom¬
men nur selten in Vorbei's Gedichten zum Ausdruck. Das Menschliche wird
als Gegensatz zum Göttlichen gering geachtet, verurtheilt. Selbst bei dem
obigen Gedicht auf sein Kind kennt er keinen Schmerz, und er ermahnt selbst
die Mutter von demselben zu lassen. Das Studium des Menschen, welches
Vorbei vernachlässigte, ist es aber eben, was andere Menschen am meisten




*) Die holländischen Dichter lieben die Diminutiv".
-) Welch ein Bild!

hochtrabend, einfacher und natürlicher, sie würde mehr Liebhaber finden. Aber
dasselbe Pathos, welches in dem obigen Gesänge herrscht, finden wir, mit
seltenen Ausnahmen in all seinen Gedichten wieder. Aber Vorbei sagt von
seinem Lucifer, dessen Stil wohl reichlich die Würde und den Prunk erfordert,
von denen der Dichter spricht:


Omne Korns sorixti Kravitato l'i'ÄSosäig, vinoit.

Aber was an der nöthigen Höhe des Stils schir, wird vielleicht der
Bühnenstoff, der Titel und Name und die Erhabenheit der Person vergüten?
In der Richtung der Zeit Vorbei's lag es, im schwülstigen die wahre Poesie
zu suchen, das Natürliche war unpoetisch. Hätte Vorbei sich von diesem Zeit¬
geiste losreißen können, dann hätte er gewiß Dichtwerke geliefert, die für alle
Zeiten mustergültig gewesen wären. Aber er suchte geflissentlich das Hoch¬
trabende und die nach selner Meinung angewiesene Form war das Drama.
Wir besitzen einige kleinere Lieder von ihm, die unter dem immerdauernden,
betäubenden Wortschwall einen wohlthuenden Eindruck machen. Wir fügen
eines derselben hier ein.


K i n d e r l e i es e.
Constantinchen*), das selige Kindchen,
Das Cherubinchen da droben,
Das die Eitelkeiten hienieden,
Mit fröhlichem Auge auslacht:
„Mutter!" ruft es, „warum weinst Du?
Warum trauerst Du über meiner Leiche?
Droben leb' ich, droben schwed' ich,
Ein Engelein im Himmelreich;
Und ich glänze, und ich trinke
Was der Schenker alles Guten
schenkt den Seelen, die da schwärmen,
Fröhlich bei so viel Ueberfluß.
Lern' dann steigen, in Gedanken,
Nach Palästen, aus dem Schmutz
Dieser Welt, die so wirbelt**);
Die Ewigkeit ist mehr als der Augenblick."

Irdisches Dichten und Trachten, irdische Liebe, menschliche Gefühle kom¬
men nur selten in Vorbei's Gedichten zum Ausdruck. Das Menschliche wird
als Gegensatz zum Göttlichen gering geachtet, verurtheilt. Selbst bei dem
obigen Gedicht auf sein Kind kennt er keinen Schmerz, und er ermahnt selbst
die Mutter von demselben zu lassen. Das Studium des Menschen, welches
Vorbei vernachlässigte, ist es aber eben, was andere Menschen am meisten




*) Die holländischen Dichter lieben die Diminutiv«.
-) Welch ein Bild!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/11>, abgerufen am 27.11.2024.