Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

leibliche Kurz- und Schwachsichtigkeit von Jahr zu Jahr weitere Fortschritte,
Hand in Hand mit andren Leiden. Einer thörichten Mode zuliebe sperren
wir das Tageslicht ab durch dunkle Vorhänge; Sekretäre, Arbeitstische stehen
weist am unrechten Platze, und haben zu wenig oder falsches Licht. Daß
die Sehkraft geschont und länger erhalten wird, wenn beim Lesen und
Schreiben das Objekt in angemessene Entfernung von, und möglichst parallel
mit dem Gesicht gebracht ist, nicht in einen rechten Winkel, und während
der Arbeit, namentlich bei künstlichem Lichte, hier und da, etwa alle halbe
Stunden. Erholungspausen von einigen Minuten eingeschoben werden, beachtet
unter Hunderten kaum Einer. Fehler in der Wahl der Gläser und der
bestelle der Brillen sind an der Tagesordnung. Unter zehn Brillenträgern
sitzen bei neunen die Gläser nicht so, daß durch ihren Mittelpunkt geblickt
Wird, außerdem schief, zu nah oder zu fern. Geschadet wird auch durch die
optischen "Augenklemmer" und den übermäßigen Gebrauch von Operngläsern,
^ehe es im bisherigen Stile fort, so werden in den gebildeten Ständen ver
Städte bald unbewaffnete Augen unter die Seltenheiten gehören.

Einem gelehrten Freunde, der sich berufsmäßig mit physikalischen und
photometrischen Forschungen beschäftigt, stellte ich, angeregt durch Aeußerungen
°wes Augenarztes, die Frage: ob sich nicht ein, vielleicht auf Photographie
süßendes Instrument zur Prüfung der Lichtstärke herstellen lasse, welches
Namentlich in Schulzimmern eine Art Polizei in Bezug auf die Beleuchtung
üben könnte. Er antwortete, daß ein solches Instrument nicht ausführbar
^eine. weil man Licht nicht wie Wärme, Elektricität und Magnetismus
Wessen könne und die Herstellung einer absoluten, unveränderlichen Lichtmenge
große Schwierigkeiten habe. Für wissenschaftliche (astronomische) Zwecke und
^"t Hilfe einer Experimentaluntersuchung gäbe es wohl ein derartiges
^ustrument und sei neuerdings angewandt, dasselbe würde jedoch für jene
praktischen Zwecke unbrauchbar fein. Weiterhin sagte er: durch eine solche
Östliche Fürsorge, wenn sie überhaupt möglich wäre und einträte, dürfte
Zunahme der schlechten Augen bei künftigen Generationen nur noch ge¬
tigert werden. Unsre Groß- und Urgroßväter hätten beim Scheine von
ale>lichteia gearbeitet und sie und ihre Kinder gute Augen gehabt, weil das
^ rgcm genöthigt war, sich den ungünstigen Beleuchtungsvorrichtungen anm¬
essen und dadurch gleichsam abzuhärten; heute aber, wo dergleichen
Htvankungen der Helligkeit durch fortschreitende Verbesserungen der Beleuch.
"6funkel beseitigt seien, hätten die Augen weniger Veranlassung, ihre
^'derstandskraft zu üben und seien so verweichlicht. Nach den Grundsätzen
r natürlichen Züchtung und der Entwickelung eines umfassenden Anpassungs-
Wechanismus unsres Körpers sei deshalb eine solche ängstliche Prophylaxis
verwerflich. --


leibliche Kurz- und Schwachsichtigkeit von Jahr zu Jahr weitere Fortschritte,
Hand in Hand mit andren Leiden. Einer thörichten Mode zuliebe sperren
wir das Tageslicht ab durch dunkle Vorhänge; Sekretäre, Arbeitstische stehen
weist am unrechten Platze, und haben zu wenig oder falsches Licht. Daß
die Sehkraft geschont und länger erhalten wird, wenn beim Lesen und
Schreiben das Objekt in angemessene Entfernung von, und möglichst parallel
mit dem Gesicht gebracht ist, nicht in einen rechten Winkel, und während
der Arbeit, namentlich bei künstlichem Lichte, hier und da, etwa alle halbe
Stunden. Erholungspausen von einigen Minuten eingeschoben werden, beachtet
unter Hunderten kaum Einer. Fehler in der Wahl der Gläser und der
bestelle der Brillen sind an der Tagesordnung. Unter zehn Brillenträgern
sitzen bei neunen die Gläser nicht so, daß durch ihren Mittelpunkt geblickt
Wird, außerdem schief, zu nah oder zu fern. Geschadet wird auch durch die
optischen „Augenklemmer" und den übermäßigen Gebrauch von Operngläsern,
^ehe es im bisherigen Stile fort, so werden in den gebildeten Ständen ver
Städte bald unbewaffnete Augen unter die Seltenheiten gehören.

