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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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"doch in gar wohlgemachter Schickung, unerschrocken und begierigen Herzens"
Ehrten die Schweizer mit vorgehaltenen Spießen den Angriff ab. Nicht
besser glückte ein Versuch Chateau-Guyon's, den gevierten Haufen in seiner
rechten Flanke zu umgehn; dieser verlegte ihm durch eine rasche Bewegung
"ach rechts den Weg und empfing auch ihn wieder mit voller wehrhafter
Front. Eine glänzende Rittergestalt sprengte der Graf, die eigene Wappen¬
fahne in der Faust, mit verhängtem Zügel heran; mutherfüllt folgten ihm
seine Gensdarmen "als wenn sie die Panner mit Gewalt wollten haben ge¬
nommen; denn sie kamen auch gar nahe dazu; da waren aber wieder die
langen Spieße um die Panner gestellt; gar mannlich stieß man sie ihnen in
die Nasen, so daß sie bald sich kehrten und von dannen rannten."") Dem
Grafen persönlich gelang es indessen, mit aller Wucht seines gepanzerten
Hengstes einzudringen; zweimal griff er nach dem Landesbanner von Schwyz;
dann sank er, von einer Halblanze getroffen, todt zusammen.

Ungeachtet der errungenen Vortheile begann nun aber die Lage des ver¬
einzelten Schweizerhaufens kritisch zu werden. Einbuße hatte der Feind doch
noch wenig erlitten; die Reiterangrtffe konnten in jedem Augenblicke wieder¬
holt werden, und die zweite und dritte Bataille der Burgunder waren noch
gär nicht ins Gefecht gekommen. Andererseits hatte der Herzog Karl sich
davon überzeugt, daß das ansteigende Terrain den Attacken seiner Gensdarmerie
ungünstig sei, und da er gerade auf ihre Leistungen den höchsten Werth legte,
so beschloß er, derselben ein besseres Kampfterrain zu verschaffen, indem er
auf die Hochebene von Corcelles zurückging; er hoffte, daß die Schweizer dann
nachfolgen würden.

In seiner Ausführung hatte dieser Plan jedoch ganz unvorhergesehene
Folgen. Die burgundische Infanterie der Avantgarde hatte bisher dem Kampfe
der Reiterei unthätig zugesehn; die Artillerie war seit dem Beginn der Ka¬
vallerie-Attacken nicht mehr in der Lage, feuern zu können. Als jetzt diese
beiden Waffen den auf Befehl des Herzogs stattfindenden Rückzug der Gens¬
darmerie erblickten, mißverstanden sie die Bewegung vollkommen; sie glaubten
das ganze Gefecht aufgegeben, und von panischen Schrecken ergriffen machten
sie kehrt und warfen sich fliehend auf das nachfolgende Mitteltreffen. Dies
wähnte natürlich die Avantgarde geschlagen; die Panik ergriff auch sie: An¬
führer und Mannschaft, Reiterei und Fußvolk, Artillerie und Fuhrwesen
warfen sich in die Flucht und rissen sofort die dritte Bataille mit sich. ,Mi-
imeuns trof-bün Itmr äovoii" meint Commes. Vergeblich suchte der
herbeieilende Herzog die Schaaren wieder zum Stehn zu bringen; umsonst
hieb ?r selbst mit dem Schwerte unter die Flüchtigen ein -- unaufhaltsam



') Schilling.

»doch in gar wohlgemachter Schickung, unerschrocken und begierigen Herzens"
Ehrten die Schweizer mit vorgehaltenen Spießen den Angriff ab. Nicht
besser glückte ein Versuch Chateau-Guyon's, den gevierten Haufen in seiner
rechten Flanke zu umgehn; dieser verlegte ihm durch eine rasche Bewegung
"ach rechts den Weg und empfing auch ihn wieder mit voller wehrhafter
Front. Eine glänzende Rittergestalt sprengte der Graf, die eigene Wappen¬
fahne in der Faust, mit verhängtem Zügel heran; mutherfüllt folgten ihm
seine Gensdarmen „als wenn sie die Panner mit Gewalt wollten haben ge¬
nommen; denn sie kamen auch gar nahe dazu; da waren aber wieder die
langen Spieße um die Panner gestellt; gar mannlich stieß man sie ihnen in
die Nasen, so daß sie bald sich kehrten und von dannen rannten."") Dem
Grafen persönlich gelang es indessen, mit aller Wucht seines gepanzerten
Hengstes einzudringen; zweimal griff er nach dem Landesbanner von Schwyz;
dann sank er, von einer Halblanze getroffen, todt zusammen.

Ungeachtet der errungenen Vortheile begann nun aber die Lage des ver¬
einzelten Schweizerhaufens kritisch zu werden. Einbuße hatte der Feind doch
noch wenig erlitten; die Reiterangrtffe konnten in jedem Augenblicke wieder¬
holt werden, und die zweite und dritte Bataille der Burgunder waren noch
gär nicht ins Gefecht gekommen. Andererseits hatte der Herzog Karl sich
davon überzeugt, daß das ansteigende Terrain den Attacken seiner Gensdarmerie
ungünstig sei, und da er gerade auf ihre Leistungen den höchsten Werth legte,
so beschloß er, derselben ein besseres Kampfterrain zu verschaffen, indem er
auf die Hochebene von Corcelles zurückging; er hoffte, daß die Schweizer dann
nachfolgen würden.

In seiner Ausführung hatte dieser Plan jedoch ganz unvorhergesehene
Folgen. Die burgundische Infanterie der Avantgarde hatte bisher dem Kampfe
der Reiterei unthätig zugesehn; die Artillerie war seit dem Beginn der Ka¬
vallerie-Attacken nicht mehr in der Lage, feuern zu können. Als jetzt diese
beiden Waffen den auf Befehl des Herzogs stattfindenden Rückzug der Gens¬
darmerie erblickten, mißverstanden sie die Bewegung vollkommen; sie glaubten
das ganze Gefecht aufgegeben, und von panischen Schrecken ergriffen machten
sie kehrt und warfen sich fliehend auf das nachfolgende Mitteltreffen. Dies
wähnte natürlich die Avantgarde geschlagen; die Panik ergriff auch sie: An¬
führer und Mannschaft, Reiterei und Fußvolk, Artillerie und Fuhrwesen
warfen sich in die Flucht und rissen sofort die dritte Bataille mit sich. ,Mi-
imeuns trof-bün Itmr äovoii" meint Commes. Vergeblich suchte der
herbeieilende Herzog die Schaaren wieder zum Stehn zu bringen; umsonst
hieb ?r selbst mit dem Schwerte unter die Flüchtigen ein — unaufhaltsam



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/59>, abgerufen am 24.08.2024.