Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.heute allgemein berechtigt findet, seine Mahnungen verhallten aber wirkungs¬ Unter den Männern, die sich in den letzten 20 Jahren der Sache an¬ Das Verdienst, in den weitesten Kreisen des deutschen Publikums den ^ In Berlin, Wien u. o. großen und Mittelstädten wird's kaum besser sein. Und wie
würde sich das Verhältniß uun gar erst stellen, wenn nicht blos eigentliche Krankheit, Bett¬ lägerigkeit, völlige Arbeitsunfähigkeit, sondern auch alles chronische Siechthum beziffert werden könnte! -- Im preußischen Heere war in den Jahren 184V bis 63 durchschnittlich jeder Sol¬ dat, also eine engere Auswahl der Gesunden im kräftigste" Lebensalter, 16 Tage jährlich krank. Auf Arbeiter über 60 Jahre alt pflegen 40 Krankheitstage im Jahre zu kommen! -- heute allgemein berechtigt findet, seine Mahnungen verhallten aber wirkungs¬ Unter den Männern, die sich in den letzten 20 Jahren der Sache an¬ Das Verdienst, in den weitesten Kreisen des deutschen Publikums den ^ In Berlin, Wien u. o. großen und Mittelstädten wird's kaum besser sein. Und wie
würde sich das Verhältniß uun gar erst stellen, wenn nicht blos eigentliche Krankheit, Bett¬ lägerigkeit, völlige Arbeitsunfähigkeit, sondern auch alles chronische Siechthum beziffert werden könnte! — Im preußischen Heere war in den Jahren 184V bis 63 durchschnittlich jeder Sol¬ dat, also eine engere Auswahl der Gesunden im kräftigste» Lebensalter, 16 Tage jährlich krank. Auf Arbeiter über 60 Jahre alt pflegen 40 Krankheitstage im Jahre zu kommen! — <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135149"/> <p xml:id="ID_242" prev="#ID_241"> heute allgemein berechtigt findet, seine Mahnungen verhallten aber wirkungs¬<lb/> los. 1836 trat Lorinser mit einer Schrift auf, worin er namentlich die<lb/> Zahl der Lehrstunden, der Unterrichtsgegenstände und der häuslichen Arbeiten<lb/> vermindert wissen wollte, und rief viele Erwiderungen (Mützell, Grinsius,<lb/> Köpke:c.) hervor, Andere (z. B. Frorie p) stimmten ihm bei. Ob nun<lb/> das Uebel selbst oder nur der Blick dafür noch nicht weit genug gediehen<lb/> war, genug, eine Reihe von Jahren geschah nichts. Erst ganz neuerdings<lb/> wird in Schrift und Wort das Drängen nach Reformen allgemeiner und,<lb/> wie es scheint, der Widerstand der Schulmänner schwächer, auch Behörden<lb/> erweisen sich aufmerksamer und bereitwilliger. Man stellt Ermittelungen ver¬<lb/> schiedener Art an und es ist zu hoffen, daß die Angelegenheit allmählich in<lb/> Fluß kommt. Eine fühlbare Besserung dürfte aber kaum eher zu erwarten<lb/> sein, als bis auch unter den Eltern der Schulkinder und den Bau¬<lb/> meistern die Erkenntniß sich ausbreitet und zur Anwendung gelangt, daß<lb/> es sich hier um Dinge handelt, die nicht nur einen hohen gesundheitlichen,<lb/> sittlichen, wissenschaftlichen, politischen, volkswirthschaftlichen Werth, sondern<lb/> auch — einen sehr erklecklichen Geldwerth haben. Man muß darum<lb/> Pettenkofer ein herzliches Bravo zurufen, daß er in seinen Münchener<lb/> Vorträgen, nachdem sich herausgestellt hat,' daß der Durchschnitts-Münchener<lb/> unter hundert Tagen fünfe krank ist*), den Werth der Gesundheit und die<lb/> Kostspieligkeit der Krankheit in Gulden und Kreuzern vorrechnet. Solcher<lb/> Mittel bedarf es, um — doch genug davon.</p><lb/> <p xml:id="ID_243"> Unter den Männern, die sich in den letzten 20 Jahren der Sache an¬<lb/> nahmen, darunter auch Pädagogen, seien hier nur aufgezählt: Virchow,<lb/> Schraube, Bock, Reclam, Paul Niemeyer, Varrentrapp, Flinzer, Fahrner,<lb/> Guillaume, Coronel, Falk, Lion, Fröbel, Thome, Schildbach.