Einem gelehrten Freunde, der sich berufsmäßig mit physikalischen und
photometrischen Forschungen beschäftigt, stellte ich, angeregt durch Aeußerungen
°wes Augenarztes, die Frage: ob sich nicht ein, vielleicht auf Photographie
süßendes Instrument zur Prüfung der Lichtstärke herstellen lasse, welches
Namentlich in Schulzimmern eine Art Polizei in Bezug auf die Beleuchtung
üben könnte. Er antwortete, daß ein solches Instrument nicht ausführbar
^eine. weil man Licht nicht wie Wärme, Elektricität und Magnetismus
Wessen könne und die Herstellung einer absoluten, unveränderlichen Lichtmenge
große Schwierigkeiten habe. Für wissenschaftliche (astronomische) Zwecke und
^"t Hilfe einer Experimentaluntersuchung gäbe es wohl ein derartiges
^ustrument und sei neuerdings angewandt, dasselbe würde jedoch für jene
praktischen Zwecke unbrauchbar fein. Weiterhin sagte er: durch eine solche
Östliche Fürsorge, wenn sie überhaupt möglich wäre und einträte, dürfte
Zunahme der schlechten Augen bei künftigen Generationen nur noch ge¬
tigert werden. Unsre Groß- und Urgroßväter hätten beim Scheine von
ale>lichteia gearbeitet und sie und ihre Kinder gute Augen gehabt, weil das
^ rgcm genöthigt war, sich den ungünstigen Beleuchtungsvorrichtungen anm¬
essen und dadurch gleichsam abzuhärten; heute aber, wo dergleichen
Htvankungen der Helligkeit durch fortschreitende Verbesserungen der Beleuch.
"6funkel beseitigt seien, hätten die Augen weniger Veranlassung, ihre
^'derstandskraft zu üben und seien so verweichlicht. Nach den Grundsätzen
r natürlichen Züchtung und der Entwickelung eines umfassenden Anpassungs-
Wechanismus unsres Körpers sei deshalb eine solche ängstliche Prophylaxis
verwerflich. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135152"/>
          <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> leibliche Kurz- und Schwachsichtigkeit von Jahr zu Jahr weitere Fortschritte,<lb/>
Hand in Hand mit andren Leiden. Einer thörichten Mode zuliebe sperren<lb/>
wir das Tageslicht ab durch dunkle Vorhänge; Sekretäre, Arbeitstische stehen<lb/>
weist am unrechten Platze, und haben zu wenig oder falsches Licht. Daß<lb/>
die Sehkraft geschont und länger erhalten wird, wenn beim Lesen und<lb/>
Schreiben das Objekt in angemessene Entfernung von, und möglichst parallel<lb/>
mit dem Gesicht gebracht ist, nicht in einen rechten Winkel, und während<lb/>
der Arbeit, namentlich bei künstlichem Lichte, hier und da, etwa alle halbe<lb/>
Stunden. Erholungspausen von einigen Minuten eingeschoben werden, beachtet<lb/>
unter Hunderten kaum Einer. Fehler in der Wahl der Gläser und der<lb/>
bestelle der Brillen sind an der Tagesordnung. Unter zehn Brillenträgern<lb/>
sitzen bei neunen die Gläser nicht so, daß durch ihren Mittelpunkt geblickt<lb/>
Wird, außerdem schief, zu nah oder zu fern. Geschadet wird auch durch die<lb/>
optischen &#x201E;Augenklemmer" und den übermäßigen Gebrauch von Operngläsern,<lb/>
^ehe es im bisherigen Stile fort, so werden in den gebildeten Ständen ver<lb/>
Städte bald unbewaffnete Augen unter die Seltenheiten gehören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> Einem gelehrten Freunde, der sich berufsmäßig mit physikalischen und<lb/>
photometrischen Forschungen beschäftigt, stellte ich, angeregt durch Aeußerungen<lb/>
°wes Augenarztes, die Frage: ob sich nicht ein, vielleicht auf Photographie<lb/>
süßendes Instrument zur Prüfung der Lichtstärke herstellen lasse, welches<lb/>
Namentlich in Schulzimmern eine Art Polizei in Bezug auf die Beleuchtung<lb/>
üben könnte. Er antwortete, daß ein solches Instrument nicht ausführbar<lb/>
^eine. weil man Licht nicht wie Wärme, Elektricität und Magnetismus<lb/>
Wessen könne und die Herstellung einer absoluten, unveränderlichen Lichtmenge<lb/>
große Schwierigkeiten habe. Für wissenschaftliche (astronomische) Zwecke und<lb/>
^"t Hilfe einer Experimentaluntersuchung gäbe es wohl ein derartiges<lb/>
^ustrument und sei neuerdings angewandt, dasselbe würde jedoch für jene<lb/>
praktischen Zwecke unbrauchbar fein. Weiterhin sagte er: durch eine solche<lb/>
Östliche Fürsorge, wenn sie überhaupt möglich wäre und einträte, dürfte<lb/>
Zunahme der schlechten Augen bei künftigen Generationen nur noch ge¬<lb/>
tigert werden.  Unsre Groß- und Urgroßväter hätten beim Scheine von<lb/>
ale&gt;lichteia gearbeitet und sie und ihre Kinder gute Augen gehabt, weil das<lb/>
^ rgcm genöthigt war, sich den ungünstigen Beleuchtungsvorrichtungen anm¬<lb/>
essen  und  dadurch  gleichsam abzuhärten; heute aber,  wo dergleichen<lb/>
Htvankungen der Helligkeit durch fortschreitende Verbesserungen der Beleuch.<lb/>
"6funkel beseitigt seien, hätten die Augen weniger Veranlassung, ihre<lb/>
^'derstandskraft zu üben und seien so verweichlicht.  Nach den Grundsätzen<lb/>
r natürlichen Züchtung und der Entwickelung eines umfassenden Anpassungs-<lb/>
Wechanismus unsres Körpers sei deshalb eine solche ängstliche Prophylaxis<lb/>
verwerflich. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] leibliche Kurz- und Schwachsichtigkeit von Jahr zu Jahr weitere Fortschritte, Hand in Hand mit andren Leiden. Einer thörichten Mode zuliebe sperren wir das Tageslicht ab durch dunkle Vorhänge; Sekretäre, Arbeitstische stehen weist am unrechten Platze, und haben zu wenig oder falsches Licht. Daß die Sehkraft geschont und länger erhalten wird, wenn beim Lesen und Schreiben das Objekt in angemessene Entfernung von, und möglichst parallel mit dem Gesicht gebracht ist, nicht in einen rechten Winkel, und während der Arbeit, namentlich bei künstlichem Lichte, hier und da, etwa alle halbe Stunden. Erholungspausen von einigen Minuten eingeschoben werden, beachtet unter Hunderten kaum Einer. Fehler in der Wahl der Gläser und der bestelle der Brillen sind an der Tagesordnung. Unter zehn Brillenträgern sitzen bei neunen die Gläser nicht so, daß durch ihren Mittelpunkt geblickt Wird, außerdem schief, zu nah oder zu fern. Geschadet wird auch durch die optischen „Augenklemmer" und den übermäßigen Gebrauch von Operngläsern, ^ehe es im bisherigen Stile fort, so werden in den gebildeten Ständen ver Städte bald unbewaffnete Augen unter die Seltenheiten gehören. Einem gelehrten Freunde, der sich berufsmäßig mit physikalischen und photometrischen Forschungen beschäftigt, stellte ich, angeregt durch Aeußerungen °wes Augenarztes, die Frage: ob sich nicht ein, vielleicht auf Photographie süßendes Instrument zur Prüfung der Lichtstärke herstellen lasse, welches Namentlich in Schulzimmern eine Art Polizei in Bezug auf die Beleuchtung üben könnte. Er antwortete, daß ein solches Instrument nicht ausführbar ^eine. weil man Licht nicht wie Wärme, Elektricität und Magnetismus Wessen könne und die Herstellung einer absoluten, unveränderlichen Lichtmenge große Schwierigkeiten habe. Für wissenschaftliche (astronomische) Zwecke und ^"t Hilfe einer Experimentaluntersuchung gäbe es wohl ein derartiges ^ustrument und sei neuerdings angewandt, dasselbe würde jedoch für jene praktischen Zwecke unbrauchbar fein. Weiterhin sagte er: durch eine solche Östliche Fürsorge, wenn sie überhaupt möglich wäre und einträte, dürfte Zunahme der schlechten Augen bei künftigen Generationen nur noch ge¬ tigert werden. Unsre Groß- und Urgroßväter hätten beim Scheine von ale>lichteia gearbeitet und sie und ihre Kinder gute Augen gehabt, weil das ^ rgcm genöthigt war, sich den ungünstigen Beleuchtungsvorrichtungen anm¬ essen und dadurch gleichsam abzuhärten; heute aber, wo dergleichen Htvankungen der Helligkeit durch fortschreitende Verbesserungen der Beleuch. "6funkel beseitigt seien, hätten die Augen weniger Veranlassung, ihre ^'derstandskraft zu üben und seien so verweichlicht. Nach den Grundsätzen r natürlichen Züchtung und der Entwickelung eines umfassenden Anpassungs- Wechanismus unsres Körpers sei deshalb eine solche ängstliche Prophylaxis verwerflich. —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/99>, abgerufen am 23.07.2024.