</p><lb/> <p xml:id="ID_244" next="#ID_245"> Das Verdienst, in den weitesten Kreisen des deutschen Publikums den<lb/> Sinn für eine vernünftige Gesundheitspflege geweckt zu haben, gehört den<lb/> beiden letzten Jahrzehnten an. Professor B o et, der kürzlich Dahingeschiedene<lb/> war es. welcher im gelesensten, in alle Volksschichten eindringenden deutschen<lb/> Blatte, in der Gartenlaube, dann im „Buche vom gesunden und kranken<lb/> Menschen", aufs Nachdrücklichste betonte, wie schwierig und zweifelhaft die<lb/> Wiederherstellung der Gesundheit in den meisten Fällen, wie verhältnißmäßig<lb/> leicht hingegen ihre Erhaltung und Befestigung ist, und der nicht müde</p><lb/> <note xml:id="FID_73" place="foot"> ^ In Berlin, Wien u. o. großen und Mittelstädten wird's kaum besser sein. Und wie<lb/> würde sich das Verhältniß uun gar erst stellen, wenn nicht blos eigentliche Krankheit, Bett¬<lb/> lägerigkeit, völlige Arbeitsunfähigkeit, sondern auch alles chronische Siechthum beziffert werden<lb/> könnte! — Im preußischen Heere war in den Jahren 184V bis 63 durchschnittlich jeder Sol¬<lb/> dat, also eine engere Auswahl der Gesunden im kräftigste» Lebensalter, 16 Tage jährlich<lb/> krank. Auf Arbeiter über 60 Jahre alt pflegen 40 Krankheitstage im Jahre zu kommen! —</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
heute allgemein berechtigt findet, seine Mahnungen verhallten aber wirkungs¬
los. 1836 trat Lorinser mit einer Schrift auf, worin er namentlich die
Zahl der Lehrstunden, der Unterrichtsgegenstände und der häuslichen Arbeiten
vermindert wissen wollte, und rief viele Erwiderungen (Mützell, Grinsius,
Köpke:c.) hervor, Andere (z. B. Frorie p) stimmten ihm bei. Ob nun
das Uebel selbst oder nur der Blick dafür noch nicht weit genug gediehen
war, genug, eine Reihe von Jahren geschah nichts. Erst ganz neuerdings
wird in Schrift und Wort das Drängen nach Reformen allgemeiner und,
wie es scheint, der Widerstand der Schulmänner schwächer, auch Behörden
erweisen sich aufmerksamer und bereitwilliger. Man stellt Ermittelungen ver¬
schiedener Art an und es ist zu hoffen, daß die Angelegenheit allmählich in
Fluß kommt. Eine fühlbare Besserung dürfte aber kaum eher zu erwarten
sein, als bis auch unter den Eltern der Schulkinder und den Bau¬
meistern die Erkenntniß sich ausbreitet und zur Anwendung gelangt, daß
es sich hier um Dinge handelt, die nicht nur einen hohen gesundheitlichen,
sittlichen, wissenschaftlichen, politischen, volkswirthschaftlichen Werth, sondern
auch — einen sehr erklecklichen Geldwerth haben. Man muß darum
Pettenkofer ein herzliches Bravo zurufen, daß er in seinen Münchener
Vorträgen, nachdem sich herausgestellt hat,' daß der Durchschnitts-Münchener
unter hundert Tagen fünfe krank ist*), den Werth der Gesundheit und die
Kostspieligkeit der Krankheit in Gulden und Kreuzern vorrechnet. Solcher
Mittel bedarf es, um — doch genug davon.
Unter den Männern, die sich in den letzten 20 Jahren der Sache an¬
nahmen, darunter auch Pädagogen, seien hier nur aufgezählt: Virchow,
Schraube, Bock, Reclam, Paul Niemeyer, Varrentrapp, Flinzer, Fahrner,
Guillaume, Coronel, Falk, Lion, Fröbel, Thome, Schildbach.
Das Verdienst, in den weitesten Kreisen des deutschen Publikums den
Sinn für eine vernünftige Gesundheitspflege geweckt zu haben, gehört den
beiden letzten Jahrzehnten an. Professor B o et, der kürzlich Dahingeschiedene
war es. welcher im gelesensten, in alle Volksschichten eindringenden deutschen
Blatte, in der Gartenlaube, dann im „Buche vom gesunden und kranken
Menschen", aufs Nachdrücklichste betonte, wie schwierig und zweifelhaft die
Wiederherstellung der Gesundheit in den meisten Fällen, wie verhältnißmäßig
leicht hingegen ihre Erhaltung und Befestigung ist, und der nicht müde
^ In Berlin, Wien u. o. großen und Mittelstädten wird's kaum besser sein. Und wie
würde sich das Verhältniß uun gar erst stellen, wenn nicht blos eigentliche Krankheit, Bett¬
lägerigkeit, völlige Arbeitsunfähigkeit, sondern auch alles chronische Siechthum beziffert werden
könnte! — Im preußischen Heere war in den Jahren 184V bis 63 durchschnittlich jeder Sol¬
dat, also eine engere Auswahl der Gesunden im kräftigste» Lebensalter, 16 Tage jährlich
krank. Auf Arbeiter über 60 Jahre alt pflegen 40 Krankheitstage im Jahre zu kommen! —
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